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Angriff auf JournalistenFretterode-Prozess: Angeklagte zu Bewährung und Sozialstunden verurteilt

15. September 2022, 19:19 Uhr

Nach dem Angriff auf Journalisten im Eichsfeld vor über vier Jahren ist jetzt das Urteil gefallen. Es blieb weit unter der Forderung von Staatsanwaltschaft und Nebenklage. Die Vorsitzende Richterin sah keinen gezielten Angriff auf Journalisten und die freie Presse. Die Nebenklage sprach von einem "fatalen Signal für den Schutz von Journalisten".

von MDR THÜRINGEN

Im Prozess um den Überfall auf zwei Journalisten in Fretterode im Eichsfeld ist ein 28-Jähriger zu einem Jahr Haft auf Bewährung verurteilt worden. Laut Urteil des Landgerichtes Mühlhausen haben er und der 23 Jahre alte Mitangeklagte vor viereinhalb Jahren sich gemeinschaftlich einer Sachbeschädigung und einer gefährlichen Körperverletzung schuldig gemacht.

Der jüngere der beiden rechtsextremen Angeklagten muss 200 Arbeitsstunden leisten. Er ist nach Jugendstrafrecht verurteilt worden. Bei dem Angriff im Jahr 2018 waren zwei Journalisten aus Göttingen schwer verletzt worden.

Urteil weit unter Forderung der Staatsanwaltschaft

Mit dem Urteil blieb das Gericht deutlich unter der Forderung von Staatsanwaltschaft und Nebenklage. Die Staatsanwaltschaft hatte für den jüngeren der beiden Angeklagten eine Jugendstrafe von einem Jahr und neun Monaten, ausgesetzt zur Bewährung, gefordert. Für den älteren der beiden Angeklagten plädierte der zuständige Staatsanwalt auf eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten.

Richterin: Kein gezielter Angriff auf die freie Presse

Das Gericht sah den Vorwurf des schweren Raubes als nicht erwiesen an, da der Verbleib einer Kamera nicht geklärt werden konnte. Außerdem verneinte die Vorsitzende Richterin einen Angriff auf die Pressefreiheit. "Es war kein gezielter Angriff auf Journalisten und auf die freie Presse", sagte sie. Wenn es so wäre, so die Richterin, hätte das strafverschärfend berücksichtigt werden müssen.

Im Zuge der Hauptverhandlung habe sich nicht klar ergeben, dass die Angeklagten die beiden Angegriffenen als Presse-Vertreter erkannt hätten. Vielmehr gehe die Kammer davon aus, dass sie diese als Angehörige der linken Szene identifiziert hätten. Die Richterin sprach von "zwei ideologischen Lagern", die "weit auseinander liegen".

Angeklagter während des Prozesses im Gerichtssaal (Archivfoto) Bildrechte: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Swen Pförtner

Dafür spreche unter anderem, dass die Angeklagten die Angegriffenen während des Übergriffs als "Zecken" bezeichnet hätten, so Richterin. Einer der Journalisten verließ aus Protest gegen das Urteil und dessen Begründung noch während der Ausführungen der Vorsitzenden Richterin den Saal.

Nebenklage: Fatales Signal für Schutz von Journalisten

Die Nebenklage sprach von einem "fatalen Signal für den Schutz von Journalisten". Das Urteil des Landgerichts Mühlhausen reihe sich ein in eine Reihe von "außerordentlich milden Urteilen, die die Thüringer Justiz in den letzten Jahren gefällt hat, wenn es um Gewalttätigkeiten von Neonazis ging.

Journalistenverband: Signal in völlig falsche Richtung

Mit "großem Unverständnis" reagierte der Deutsche Journalisten-Verband in Thüringen auf das Urteil. Die Vorstandsvorsitzende Heidje Beutel sagte, die Tat sei nicht nur ein Angriff auf die beiden Journalisten gewesen, sondern ein "gezielter Einschüchterungsversuch" mit dem Ziel, Berichterstattung zu unterbinden. Sie befürchte eine Signalwirkung "in die völlig falsche Richtung", so Beutel.

Heftige Kritik von SPD, Linken und Grünen

Bei der SPD, den Linken und den Grünen in Thüringen stieß das Urteil auf heftige Kritik. Katharina König-Preuss, Sprecherin für Antifaschismus in der Fraktion der Linken, sprach von einem "Skandal" und von wiederholtem Versagen der Justiz. Wie beim Prozess um den Überfall auf eine Kirmesgesellschaft in Ballstädt (Kreis Gotha) habe sich gezeigt, dass Neonazis in Thüringen nicht mit adäquaten Strafen rechnen müssten, sondern per Urteil sogar noch zu solchen Taten ermutigt würden.

Ähnlich fiel die Reaktion der Grünen aus, die das Urteil als "Freifahrtschein" für die Täter bezeichneten. Mit dem Prozess sei die Chance verpasst worden, die Gewalttat schonungslos aufzuklären und das Umfeld der Täter zu beleuchten, sagte die innenpolitische Sprecherin Madeleine Henfling. So werde rechte Gewalt verharmlost.

Die Innenpolitische Sprecherin der SPD im Thüringer Landtag, Dorothea Marx, sagte MDR THÜRINGEN: "Ich bin schockiert. Dass das Gericht Leben und Gesundheit vermeintlich politischer Gegner für weniger schützenswert hält als bei Journalisten und daraus einen Strafrabatt ableitet, ist menschlich und juristisch daneben."

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MDR/dpa (sar)

Dieses Thema im Programm:MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 15. September 2022 | 15:00 Uhr