Ein Mann neben einem Solar-Paneel.
Dem Institut für regenerative Energietechnik fehlen Ingenieursstudenten. Sie sollen eigentlich die Energiewende gestalten. Bildrechte: MDR/Armin Kung

Hochschulen in Thüringen Der Energiewende fehlen die Ingenieursstudenten

16. Februar 2023, 19:28 Uhr

Deutschland gehört weltweit zu den Topausbildern von Ingenieuren. In kaum einem anderen Land fangen so viele Menschen ein technisches Studium an. Doch der Trend zeigt bergab. In Thüringen fehlen selbst bei hochaktuellen Studiengängen zur Energiewende die Ingenieursstudenten. Die Zahlen an den Fachhochschulen Erfurt und Nordhausen sind eingebrochen.

"Wo sind denn nun die Fridays for Futures?“ – Diese Frage stellte Professor Viktor Wesselak in den vergangenen Jahren häufig. Nicht rhetorisch, er fragte tatsächlich Jugendliche in ganz Thüringen. Als Leiter des Nordhäuser Instituts für regenerative Energietechnik sucht er händeringend Studenten, die Ingenieure für Solar-, Wind- und Biogasenergie werden möchten.

Ein Mann mit einer sehr dunklen Brille.
Ein "Sonnensimulator" für Solarpanels: Die Hochschule Nordhausen ist Spitzenreiter bei der Forschung. Pro Professor gibt es hier die höchsten Drittmittel Thüringens. Bildrechte: MDR/Armin Kung

Bei Klimastreiks und Umweltveranstaltung ging der Professor regelmäßig auf Schülerinnen und Schüler zu. Kommt an die Hochschule Nordhausen, warb er, hier gibt es hervorragende Studien- und Forschungsbedingungen. "Das sind eigentlich die jungen Menschen, die wir haben wollen. Die sich engagieren und auch Risiken eingehen, indem sie streiken oder sich auf die Straße kleben."

Doch sie kommen nicht. Nicht einen neuen Studenten konnte Wesselak für seine nachhaltigen Ingenieursstudiengänge gewinnen. Die Antwort der jungen Menschen war immer gleich: "Wir wollen was sozialwissenschaftliches studieren. Das hat uns wirklich überrascht. Bei uns können die Jugendlichen, die für das Klima protestieren, ganz praktisch lernen was sie selbst von der Gesellschaft einfordern", so Wesselak.

Das sind eigentlich die jungen Menschen, die wir haben wollen. Die sich engagieren und auch Risiken eingehen, indem sie streiken oder sich auf die Straße kleben.

Viktor Wesselak, Leiter des Nordhäuser Instituts für regenerative Energietechnik

Trend zeigt abwärts

Der Abwärtstrend offenbart sich längst in den Zahlen. Wie die OECD-Bildungsvergleichsstudien zeigen, gab es zwischen 2021 und 2022 einen plötzlichen Knick bei den Ingenieur-Erstsemestern. Um zwei Prozente brach die Anfängerquote von einem Jahr aufs andere ein, von 24 Prozent auf 22 Prozent.

An der akademischen Basis klingt das deutlich drastischer. In Thüringen haben auch jene Studiengänge Probleme, die sich mit hochaktuellen Themen wie Klimawandel und Energiewende befassen. An der Hochschule Nordhausen sind die Studierendenzahlen am Institut für regenerative Energietechnik in den vergangenen zehn Jahren um 80 Prozent eingebrochen. "Pro Jahrgang sitzen weniger als zehn Leute im Seminarraum", sagt Professor Wesselak.

An der Fachhochschule Erfurt ist die Situation bei nachhaltigen Studiengängen ähnlich. "Die Plätze im Studiengang 'Gebäude- und Energietechnik', in dem klimaeffizientes Bauen ein Schwerpunkt ist, sind nur noch zu 50 Prozent besetzt. Wir wünschen uns dringend mehr Studenten", sagt Dekan Steffen Avemarg.

Wo sind die Studenten?

Thüringen hat gegenüber den Metropolen einen offensichtlichen Standortnachteil. Junge Menschen zieht es mehrheitlich in Großstädte. Das war nicht immer so. "Nordhausen gehörte zu den ersten Hochschulen, die ein Ingenieursstudium im Bereich Erneuerbare Energien anboten", sagt Christoph Schmidt aus Ilmenau.

Ein Mann mit rotem Pullover.
Christoph Schmidt hat in Nordhausen Bachelor und Master im Ingenieurswesen absolviert. Bildrechte: MDR/Armin Kung

Er hat in Nordhausen seinen Bachelor und Master gemacht. Damals waren sie noch 150 Studierende. "Die Studenten kamen vor zehn Jahren noch aus ganz Deutschland nach Thüringen, um hier zu lernen. Heute kann man regenerative Energietechnik in vielen Städten studieren. Jemand aus Baden-Württemberg wäre vor zehn Jahren nach Nordhausen gekommen, jetzt studiert er in Stuttgart", so Schmidt.

Die Studenten kamen vor zehn Jahren noch aus ganz Deutschland nach Thüringen, um hier zu lernen. Heute kann man regenerative Energietechnik in vielen Städten studieren.

Christoph Schmidt, studierte Ingenieurswesen in Nordhausen

Deutsches Ingenieurwesen im Ausland beliebt

Trotz alledem hat die Hochschule Nordhausen einen überraschenden Punktsieg erzielt. Wegen der fehlenden Studenten aus Deutschland entwickelte man internationale Masterprogramme. Der Ansturm war überwältigend, meint Professor Wesselak. 220 Bachelorabsolventen bewarben sich im ersten Jahr für einen Master in Nordthüringen. Offensichtlich hatte die Hochschule nicht mit so einem Erfolg gerechnet, denn einschreiben konnte sich jeder. Es gab keinen Numerus Clausus.

Ein Mann neben einem Solar-Paneel.
An der Hochschule Nordhausen sind die Studierendennzahlen am Institut für regenerative Energietechnik in den vergangenen zehn Jahren um 80 Prozent eingebrochen. Bildrechte: MDR/Armin Kung

Mittlerweile gibt es drei rein englischsprachige Ingenieursstudiengänge. Diese sind erfolgreich zulassungsbeschränkt. 80 Plätze gibt es, 800 Bewerber aus aller Welt wollen jedes Jahr in den Südharz. Die Mehrheit kommt aus Indien, Pakistan, Ägypten und Nigeria.

Durch den Strategiewechsel ist der Campus internationaler geworden. Während es noch 60 Deutsche im Fachbereich gibt, sind es bereits 150 ausländische Studenten. Ein großer Teil wolle mit deutschem Ingenieurswissen die Energiewende in seinen Heimatländern voranbringen. Doch auch die Thüringer Wirtschaft habe großes Interesse an den ausländischen Ingenieuren.

MDR (gh)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Das Fazit vom Tag | 14. Februar 2023 | 18:00 Uhr

64 Kommentare

Sozialberuflerin am 17.02.2023

"... übrigens nicht nur irgendwelche Konzerne sondern uns alle."

Ich kann mich nur nochmal wiederholen :
Hinter dem Grundgedanken der Aktivisten stehe ich auch.

"Ich finde Meinungsvielfalt übrigens gar nicht schlecht - solange man die Argumente sachlich austauscht."

Dem stimme ich zu! Und ich habe bisher auch nichts anderes getan!

Aber ich geh jetzt einfach mal davon aus, daß wir uns da einig sind und die Meinung des jeweils anderen akzeptieren können.
Weil auch hier ich mich noch einmal wiederhole:
Ich versteh was sie meinen, gebe ihnen auch generell nicht Unrecht!




martin am 17.02.2023

Sie beschreiben meiner Meinung nach eine traurige Realität in unserem Land: Womit gewinnt man mediale Aufmerksamkeit? Mit klugen, zukunftsweisenden Denkanstößen oder mit Krawall?

Ich glaube, dass nicht nur ich mir, sondern auch die "klebenden Aktivisten" sich eine andere Art von wirksamer Öffentlichkeitsarbeit wünschen würden. Allerdings sollte man zur Kenntnis nehmen, dass die Wissenschaft an vielen Stellen seit etlichen Jahren klare Erkenntnisse auf den Tisch legt - aber gesellschaftlich daraus keine Konsequenzen gezogen werden.

Und ansprechen sollte die berechtigte Sorge um die Zukunft unserer Kinder und Enkel etc. oder meinetwegen auch unseres Planeten übrigens nicht nur irgendwelche Konzerne sondern uns alle.

Ich finde Meinungsvielfalt übrigens gar nicht schlecht - solange man die Argumente sachlich austauscht.

martin am 17.02.2023

Für die Aufwandsentschädigungen der "Berufsaktivisten" würden die echten Lobbyisten noch nicht mal den Fuß aus dem Bett bewegen. Und Gehalt würden die das auch nicht nennen.

Es ist doch in unserem Land vollkommen normal, dass es Unternehmen und Menschen gibt, die dafür spenden, dass ihre Interessen in der Öffentlichkeit vertreten werden.

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