Feste Wenn der Wunschzettel anders aussieht: Weihnachten im Weimarer Obdachlosenheim

22. Dezember 2022, 15:50 Uhr

Mit dem Lied "Alle Jahre wieder" begrüßt Pfarrer Gothe die Bewohner im Weimarer Obdachlosenheim zur Weihnachtsfeier. Er eröffnet einen ganz besonderen Vormittag im Heim. Dort ist die Zahl der Bewohner wieder gestiegen.

Kontaktstube nennt sich der Raum, in dem die Weihnachtsfeier stattfindet. In der Ecke vor dem Fenster steht der Weihnachtsbaum - aus Plastik, aber liebevoll geschmückt. Auf einer weißen Decke steht das gute Geschirr, dazwischen volle Schalen mit selbst gebackenen Keksen. Weihnachtsservietten zieren jeden Platz.

Das Team im "Haus Hoffnung" hat sich richtig ins Zeug gelegt. In der Küche wird sogar schon gekocht. Nach Stollen und Plätzchen soll es ein Weihnachtsmenü geben: mit Eierstich-Suppe und Klößen, wie es sich gehört.

Nicht alle Bewohner kommen zur Weihnachtsfeier

Einmal im Jahr wird hier richtig gefeiert. Viele, aber nicht alle Bewohner kommen zusammen. "Manche trauen sich nicht oder interessieren sich nicht dafür", erzählt Sozialarbeiterin Ina Göthe. "Aber auch sie bekommen ein Geschenk."

Seit mehr als 20 Jahren packen die Mitglieder des Samstagabendkreises der katholischen Herz-Jesu-Gemeinde in Weimar Päckchen. "Und die sind individuell. Die Spender erkundigen sich nach Geschlecht und Alter unserer Bewohner und besorgen wunderbare Aufmerksamkeiten, über die sich eigentlich immer alle sehr freuen."

Weihnachtsgeschenke bleiben lange zu

Auch Verena Schweser hat wieder einmal Tüten gepackt. Auch sie engagiert sich seit Jahren. Die ehemalige Lehrerin hat Socken, Duschbad und Süßes liebevoll zusammengestellt und teilt es ebenfalls aus. Für die Bewohner des Obdachlosenheims ist der Gabentisch an diesem Tag reich gefüllt. Die Augen der Beschenkten strahlen, doch keiner von ihnen will sein Päckchen vor den anderen öffnen. Es ist interessant. Die Geschenke bleiben zu.

Auch meine Neugier wird nicht gestillt. Ich vermute Pullover, Gutscheine und Kosmetikartikel in den bunten Paketen. Es sind nicht die Wünsche, die auf den Wunschzetteln der Bewohner stehen. Die meisten von ihnen sehnen sich nach Normalität. So erzählen sie es. Sie wünschen sich Gesundheit und Zusammenhalt in der Familie. Das ist etwas, was ich an diesem Tag immer wieder höre.

Viele Bewohner seit Jahren in der Obdachlosen-Unterkunft

Die Gründe, warum es die Menschen in die Unterkunft verschlagen hat, sind vielfältig. Nicht selten ist Alkohol Schuld daran. Familien sind zerrüttet und etliche Bewohner des Heims sind einsam. "Heiligabend bin ich allein auf meinem Zimmer", berichtet Ute. "Ich wünsche mir für's nächste Jahr, dass es mir besser geht und ich das Obdachlosenheim wieder verlassen kann."

Viele Bewohner sind allerdings schon seit Jahren hier. Einige bleiben aber auch nur kurze Zeit. "In diesem Jahr hatten wir eine Familie mit vier Kindern. Doch die haben zum Glück recht schnell wieder eine eigene Bleibe gefunden", so Sozialarbeiterin Ina Göthe.

Zahl der Bewohner steigt: Vor allem Ältere kommen

Die Zahl der Bewohner ist 2022 wieder gestiegen. "Man hat gemerkt, dass nach Corona wieder mehr Menschen die Obdachlosenhilfe in Anspruch nehmen mussten", so Göthe. "Vermutlich setzen einige Vermieter ihre Räumungen nun doch durch, auf die sie vielleicht in den vergangenen beiden Jahren verzichtet haben. Wir haben vor allem ältere Personen vermittelt bekommen."

Die Situation ist und bleibt also angespannt. Auch in der benachbarten Notschlafstelle ist wieder mehr Betrieb. Wer sich dort bewährt und die Regeln einhält, hat Chancen auf einen Platz im Obdachlosenheim.

Ein Zimmer im Heim zu bekommen gleicht einem Sechser im Lotto. Hier haben die Bewohner ihr eigenes Reich. Hier können sie bleiben und müssen nicht wie in der Notschlafstelle um 8 Uhr morgens wieder raus.

Weimarer Tafel versorgt Obdachlosenheim

Versorgt werden die Bewohner des Obdachlosenheims auch von der Weimarer Tafel. Meist kommen die Mitarbeiter einmal in der Woche mit vollen Kisten vorbei. "Für wenig Geld können wir dort unsere Lebensmittel kaufen", erzählt eine Bewohnerin, die sehnsüchtig auf den Transporter wartet. "Mein Kühlschrank ist total leer", sagt sie "und in zwei Tagen ist Weihnachten."

MDR (co/jn)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 24. Dezember 2022 | 08:00 Uhr

15 Kommentare

kleinerfrontkaempfer am 23.12.2022

Alle Jahre wieder.......so sehen die verläßlichen und "guten" Meldungen eines jeden Jahresendes in Doitschland aus. Sie gehören einfach dazu.
Traurig&beschämend.

Maria A. am 23.12.2022

Lyn, jeder Mensch kann ein Opfer von Gewalttaten werden oder in Unfälle verwickelt. Auch von irgend welchen Naturkatastrophen betroffen sein. Mit absoluter Sicherheit muss jeder Mensch im Laufe seines Lebens Schicksalsschläge hinnehmen. Aber Wohnungsverlust geht eine mehr oder weniger lange Ankündigungsphase voraus. Und auch wenn Sie sowas zynisch finden - der Großteildavon Betroffener hat einen Eigenanteil daran. Diese Gesellschaft hat einerseits den Hang zum Bagatellisieren von Sucht- und Fehlverhalten, das zu 80 Prozent zu Existenzverlust beiträgt, andererseits übt sie sich in moralischer Überlegenheit gegenüber Übergewichtigen und Andersdenkenden. Ich habe es mehr als einmal erlebt, dass mittlerweile für jedes Laster öffentlich Verständnis bis Entschuldigung gefunden wird, aber sich Schwerkranken gegenüber ungerecht verhalten wird. Eine ähnliche Tendenz zeigt bereits in Richtung der Bevölkerung, die den neuen Trend, vegetarisch bis vegan zu leben, ablehnt.

SGDHarzer66 am 23.12.2022

Meine Hochachtung gilt den Leuten, welche sich um die Obdachlosen kümmern. Im Raubtierkapitalismus bundesdeutscher Prägung könnte es Jeden treffen - auch unverschuldet!
Auf dem Weg zurück in ein normales Leben wünsche ich diesen "Gestrauchelten" jedenfalls alles Gute!

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