JustizTerrorismus-Prozess am Oberlandesgericht: So planten mutmaßliche Islamisten aus Gera den Anschlag in Schweden
Am Oberlandesgericht Jena ist am Freitagvormittag ein Terrorverfahren gestartet. Angeklagt sind zwei Afghanen aus Gera. Ihnen wird die Planung eines islamistischen Anschlags auf das schwedische Parlament vorgeworfen. Dabei führen die Spuren der Ermittlungen in den Iran. Doch beide wurden wochenlang observiert. Ausgewertete Telegram-Chats der beiden sollen zeigen, wie sich die beiden mutmaßlichen Anhänger des "Islamischen Staates" vorbereitet haben.
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Ibrahim G. blieb misstrauisch. Er und sein mutmaßlicher Komplize Ramin N. waren beide auf der Hut, wenn sie sich in Gera bewegt haben. Das fällt auch den Überwachungsteams des Thüringer Verfassungsschutzes auf. In internen Berichten notieren die Agenten, dass sich die beiden hochkonspirativ verhielten.
Sie würden sich immer wieder an Orten treffen, an denen nicht sehr viele Menschen seien. Zudem würden sie ihre Umgebung aufmerksam registrieren. Die beiden hätten auch versucht, mögliche Überwacher abzuschütteln, indem sie mehrfach Wege genommen haben, die in der Streckenführung völlig unlogisch waren.
Chats auf Telegram ausgewertet
Dass vor allem Ibrahim G. Angst vor der Entdeckung hatte, geht aus internen Chats des Messenger-Dienstes Telegram mit seinem Kontaktmann bei der Terrorgruppe "Islamischer Staat" (IS) hervor. Vor allem wegen seines muslimischen Aussehens könne er der Polizei auffallen, schreibt er in einer Nachricht. Doch sein Gesprächspartner mit dem Decknamen "Talha" beruhigt ihn.
Er könne doch seinen Bart rasieren, schreibt "Talha" zurück. Das wäre jedenfalls erlaubt, wenn es der Sicherheit oder auch dem Erfolg einer solchen Operation diene. Das alles geht aus internen Unterlagen hervor, die MDR Investigativ einsehen konnte.
Schwedisches Parlament soll Ziel des Anschlages gewesen sein
Die Operation, über die beide sich ausgetauscht haben, sollte im Herzen der schwedischen Hauptstadt Stockholm stattfinden. Denn Ibrahim G. und sein mutmaßlicher Komplize Ramin N. planten offenbar einen Anschlag im Namen der IS-Terrorgruppe auf das schwedische Parlament. Auslöser dafür sollen mehrere Koran-Verbrennungen in Schweden gewesen sein.
Spuren führen in den Iran
Nach allem, was das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), das Thüringer Amt für Verfassungsschutz (AfV), das Bundeskriminalamt und die Bundesanwaltschaft zusammengetragen haben, soll vor allem Ibrahim G. für die Anschlagsvorbereitungen im Kontakt mit mutmaßlich hochrangigen Funktionären des IS gestanden haben.
Nach MDR Investigativ-Recherchen führen die Spuren der Ermittlungen in den Iran und zu einem Ableger des IS, der Gruppe "Islamische Staat Provinz Khorasan" (ISPK), die vor allem aus Zentralasien heraus operiert.
Tipp offenbar von ausländischem Geheimdienst - wochenlange Observation
Die deutschen Geheimdienste wurden offenbar durch einen Tipp aus dem Ausland auf die beiden mutmaßlichen IS-Anhänger aufmerksam. Auch der Bundesnachrichtendienst (BND) wurde eingeschaltet. Dabei soll es um Informationen über den Kontakt vor allem von G. zum IS und der Ablegergruppe ISPK gegangen sein. Mit diesen Hinweisen hefteten sich die Verfassungsschützer wochenlang an die Fersen der beiden Männer aus Gera.
Zum Aufklappen: Wer ist der ISPK?
Der "Islamischer Staat Provinz Khorosan" gilt als besonders gefährlicher IS-Ableger. Der ISPK sei eine besonders gefährliche Teilgruppe des IS, sagte Thüringens oberster Verfassungsschützer Stephan Kramer. "Er ist weltweit mit entsprechenden Strukturen aufgestellt, um solche Anschläge in den Westen hineinzutragen." Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, hatte bereits 2023 betont, unter den verschiedenen Ablegern des IS steche der ISPK besonders hervor.
Der ISPK trägt in Afghanistan schon seit einigen Jahren einen bewaffneten Konflikt mit den militant-islamistischen Taliban aus. In den vergangenen Monaten hatte es in Deutschland immer wieder Festnahmen im Zusammenhang mit dem ISPK gegeben. Unter anderem wurde die Gruppierung mit möglichen Anschlagsplänen auf den Kölner Dom rund um den Jahreswechsel in Verbindung gebracht.
Verdächtige wollten sich Waffen auf tschechischen Schwarzmarkt besorgen
Anfang September 2023 verfolgte ein Überwachungsteam des BfV Ibrahim G. und Ramin N. zu einem Schwarzmarkt kurz hinter der deutsch-tschechischen Grenze. Nach Erkenntnissen der Ermittler sollen dort illegal Waffen gehandelt werden. Auf der Rückfahrt passierte dann etwas, womit auch die Verfassungsschützer offenbar nicht gerechnet hatten. Die Polizei hielt die beiden Verdächtigen an.
Bei der Kontrolle fanden die Beamten einen Schlagring im Auto und beschlagnahmten die Handys der beiden. Beim Auslesen der Telefone entdeckten die Ermittler die ausführliche Kommunikation mit den mutmaßlichen Kontaktmännern beim IS, die Anschlagspläne und Spuren in den Iran. Damit wurde aus einer geheimdienstlichen Überwachung ein polizeiliches Ermittlungsverfahren.
Spenden für gefangenen IS-Anhänger
Ibrahim G. und Ramin N. stammen beide aus Afghanistan und sind 2015 beziehungsweise 2016 nach Deutschland eingereist. Beide lebten bis zu ihrer Festnahme Mitte März diesen Jahres in Gera. Ibrahim G. soll sich dort radikalisiert und ab Frühjahr 2023 Kontakt zur Terrororganisation IS aufgenommen haben. Nach MDR Investigativ-Recherchen entstand über den Messengerdienst Telegram der Kontakt zu einem "Akhi".
Die Ermittler gehen davon aus, dass dieser als IS-Aktivist von Iran aus operiert. Mit ihm soll G. zunächst das Sammeln von Spenden verabredet haben. Das Geld sollte in das nordsyrische Flüchtlingslager Al Hol geschickt werden, um die dort internierten weiblichen IS-Anhängerinnen zu unterstützen.
Gelder über iranische Bank transferiert
Nach MDR Investigativ-Recherchen gelang es G. offenbar, über 2.000 Euro zu organisieren und einem in Deutschland lebenden Mittelsmann zu übergeben. Dieser soll das Geld über eine iranische Bank an "Akhi" transferiert haben. Doch damit endete der Kontakt zwischen den beiden nicht.
Zuerst erklärte G. "Akhi", dass er und sein Freund Ramin planten, im Ausland für den IS kämpfen zu wollen. Dafür wollten beide nach Nigeria ausreisen. Dazu kam es aber nicht, weil es ihnen offenbar nicht gelang, einen Kontakt zu den dortigen IS-Zellen herzustellen.
Kontakt zu hochrangigen IS-Funktionären
Stattdessen vermittelte "Akhi" G. wiederum an weitere IS-Kontaktleute, darunter auch den bereits erwähnten "Talha". Nach Informationen von MDR Investigativ gehen Terroranalysten des FBI davon aus, dass es sich bei "Talha" um Muhammad A. handelt, ein offenbar hochrangiges Mitglied des IS-Ablegers ISPK.
Zuvor soll Ibrahim G. einen Treue-Eid auf die Organisation abgelegt haben, um dann mit seinem mutmaßlichen Komplizen Ramin und mit Hilfe von "Talha" am Anschlagsplan für Schweden zu arbeiten.
Besonders "Talha" legte offenbar Wert darauf, dass zuerst die Waffen besorgt und dann das eigentliche Ziel in Stockholm ausgekundschaftet werden sollten.
Waffenkauf in Tschechien scheitert
Doch das gestaltete sich schwieriger als gedacht. So soll Ramin N. Kontakt zu einem Albaner gehabt haben, der eine Pistole angeboten haben soll. Aber offenbar habe es Zweifel gegeben, ob die Waffe funktioniert.
In der Folge sollen beide dann ihre Reise auf den Schwarzmarkt in Nähe des tschechischen Karlsbads geplant haben. Die Verfassungsschützer notierten, dass beide vor der Fahrt auf die Autobahn noch eine Moschee in Gera besucht hatten, die seit längerem überwacht wird.
Was sie da konkret getan haben, ist bisher unklar. Die Fahrt nach Tschechien war für die beiden Verdächtigen dann kein Erfolg: Sie fanden dort keine Waffen.
Festnahme im Frühjahr in Gera
Nach der Polizeikontrolle und den Funden auf den Handys der beiden schaltete sich offenbar das Bundeskriminalamt und die Bundesanwaltschaft ein. Auch nach der Fahrt auf den tschechischen Schwarzmarkt wurden Ibrahim G. und Ramin N. weiter überwacht.
Am 19. März dieses Jahres klickten dann die Handschellen. Inzwischen sind beide am Oberlandesgericht Jena unter anderem wegen Mitgliedschaft und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung angeklagt. Ihre Anwälte wollten sich auf Anfrage nicht äußern, doch einer der beiden Angeklagten äußerte sich zum Prozessauftakt am Freitag in Jena zu seinen Lebensumständen.
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MDR (jn)
Dieses Thema im Programm:MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 14. November 2024 | 19:00 Uhr