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Langzeitfolgen nach CoronaLong Covid: Wenn die Therapeutin zur Patientin wird

19. Juli 2022, 12:18 Uhr

Kurz vor dem 15. Jubiläum stand die Praxis von Carolin Adler fast vor dem Aus. Der Grund: Die Ergotherapeutin aus Gera war an Long Covid erkrankt. Selbst über ein Jahr nach der Erkrankung und trotz zweifacher Reha kann sie noch nicht wieder voll arbeiten. Ihr Team hielt die Praxis am Laufen. Als Selbstständige allein hätte Carolin Adler das kaum geschafft.

von Marian Riedel, MDR THÜRINGEN

Ja, sie habe sich daran gewöhnt, dass ihre Chefin jetzt manchmal ihre Patientin sei, sagt Isi. Sie arbeitet in Gera in einer Praxis, die den Namen der Chefin trägt: Ergotherapie Carolin Adler. "Die Carolin, die ist eine, die eigentlich immer da ist. Eine, die alles im Griff hat", erzählt Isi. Doch damit war im März 2021 plötzlich Schluss. Carolin Adler hatte sich das Corona-Virus eingefangen.

Allein das sorgte schon für einen Schreck im Team. Immerhin neun Kolleginnen gehören dazu. "Also wir waren da am Anfang schon verunsichert. Weil wir das so nicht kannten", erinnert sich Isi, die eigentlich Marie-Louise Strom heißt. Isis Namen kennen inzwischen auch die Mitarbeiter in der Zulassungsstelle der Krankenkassen. Denn Isi musste einspringen, damit das Praxisteam weiterarbeiten konnte.

Kein Praxisbetrieb ohne fachliche Leitung

Wer schwer krank in der Klinik liegt, der darf als Unternehmer trotzdem einiges nicht vergessen. Das gilt auch für einen Praxisbetrieb wie den von Carolin Adler. "Es ist gut, dass es Grundsätze gibt. Zum Beispiel: keine Praxis ohne fachliche Leitung! Aber ehrlich gesagt, habe ich da mit keiner Silbe dran gedacht: Wenn ich krank werde, dann muss die Leitung alternativ weitergeführt werden."

Die Alternative zur Chefin war in diesem Fall Isi. Marie-Louise Strom verfügt nicht nur über das Grundwissen ihres Berufes. Mehr als zwei Dutzend Zusatzausbildungen hat sie gemacht-– zum Beispiel als Entspannungspädagogin und als Kunsttherapeutin. Zudem beherrscht sie auch das Stressmanagement. Also übernahm sie es, die Praxis als Leitende Therapeutin während der Krankheit der Chefin zu führen.

Bittere Erkenntnis - Corona raubt Kraft für lange Zeit

Das Team hielt zueinander. Hielt durch, auch als klar wurde, dass die Chefin nicht nur für ein paar Tage oder Wochen ausfällt. Carolin Adler kam nach der akuten Erkrankung einfach nicht wieder auf die Beine. "Das darf man wörtlich nehmen", sagt sie. Schon bald nach der Behandlung auf der Corona-Station im Krankenhaus fährt sie zu einer ersten Reha. Als Therapeutin ist sie nun Patientin und bemerkt es selbst: Sie wird wohl lange Patientin bleiben.

Ihrem Team versucht sie per Telefon zur Seite zu stehen. Aber es fällt schwer - das Virus hat bei ihr nicht nur die Muskeln, sondern auch die Nerven angegriffen. Eine zweite Reha folgt, bei der sie auch ihr Konzentrationsvermögen trainiert.

Später, als sich in Gera eine Selbsthilfegruppe für Long Covid gründet, zeigt sich: Die Erkrankung führt bei vielen dazu, dass sie sich nur schwer konzentrieren können. Die Gedankenarbeit wird dann zum kraftzehrenden Akt.

Durch Corona in Existenznot

In so einer Situation schafft es nicht jeder, seine berufliche Existenz zu retten. Aber Verständnis und Hilfe finden? Für die Betroffenen ist das manchmal unmöglich. Zumal ihnen oft die Kraft und Ausdauer fehlen, sich mit bürokratischen Verfahren bei Behörden, Berufsgenossenschaften oder Krankenkassen auseinanderzusetzen.

Gerade deshalb sei es sinnvoll, sich gegenseitig Mut zuzusprechen und Erfahrungen auszutauschen, sagt Carolin Adler. Aber: Auch der Weg zur Selbsthilfegruppe, die Treffen und die Gespräche dort gehen an die Substanz der Long-Covid-Betroffenen.

Wer als Selbständiger oder Kleinunternehmer auf sich allein gestellt ist, der hat schlechte Karten, sagt die Praxisinhaberin. Zahlen, wie viele Unternehmer wegen Long Covid aufgeben mussten - die hat auch die Selbsthilfegruppe nicht.

Persönlich habe sich Carolin Adler ihr eigenes Durchhalte-Motto gemacht: "Schmerzen weglächeln". Nein, das klappe nicht immer. Und auch nicht den ganzen Tag lang. Erst recht nicht, wenn es plötzlich wieder ein Problem mehr gibt. "März letzten Jahres war meine Erkrankung. Der Schock war jetzt im Juni, als die Krankenkasse mir rückwirkend zu Mai gesagt hat, die Krankschreibung läuft nicht weiter."

Jubiläum mit Verspätung

Carolin Adler hatte vor ihrer Erkrankung auch selbst Patienten behandelt. Und klar, das wollte sie unbedingt so schnell wie möglich wieder tun. Noch aber ist sie froh, dass ihre Kolleginnen Patienten übernommen haben.

Sie selbst behandle jetzt zwei bis drei in der Woche. Mehr schaffe sie noch nicht wieder, gesteht die Chefin. Und fügt hinzu: "Ich habe einfach ein tolles Team. Was soll ich da sagen: Die sind grandios. Ich geb‘ sie nicht her." Trotz der schwierigen Situation haben die Kolleginnen zum Teil noch neue Aufgaben übernommen oder zusätzliche Qualifikationen abgeschlossen.

Was soll ich da sagen: Die sind grandios. Ich geb‘ sie nicht her.

Carolin Adler, Ergotherapeutin, über ihr Praxis-Team

Es gab also einen guten Grund, endlich im Team zu feiern. Das, was voriges Jahr wegen der Erkrankung der Chefin ausfallen musste - die Feier zum 15. Praxisjubiläum.

MDR (fra)

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Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | THÜRINGEN JOURNAL | 20. Juli 2022 | 19:30 Uhr