Ein Patient wird in eine Röhre für ein MRT gebracht
Termine für ein MRT können lange dauern. Werden sie zu oft ohne medizinischen Nutzen vergeben? Bildrechte: MDR/Hauptsache gesund

Interview Jenaer Gesundheitswissenschaftlerin: Häufig überflüssige Behandlungen

04. September 2023, 18:17 Uhr

Welche Gesundheitsversorgung ist sinnvoll? Und wie viele Ärzte braucht Thüringen eigentlich? Ein Gespräch mit Prof. Verena Vogt, Gesundheitswissenschaftlerin am Uni-Klinikum Jena mit dem Schwerpunkt Versorgungsforschung.

Woran macht man den Bedarf an Ärzten fest?

Verena Vogt: Es gibt eine Bedarfsplanung, die legt fest, wie viele Einwohner ein Arzt idealerweise versorgen sollte. In der Bedarfsplanung wird hierfür nämlich einfach der Ist-Zustand in einem bestimmten Jahr genommen und das dann weiter fortgeschrieben. Aber das ist natürlich nicht wirklich das, was man eigentlich braucht, sondern es spiegelt einfach den Ist-Zustand wider.

Um herauszufinden, was eigentlich die optimale Anzahl oder der Bedarf eigentlich wirklich ist, wurde mal ein Gutachten in Auftrag gegeben. Das Ergebnis war am Ende über 800 Seiten lang und umgesetzt wird es bis heute auch immer nicht so richtig. Also man sieht, wie komplex es ist, zu sagen, was Bedarf eigentlich ist.

Spielt dabei der Altersdurchschnitt der Bevölkerung eine Rolle?

Verena Vogt: Ja klar, der Altersdurchschnitt spielt sogar eine sehr große Rolle, weil man kann sich denken: Je älter ich bin, desto mehr medizinische Versorgung brauche ich auch. Wir werden ja mit dem Alter nicht gesünder, deswegen brauchen wir im Alter auch nicht weniger, sondern mehr Ärzte.

Wie sieht die Versorgung im Detail aus? Ist diese immer gerechtfertigt? MRT-Praxen beispielsweise sind voll, aber ist das alleinig der Inbegriff von Versorgung?

Verena Vogt: Ja, das ist auch eine gute Frage. Genau das, womit ich mich in meiner Forschung befasse, davon könnte ich auch jetzt lange was erzählen. Wir sehen nämlich in den Daten, mit denen wir arbeiten, häufig, dass Leistungen erbracht werden, die nämlich eigentlich gar keinen medizinischen Nutzen für die Patienten haben und dieses System auch, würde ich hier mal sagen, unnötigerweise verstopfen. Und MRTs, die haben Sie gerade angebracht, sind da ein gutes Beispiel.

Wir sehen zum Beispiel, dass viele MRTs bei Patienten mit unspezifischen Kreuzschmerzen gemacht werden, obwohl wir eigentlich aus der Forschung wissen, dass es besser wäre, erst mal abzuwarten und dem Patienten Bewegung zu empfehlen. Und ja, letztlich können solche überflüssigen Untersuchungen dem Patienten auch schaden.

Können wir uns in benachbarten Bundesländern oder generell etwas in der EU abschauen, was für uns hier richtungsweisend sein könnte?

Verena Vogt: Ja, auf jeden Fall. Das machen wir ganz viel in der Versorgungsforschung, mit anderen Ländern zu vergleichen. Und was wir zum Beispiel lernen können von anderen Gesundheitssystemen ist, dass in anderen Ländern - und vielen Ländern ist es zum Beispiel selbstverständlich - dass die Patienten mit Ihren Beschwerden immer zuerst zum Hausarzt gehen und dieser Hausarzt dann die Patienten durch das System lotst und die Versorgung koordiniert. Und der passt dann auch darauf auf, dass keine unnötige Versorgung stattfindet. Das nennt man "Gate-Keeping-System", also zum Beispiel, wie quasi der Torhüter für das Gesundheitssystem. Und das ist was, was wir in Deutschland noch nicht haben und worüber wir auch mal nachdenken könnten, ob es vielleicht sinnvoll ist, das einzuführen, um eben auch ne' besser koordinierte Versorgung zu haben.

Und um das Beispiel mit den MRTs doch noch mal aufzugreifen. Wenn wir uns da quasi mit anderen Ländern vergleichen, dann sehen wir, dass wir international an der Spitze stehen. Wir machen mit die meisten MRTs pro Einwohner. Wir sehen aber nicht, dass das zu einer besseren Gesundheit führen würde. Also können wir uns vielleicht die Frage stellen, wieviel davon brauchen wir eigentlich wirklich und sollten wir vielleicht nicht unser System so umbauen, dass die wirklich wesentlichen Dinge gut behandelt werden können und wir die überflüssigen auslassen.

Ärztemangel als Thema bei Fakt ist! aus Erfurt

Mit der Gesundheitsversorgung befasst sich am Montag auch die neue Folge von Fakt ist! aus Erfurt. Unter der Überschrift "Hilfe, mein Arzt geht in Rente!" diskutieren die Gäste über Probleme und Herausforderungen bei der ambulanten Gesundheitsversorgung - am Montag, dem 4. September, ab 20:30 Uhr im Livestream auf mdr.de und ab 22:10 Uhr im MDR FERNSEHEN.

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MDR (cfr)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Das Fazit vom Tag | 04. September 2023 | 18:00 Uhr

6 Kommentare

salzbrot am 05.09.2023

Leider kann man unter dem Artikel zur MDR-Umfrage Ärztemangel kommentieren. Deshalb tue ich es hier. Ich gehe davon aus, dass kein Arzt, den Vorschlägen der Befragten zustimmen würde. Und offenbar weiß kaum einer, was ein Medizinstudienplatz uns Steuerzahler kostet, nämlich mindestens 200.000 EUR. Und es ist jetzt bereits so, dass es viel mehr Bewerber:innen für einen Medizinstudienplatz gibt mit 1,0 Abitur, die Medizin studieren wollen als Studienplätze. Man muss die Bewerbungskriterien also nicht aufweichen.

salzbrot am 05.09.2023

Kein Patient in Deutschland fühlt sich ohn MRT ernst genommen und ärztlich adäquat betreut. Die Radiolog:innen als allerbest verdienenste Ärztegruppe freuts, auch wenn es den wenigsten Patienten danach besser geht. Die ganze Beitragskohle, die im MRT verschwindet, steht nicht für die sprechende medizinische Versorgung zur Verfügung.

AlexLeipzig am 05.09.2023

Mit den Krankenhäusern hat das erstmal wenig zu tun, da es um unnötige ambulante Untersuchungen und Therapien geht (Beispiel Rückenschmerz, Orthopäde, MRT und Physiotherapie).

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