Umbau Bahn verprellt Fahrgäste in Altenburg: Bahnhof vorerst nicht barrierefrei

12. Juli 2022, 17:58 Uhr

Der Bahnhof in Altenburg wird modernisiert. Einstweilen ist nur ein Bahnsteig benutzbar - und der ist das Gegenteil von barrierefrei, weil nur über Treppen zu erreichen. Die Bahn sagt indes: Das war alles so geplant.

Unmut. Wütende Reisende. "Die Deutsche Bahn verprellt ihre Kunden", schimpft eine Frau, die mit ihren beiden offensichtlich schweren Rollkoffern kaum vorwärts kommt. So geht es auch Peter Müller. Er ist ratlos, hat seinem Enkel einen Ausflug versprochen - mit Fahrrad und Eisenbahn.

Der kleine Junge sitzt vorn auf Müllers Rad. Aber zum Zug kommen die beiden nicht so einfach. Der Opa muss jetzt erst einmal einen hilfsbereiten Mitmenschen finden. Einen, der das Kind zum Bahnsteig begleitet. Denn Müller selbst muss das Rad bugsieren: Erst hoch, über eine Wendeltreppe. Dann rüber über den Brückensteg. Und wieder runter, über eine Behelfstreppe zum Bahnsteig. "Das ist eine Zumutung", schimpft Müller.

Bahn AG: Das war alles so geplant

Die Radfahrer, die Mütter und Väter mit Kinderwagen, die Senioren mit Rollatoren, die Menschen in Rollstühlen - bei den Planungen für die Modernisierung des Bahnhofs in Altenburg sind sie vergessen worden. Das offenbart schon ein Faltblatt, das im Sommer 2021 von der Deutsche-Bahn-Tochter DB Netz AG herausgegeben wurde. Auf einer Karte sind die Bereich der Bahnmodernisierung in Altenburg mehrfarbig markiert: Rot, wo neu und umgebaut wird. Grün, wo Lärmschutzwände entstehen.

Und als bauvorbereitende Maßnahme ist blau gekennzeichnet: "Fußgängerüberführung zum Interimsbahnsteig". Dieser Bahnsteig ist nun, einen Sommer später, neu gebaut. Und erreichbar ... nur für Fußgänger. Etwas anderes sei auch nie gefordert worden, heißt es von der Deutschen Bahn.

Deutsche Bahn: Keine Einwände im Planfeststellungsverfahren

Sprecher Jörg Bönisch verweist auf Informationsveranstaltungen für die Bürger. Die habe es mehrfach gegeben. Auch mit der Stadtverwaltung sei das Bauprojekt besprochen worden. Und dann habe es ein Planfeststellungverfahren gegeben, bei dem jeder Betroffene seine Einwände und Forderungen einbringen konnte. Aber da sei nichts gekommen.

Erst im Sommer 2021, als ja auch das schon zitierte Faltblatt erschien, gab es erste Nachfragen. Beim Spatenstich für den Umbau am Bahnhof Altenburg war noch einmal ausgesprochen worden, was dann auch als Aushang an der Behelfstreppe nachlesbar wurde: Der neue Bahnsteig ist für Mobilitätseingeschränkte nicht erreichbar - bis 2024.

Seit Wochen Suche nach einem Ausweg

Bis dahin ist er allerdings auch der einzige Bahnsteig, an dem Züge in Altenburg halten können. "Es ist schon möglich, dass diese Behinderung einer großen Gruppe von Reisenden im Rathaus nicht erkannt wurde", sagt Peter Müller, der in Altenburg auch Stadtrat ist. "Bei so einem Planfeststellungsverfahren muss man Dutzende Aktenordner durcharbeiten." Aber einfach hinnehmen könne die Situation jetzt wohl niemand. Ja, sagt Bahnsprecher Bönisch. Und deshalb sei man seit Wochen auf der Suche nach einem Ausweg. Aber es sei schwierig, allen Betroffenen zu helfen.

Deutsche Bahn reagiert auf Druck

Inzwischen hat es, wie man so sagt, Kritik gehagelt. Die Bahn bekam Anrufe, E-Mails, Briefe. Peter Müller organisierte im Stadtrat, dass ein Beschwerdebrief an die Bahn geschickt wurde. Andere Betroffene gingen auf Medien zu.

Bahn verweist auf Ausweich-Bahnhöfe in der Region

So schrieb unter anderem eine schwerbehinderte Frau aus dem niedersächsischen Bad Pyrmont an MDR THÜRINGEN. Sie sei seit Jahren regelmäßig zu Besuch in Altenburg. Ihre Feststellung dabei: "Der Bahnhof war bislang immer vorbildlich behinderten-/rollstuhlgerecht ausgestattet.“ Aber jetzt sei das drei Jahre lang eben anders, habe ihr die Bahn mitgeteilt. Deshalb suche sie nun über die Medien um Unterstützung - für ihre Anreise im August und ihre Rückreise im September.

"Wir kennen den Fall", sagt Jörg Bönisch. Und weist auf die Streckenkarte. Und die zeigt auch so etwas wie "Ersatz"-Bahnhöfe. "Böhlen, Lehndorf und Gößnitz - das sind die Bahnhöfe, die wir für mobilitätseingeschränkte Altenburg-Reisende empfehlen. Die drei Orte sind als Abhole- und Zubringe-Bahnhöfe jetzt mit zwei Dienstleistungspartnern vereinbart worden."

Allerdings müssten Reisende, die das Angebot nutzen wollen, 48 Stunden zuvor ihren Wunsch anmelden. Denn der Service werde von Behindertenfahrdiensten erbracht, die die Fahrt zusätzlich zu ihrem Tagesgeschäft übernehmen würden.

Erste Hilfe - aber weiter Zoff

Nach Auskunft der Bahn gilt das Angebot an Rollstuhlfahrer ab 13. Juli. Zusätzliche Kosten entstehen ihnen nach den Angaben von Bahnsprecher Böhnisch nicht. Stadtrat und Rad- und Bahnfahrer Peter Müller gibt sich damit aber nicht zufrieden: "Was wird mit denen, die mit Fahrrad, Rollator oder Kinderwagen unterwegs sind?" Jörg Bönisch sagt nur, es werde jetzt weiter nach Auswegen gesucht. Schwierig bleibe aber, dass rechts und links des Interimsbahnsteigs weiter gebaut wird und zeitgleich auch Züge rollen.

Aber nicht nur S-Bahnen und Personenzüge. "Da fahren auch Güterzüge, die ja in keinem Fahrplan für Reisende sichtbar sind. Also einen direkten Weg über die Gleise - das geht nicht so einfach.“ Es bleiben im Umgang mit den Reisenden am Bahnhof Altenburg noch offene Baustellen.

Bauprojekt in Altenburg überregional wichtig

Die eigentliche Bahnhofbaustelle gehört zu einem längst überfälligen Modernisierungsprojekt. Denn Altenburg liegt an einer transeuropäischen Bahnlinie, die das Mittelmeer mit Skandinavien verbindet.

Lärmschutzwände, neue Brücken, neue Gleise

Neue Gleise, Weichen, Oberleitungen, ein neues elektronisches Stellwerk, neue Brücken und allein vier Lärmschutzwände im Altenburger Stadtbereich - all das wird in den nächsten drei bis fünf Jahren gebaut. Damit dann Züge klimafreundlicher und schneller rollen können - im Personenverkehr mit Tempo 160, im Güterverkehr mit 120 Stundenkilometern.

"Alles gut und schön", sagt ein junger Mann, der gerade sein Fahrrad über die schwingende Behelfsblechbrücke gewuchtet hat. Er sei selbst Bahnkunde. Und Pendler. Da brauche er sein Fahrrad für den Weg zwischen Bahnhof und Arbeitsstelle in Altenburg. "Ich freue mich ehrlich, dass jetzt gebaut wird. Aber bitte nicht auf Kosten der Fahrgäste."

Anmerkung der Redaktion: Nach mehreren Beschwerden hat die Bahn reagiert und einen Taxi-Service für betroffene Zuggäste eingerichtet.

MDR (mm)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 12. Juli 2022 | 19:00 Uhr

2 Kommentare

martin am 13.07.2022

Ich finde es bemerkenswert, dass im 21. Jahrhundert die Zuwegung für mobilitätseingeschränkte Menschen für die DB offensichtlich keine Selbstverständlichkeit ist. Mir wäre es als Sprecher dieser Firma hochnotpeinlich, mich auf Argumente wie "im Planfeststellungsverfahren nicht gefordert" zurückziehen zu müssen. Wurden eigentlich Brand- und Arbeitsschutz im Planfeststellungsverfahren auch ausdrücklich eingefordert?

Christine55 am 12.07.2022

Es ist eine Zumutung für alle. Und das über fast 2 Jahre. Vielleicht sollte die DB den guten alten Gepäckträger aktivieren. Es wäre wenigstens Einigen geholfen.

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