Kinderbetreuung Wie Gera den Erzieherinnenmangel in Kindergärten lösen will

08. November 2022, 14:55 Uhr

Zusätzliche Kinder aus der Ukraine verschärfen das Personalproblem in den Kindergärten in Thüringen. Geras Oberbürgermeister Julian Vonarb schlägt eine Lösung vor, die nicht unproblematisch ist.

"Unsere Erzieher arbeiten schon ziemlich hart. Ziemlich am Limit." So bringt Mirco Trippens auf den Punkt, was er in den Kindergärten in Gera beobachtet hat. Der kaufmännische Angestellte ist Stadtelternsprecher und stellvertretender Landeselternsprecher für die Kindertagesstätten. Und ihm ist klar: Der Krieg in der Ukraine schlägt langsam durch - bis in die Thüringer Kindergärten.

Flüchtlingskinder bereits im Kindergarten integrieren

Mirco Trippens hat noch genau im Ohr, was gerade erst zur Sprache kam, als sich in Gera die Elternvertreter aus Kindertageseinrichtungen in ganz Deutschland trafen: Viele Kriegsflüchtlinge, die ganz schnell zurück in die Heimat wollten, werden aufgrund der Kriegsentwicklung dort nicht so schnell in die Ukraine zurückkehren können. Mirco Trippens kann daraus nur eine Überlegung ableiten. Wenn der Krieg länger andauert, dann werden die Flüchtlingskinder ihre Schulpflicht bei uns erfüllen müssen. "Und da wäre es sinnvoll, sie zuvor schon im Kindergarten zu integrieren", sagt er.

700 ukrainische Kinder in Gera

Geras Oberbürgermeister Julian Vonarb sieht das nicht anders. Der parteilose Kommunalpolitiker hat bei Gesprächen mit Frauen aus der Ukraine gehört, dass viele von ihnen gern arbeiten würden. Dazu aber müssten ihre Kinder betreut werden. In der 95.000-Einwohner-Stadt Gera sind seit März 2022 rund 2.000 Kriegsflüchtlinge angekommen. Die Hälfte davon sind Frauen, über 700 der Ankömmlinge sind Kinder, rechnet der Oberbürgermeister vor.

Oberbürgermeister: Gera soll familienfreundlich bleiben

Vonarb sagt, er sei bisher immer stolz darauf gewesen, wie familienfreundlich seine Stadt ist: Wenn ein Kindergartenplatz benötigt wurde, dann dauerte es bislang in Gera höchstens acht Wochen bis zur Aufnahme. Beste Bedingungen für junge Familien und ihre Kinder - das bleibt auch jetzt das Ziel. Aber lässt es sich durchhalten, wenn immer mehr kleine Ukrainer aufgenommen werden sollen?

Thüringen: Klare Regeln zur Qualität der frühkindlichen Erziehung

Thüringen hat klare Regeln, wie die Qualität für frühkindliche Erziehung und Betreuung in den Kindergärten abgesichert sein soll. Dafür gibt es einen sogenannten Betreuungsschlüssel. Der legt fest, um wieviele Kinder einer Altersstufe sich eine pädagogische Fachkraft kümmern soll. Bei den Ein- bis Zweijährigen soll eine Erzieherin für sechs Kinder da sein.

Je älter die Kinder, umso größer die Gruppen

Je älter die Mädchen und Jungen werden, umso größer können die Gruppen sein, für die eine Fachkraft da sein muss. Bei den vier- bis fünfjährigen Kindern reicht eine Erzieherin für 14 Schützlinge. Ab sechs Jahre dürfen es 16 Kinder bei einer Fachkraft sein. Aber dieser Schlüssel klemmt, wenn noch mehr ukrainische Kinder aufgenommen werden sollen. "Ich bin da pragmatisch", sagt Geras Oberbürgermeister.

Wir brauchen eine Lösung jetzt.

Julian Vonarb Oberbürgermeister Gera

"Es wird Jahre dauern, bis mehr Fachkräfte ausgebildet sein werden. Wir brauchen aber eine Lösung jetzt. Warum also nicht zeitlich befristet den Betreuungsschlüssel lockern?" Mit dieser Frage löste Julian Vonarb bei vielen Elternvertretern keinen Jubel aus. Gerade weil Kinder, die nicht Deutsch als Muttersprache haben, noch zusätzliche Aufmerksamkeit brauchen, müssten die Erzieherinnen vor Überbelastungen geschützt werden.

Michael Doller kennt die 40 Kindergärten in Gera. Er war der Vorgänger von Mirco Trippens im Stadtelternbeirat. Jetzt ist Doller im Landeselternbeirat der Grundschulen. Er ist im Ehrenamt also gewissermaßen mit seinen Kindern gewachsen. Und hatte schon vor Jahren eine Idee, die er jetzt erneut ins Spiel bringt: Die Erzieherinnen entlasten. Durch mehr Helfer.

Wir haben so viele Kindergärtnerinnen, die jetzt schon an ihre Grenzen gehen.

Michael Doller Landeselternbeirat der Grundschulen

Doller sagt: "Kinder anziehen, im Sommer eincremen mit Sonnenschutzcreme. Kinder für den Kinderwagen fertigmachen, gerade in den kleinen Gruppen Kinder wickeln. Dafür sollte es Hilfspersonal geben - das wünsch ich mir nach wie vor. Denn wir haben so viele Kindergärtnerinnen, die jetzt schon an ihre Grenzen gehen."

Kerstin Schmidt-Kästner stimmt zu. Die Chefin in der Geraer Einrichtung "Kinderwelt" hat 14 Erzieherinnen. Für sieben Gruppen. Und eine Erziehungshelferin, die ihr Freiwilliges Soziales Jahr in der "Kinderwelt" macht. In diesem Kindergarten werden Mädchen und Jungen aus der ganzen Stadt betreut. Darunter Kinder aus syrischen und rumänischen Familien.

Mehr Helfer für die Erzieher wären gut.

Kerstin Schmidt-Kästner Kindergartenleiterin in Gera

Auch die ersten kleinen Ukrainer sind schon da, weitere Anmeldungen gebe es schon, sagt die Kindergartenchefin. "Wir haben zurzeit nur drei Kinder aus der Ukraine. Daher gestaltet es sich noch etwas einfacher. Wir können uns für sie noch die Zeit dafür nehmen. Sollten aber mehr dazu kommen, würde ich es als problematisch ansehen." Und dann fügt sie noch hinzu, mehr Helfer für die Erzieher - das fände sie gut.

Wo aber sollen die Helfer für die Kindergärtnerinnen herkommen? Wie würde ihre Unterstützung bezahlt? Elternvertreter Michael Doller gibt unumwunden zu, dass es wohl nicht einfach wird mit der Finanzierung. Die Kosten für die Kindergartenbetreuung werden von Eltern, Landkreisen- und Städten und vom Land aufgebracht - sie müssten das auch mit den Trägern der Kindergärten für die Helfer auf die Beine stellen.

Geras OB: Land muss mitspielen

Egal ob Helfer zu beschäftigen sind oder ob der Betreuungsschlüssel verändert würde - das Land müsste dafür grünes Licht gebe, sagt Geras Oberbürgermeister. Und ist sich sicher, "sobald es da eine Adjustage gibt, lässt sich die Abrechnung zwischen Trägern und Stadt klären". Und dann sagt Julian Vonarb noch, in Gera solle noch einmal geprüft werden, wer unter den ukrainischen Flüchtlingsfrauen schon in der Heimat in der Kinderbetreuung gearbeitet hat. Gut denkbar, dass aus ihren Kreisen Helferinnen für die Kindergärten kommen können.

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MDR (caf)

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Thüringen Journal | 08. November 2022 | 19:00 Uhr

15 Kommentare

Twinkle am 09.11.2022

Ich bin selber Erzieherin und muss zugeben, dass ich mich über diesen Artikel sehr ärgere.
Schon in der Überschrift kommt der erste ärgerliche Moment auf einen zu: "ErzieherINNENmangel".
Ich verstehe gar nicht, dass so etwas geschrieben werden darf. Das zeigt wenig Anerkennung gegenüber den männlichen Kollegen.
Beim Blick auf den Betreuungsschlüssel in Thüringen ärgere ich mich gleich wieder. Der ist viel zu hoch! Dafür kann die Redaktion nichts, ich weiss. Aber insgesamt lese ich sowieso nur von der schweren Tätigkeit des An- und Ausziehens und nichts von der pädagogischen Arbeit, die wir Erzieher und Erzieherinnen täglich leisten wollen und sollen.
Ständig wird davon geredet, dass der Beruf attraktiver werden soll. Durch diesen Artikel ganz bestimmt nicht.
Ich bin mir sicher, dass sich sehr viele Erzieherinnen und Erzieher über diesen Bericht ärgern. Und das neben der Aussicht in Zukunft noch mehr Kinder betreuen zu dürfen. Wobei man dann eher von Beaufsichtigen sprechen müsste.

Arbeitende Rentnerin am 09.11.2022

Bin nicht gegen mehr Personal, das gibt es aber nicht und wenn der Betreuungsschlüssel "temporär" geändert werden soll, weiß man ja wie das ausgeht, wer ein bisschen Ahnung von Kindern hat, kommt nicht auf so eine Idee. Man sollte endlich den Mumm haben und niemanden mehr aufnehmen. Wenn Frauen nicht arbeiten, brauchen sie auch keinen vom Steuerzahler gestützten Betreuungsplatz.

astrodon am 09.11.2022

@mattotaupa: Ja, schon .. aber: Wenn ich die Möglichkeit habe eine Erzieherin mit Ausbildung, aber ohne Anerkennung des Abschlusses in D, oder jemand anderen einzustellen - wen werde ich da wohl nehmen ?

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