Neben dem Nietzsche-ArchivAlte Sendehalle: Braucht Weimar einen weiteren Geschichtsort?
Erbaut von den Nazis als Nietzsche-Gedächtnishalle, zu DDR-Zeiten und nach der Wende Funkhaus, später Lost Place: Die Alte Sendehalle Weimar hat bewegte Zeiten hinter sich. Der neue Eigentümer will aus dem fast vergessenen Ort eine Institution machen. Martin Kranz hat sich als Chef des Weimarer Spiegelzelts und Intendant der Achava-Festspiele einen Namen in der Thüringer Kulturszene gemacht. Vor Kurzem hat er mit einer eigens dafür gegründeten Stiftung das Gebäude erworben. Nun gibt er Einblicke in seine Pläne.
- Der neue Eigentümer der Alten Sendehalle in Weimar will einen Ort der politischen Bildung etablieren.
- Zuvor gab es Debatten über die schwierige Geschichte des Gebäudes aus der NS-Zeit.
- Das Alte Funkhaus kann nun erstmals besichtigt werden.
Die Tür steht offen, aber niemand ist zu sehen. Dann taucht plötzlich am Ende eines langen Ganges Martin Kranz mit Hündin Mara auf. Ausgerüstet mit Handy-Taschenlampe war er gerade eben wieder auf Inspektionstour durch das riesige Gebäude. Man merkt ihm an: Hier hat sich viel Energie aufgestaut, die nun endlich freigelassen werden kann.
"Vor drei Jahren kam ich über einen Bauhaus-Studenten erstmals in Kontakt mit diesem Gebäude, und seitdem hat es mich nicht mehr losgelassen", so Kranz. "Die historische Schichtung hier ist einfach unendlich faszinierend. Und genau das will ich deutlich machen, vor allem für junge Leute."
Neuer Ort für politische Bildung in Weimar
Nach einer langen Hängepartie konnte Martin Kranz die Weimarer Sendehalle in der vergangenen Woche im Rahmen einer Zwangsversteigerung erwerben – für eine Million Euro. Hierfür hat er extra eine eigene Stiftung gegründet. Diese soll nun auch die Basis für den künftigen Betrieb des Komplexes werden. Kranz schwebt Großes vor: Er will hier einen neuen Ort für politische Bildung etablieren, denn der Bedarf in Weimar sei enorm.
Konzerte, Diskussionsveranstaltungen oder Seminare könnten hier stattfinden. Dazu solle es eine Ausstellung geben, die sich mit dem Gebäude selbst befasse: "Die Sendehalle wirkt im Eingangsbereich so unscheinbar, und dann wird es immer weitläufiger und größer. Und dieses Überhöhen, das war genau so geplant bei diesem Nietzsche-Walhalla, denke ich. Man sieht es dem Gebäude bis heute an."
Die historische Schichtung hier ist einfach unendlich faszinierend. Und genau das will ich deutlich machen, vor allem für junge Leute.
Martin Kranz, Kulturmanager und Eigentümer
Nietzsche-Halle wurde nie als solche genutzt
Die Geschichte der Sendehalle ist komplex. Taucht man in das Gebäude ein, mit seinen langen Gängen und großen Hallen, ist man schnell bei der nationalsozialistischen Ideologie vom "Übermensch": Die Nazis wollten hier einen Ort schaffen, um den großen Philosophen Friedrich Nietzsche (1844-1900) auf ihre Art zu interpretieren und somit zu missbrauchen. Nietzsche war in Weimar gestorben.
Die Nationalsozialisten engagierten den Architekten Paul Schultze-Naumburg, um eine sogenannte Nietzsche-Gedächtnishalle zu entwerfen. 1935 war Baustart, vollendet wurde der riesige Gebäudekomplex, an dem später auch Albert Speer beteiligt war, erst 1943. Mitten im Krieg wurde das Gebäude daher nie eingeweiht.
Zu DDR-Zeiten wurden alle Spuren, die auf Nietzsche hindeuteten, entfernt. Man installierte stattdessen ein Funkhaus. Nach der Wende bezog der MDR für zehn Jahre die Studios. Nach dem Wegzug des Senders nach Erfurt kaufte ein zwielichtiger russischer Investor das Gebäude, der es verfallen ließ. "Seitdem hat es sich zum Lost Place entwickelt, hier sind wilde Parties gefeiert worden", erzählt Kranz und deutet auf die Überreste dieser Untergrund-Vergangenheit. Räudige Sessel stehen herum, dreckige Gläser und ein halbkaputtes Fahrrad liegen auf dem Boden, die Wandverkleidungen wurden teilweise von Kupferdieben aufgebrochen, um an die Kabel zu kommen.
Kritik am ersten Konzept aus Buchenwald
Kranz schreckt dieser Anblick nicht ab, er spornt ihn viel mehr an. Auch wenn der Weg in den vergangenen Jahren alles andere als einfach gewesen ist. Ein erstes Konzept, das vorsah, den von den Nazis geplanten Bau mit den Biografien von Shoa-Überlebenden zu konfrontieren und so mit neuem Leben zu füllen, erntete harsche Kritik von Jens-Christian Wagner, dem Leiter der Gedenkstätte Buchenwald: Es sei ein unpassender Zugang zu diesem Ort und die wissenschaftliche Fundierung fehle.
Das sei wirklich nur ein allererster Gedanke gewesen, verteidigt sich Kranz heute. Er habe das Konzept seitdem überarbeitet. Die Ausstellung solle sich nun mit der Geschichte des Gebäudes befassen, und nicht mehr direkt mit den Überlebenden von Buchenwald. Gedenkstättenleiter Wagner kann mit dieser neuen Herangehensweise nun wesentlich besser leben: "Wir brauchen kein neues, großes Museum in Weimar, denn da sind wir doch relativ gut ausgestattet. Was dieser Ort braucht, ist eine kleine, aber feine historische Kontextualisierung. Und das sollte an diesem Ort untergebracht werden, es sollte aber nicht der Schwerpunkt des Ortes sein."
Finanzierung für Altes Funkhaus durch Miete
Genau so sieht tatsächlich auch die aktuelle Planung von Kranz aus: Ganze 3.000 Quadratmeter Fläche wollen gefüllt werden: Es sollen Räume für Kulturveranstaltungen entstehen, aber auch weitläufige Büroflächen, für die er derzeit nach Mietern sucht. Denn für die Sanierung hat er zwar bereits 10 Millionen Euro an Fördergeldern und privaten Spenden eingesammelt, aber langfristig soll sich der riesige Komplex über Mieteinnahmen tragen.
Ein Gebäude von öffentlichem Interesse, das nun einer privaten Stiftung gehört und von ihr dauerhaft finanziell getragen werden muss: Martin Kranz betont immer wieder, dass er sich seiner Verantwortung für diesen Ort bewusst sei, und dass er ihn deswegen gemeinsam mit den anderen großen Playern in Weimar entwickeln wolle.
Als wichtigsten Partner sieht er die Klassik Stiftung, die ja mit dem Nietzsche-Archiv das Nachbargebäude betreibt. Dessen Leiter Helmut Heit hat seine Unterstützung schon zugesagt. Ihm ist es wichtig, dass die Sendehalle "nicht einfach eine private Spielstätte ist, sondern auch einen kulturellen und politischen Auftrag erfüllt." Schließlich sei dies ein Ort von öffentlichem Interesse.
Wiedereröffnung in zwei bis drei Jahren
Ein riesiges Gebäude, ein hoher Sanierungsbedarf und dazu noch die komplexe Vergangenheit: Man könnte es verrückt nennen, was der Privatmann Martin Kranz hier vor hat. Aber vermutlich braucht es genau diese Portion energergiegeladenen Größenwahn, um die Problemimmobilie wieder mit Leben zu füllen. In zwei bis drei Jahren könnte die Wiedereröffnung stattfinden. Nach der ausführlichen Führung verabschiedet Kranz sich eilig: Er muss Hündin Mara suchen, die in den langen Fluren des Funkhauses auf Entdeckungstour entschwunden ist.
Die Alte Sendehalle Weimar öffnet ihre Türen
Freitag, 15. November2024, 19 Uhr: Concert for Peace mit Yael Deckelbaum und Meera Eliabouni
Samstag, 16. November 2024, 11 Uhr: Tag der Offenen Tür
Adresse:
Humboldtstraße 36a
99425 Weimar
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Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | 15. November 2024 | 07:40 Uhr