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Konstantin macht sich bereit für die Pause. Draußen warten seine Freunde. Bildrechte: MDR/Mai-Charlott Heinze

BildungWelt-Down-Syndrom-Tag: Warum Inklusion schwierig oder einfach sein kann

21. März 2024, 08:00 Uhr

Am 21. März ist Down-Syndrom-Tag. Für Schülerinnen und Schüler mit dem Syndrom kann der Besuch einer gewöhnlichen allgemeinbildenden Schule schwierig sein. Eltern klagen über Bürokratie und Vorurteile.

von Mai-Charlott Heinze, MDR THÜRINGEN

Erde spritzt umher. Gleich zwei Handschaufeln graben immer tiefer in eine Plastikwanne. Konstantin (14) hat gerade MNT-Unterricht, das steht für Mensch-Natur-Technik. In der Projektwoche geht es heute um Pflanzen, und so buddelt er eine Grünlilie ein. Zwischendurch macht er kleine Zeichnungen in seine Hefter.

Seine Klassenkameraden wuseln um ihn herum. Skizzieren Sprösslinge, experimentieren mit Stärke oder zählen Früblüher auf. Eine normale Schulklasse und mittendrin eben Konstantin: ein Junge mit Down-Syndrom.

Etwa 50.000 Menschen in Deutschland haben das Down-Syndrom. Bei ihnen ist das 21. Chromosom dreimal vorhanden. Stattdessen handelt es sich um eine Variante des menschlichen Chromosomensatzes, bei der im Körper 47 statt üblicherweise 46 Chromosomen vorhanden sind. Konstantin ist einer von ihnen und besucht die Gesamtschule "UniverSaale" in Jena.

Zusammen mit einem Schulbegleiter geht er in die sechste Klasse. Lieblingsfach: Geschichte. "Dann möchte ich später Historiker werden und zusammen mit Adrian nach Regensburg gehen. Der ist dann Chemiker und ich Historiker."

Was sind Chromosomen?Chromosomen befinden sich in den Kernen der Körperzellen. Sie enthalten die ererbten Eigenschaften. Darunter ist also ein Strang DNA, der unsere Erbinformationen enthält, zu verstehen. Üblicherweise hat ein Mensch 46 Chromosomen. 23 davon stammen von der Mutter. Die andere Hälfte kommt vom Vater.

Gemeinsames Lernen im "Thüringer Entwicklungssplan" verankert

Adrian hat nicht das Down-Syndrom und auch viele seiner anderen Freunde haben kein Handicap. In der Pause ziehen sie Konstantin einfach mit. Rennen los und spielen "Römer und Legionär" auf dem Schulhof. Gelebte Inklusion, so wie sie seit 2013 auch im "Thüringer Entwicklungsplan Inklusion" zur Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung und seinen Fortschreibungen verankert ist. Das Ziel: Im Thüringer Schulsystem sollen Heranwachsende individuell gefördert werden, um so den bestmöglichen Schulabschluss zu erreichen.

Konstantin hat MNT-Unterricht. Zusammen mit seinen Mitschülern gräbt er Pflanzen ein. Bildrechte: MDR/Mai-Charlott Heinze

Dazu stehen den Kindern verschiedene Schularten, Schulformen und Bildungsgänge offen, die durch individuelle sonderpädagogische Förderungen ergänzt werden. Das kann an gemeinsamen Schulen oder Förderschulen passieren. Seit Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention im März 2009 arbeiten die Länder daran, inklusive Bildung zu ermöglichen.

Warum muss es denjenigen, die es eh schon schwer haben, weil ihnen zum Beispiel das Lernen schwerfällt, durch die Amtsbestimmungen noch schwerer gemacht werden?

Claudia Thein

In der Grundschule kann Inklusion noch gelingen

Auch Claudia Thein (54) hat einen Sohn mit Down-Syndrom. Luca ist heute 21 Jahre alt. Wird sie auf das Thema Inklusion an Thüringer Schulen angesprochen, schüttelt sie den Kopf. "Ich kann ein Buch über meine 20 Jahre Erfahrung mit der Inklusion schreiben", erklärt sie. Nach sechs Jahren Grundschule und drei Jahren Regelschule geht Luca heute auf eine Förderschule in Südthüringen. "Ich war des Kampfes müde", sagt sie auf die Frage, warum Luca gewechselt ist.

In der Grundschulzeit habe die Integration an einer staatlichen Schule noch gut funktioniert. Alle Institutionen hätten an einem Strang gezogen: Schulamt, Förderschule - diese stellen die Sonderpädagogen -, Sozialamt, die Awo als Arbeitgeber des Schulbegleiters und Grundschule. Claudia Thein suchte eine Schulbegleiterin, Luca konnte eingeschult werden.

Claudia Thein und ihr Sohn Luca mussten schon einige Hürden meistern, gerade wenn es um die Schule ging. Bildrechte: Claudia Thein

Doch der Wechsel auf eine weiterführende Schule gestaltete sich schwierig. Thein sagt, schon bei der Anmeldung sei ihr klargemacht worden, dass die Schule ihren Sohn nur ungern aufnehmen würde. Doch Thein berief sich auf die freie Schulwahl. Ihr war es wichtig, Luca nicht aus seinem Freundeskreis herauszureißen. "Schon beim Tag der offenen Tür kannte er so viele. Das waren ja seine Freunde aus der Grundschule."

Zehn verschiedene Unterschriften - eine Klassenfahrt

Doch die drei Jahre fordern Thein. Überall stößt sie auf Hindernisse. Für eine Klassenfahrt muss sie von zehn verschiedenen Personen und Ämtern Unterschriften bringen, damit ihr Sohn eine Betreuung bekommt und mitdarf. Hinzu kommen weitere Anträge, die jedes Jahr wieder aufs Neue gestellt werden müssen, wie der Antrag auf einen Schulbegleiter: "Ich habe zu denen gesagt, das Down-Syndrom geht doch nicht weg. Geben Sie ihn mir doch wenigstens für die Grundschulzeit."

Auch im Unterricht selbst funktioniert die Inklusion in einigen Fächern besser und in anderen schlechter. "In Sport, Kunst und Musik hat es funktioniert. Da war Luca eben mittendrin zwischen den Kindern. Der Rest war fast ausschließlich Frontalunterricht." Luca saß dann an einem Tisch in der hintersten Bankreihe mit seiner Schulbegleiterin, die mit ihm andere Aufgaben löste.

Einige Stunden in der Woche kam eine sonderpädagogische Fachkraft oder eine Sonderpädagogin an die Schule. Mit ihnen ging Luca außerhalb des Klassenraums den Lernstoff durch.

Bürokratie bremst Inklusion

Es ist besonders die Bürokratie, von der sich Eltern von Kindern mit Trisomie 21 wünschen, dass sie einfacher wird. Oft wissen die Eltern gar nicht, wohin sie sich wenden müssen, welche Ansprüche sie haben und welche Anträge benötigt werden.

Thein sagt: "Wenn man ein Kind mit Handicap hat, das an eine staatliche Schule geht - wo es regulär hingehört -geht nichts automatisch. Andere melden ihr Kind an der weiterführenden Schule an und dort geht es bis zum Abschluss hin. Bei uns ist das nicht so."

Es sind Fahrdienste, die nicht genehmigt werden, weil das Kind an eine andere Schule geht, als an die nächstgelegene und von den Behörden vorgeschlagene, oder die fehlende Hort- und Ferienbetreuung.

Eltern von Kindern mit Down-Syndrom, die nicht an Förderschulen sind, müssen in den Ferien planen, wo und wie ihre Kinder betreut werden. Nicht immer gibt es von den Schulen Ferienangebote. Oft müssen die Familien dann Urlaub nehmen, damit ihre Kinder eine Aufsicht haben. Das Thüringer Ministerium für Bildung, Jugend und Sport erklärt auf Nachfrage, dass die Betreuung auch bei einem sonderpädagogischen Unterstützungsbedarf durch das zuständige Netzwerkförderzentrum personell unterstützt wird. Für die Koordinierung sind die jeweiligen Schulämter verantwortlich.

Wenn Ferienangebote vorhanden sind, muss trotzdem um die Betreuung gekämpft werden. Konstantins Mutter, Christina Schumann (53), sieht das als Diskriminierung. Während andere Kinder einfach in die Ferienbetreuung gehen können, muss sie für jeden Ferientag einen eigenen Antrag stellen. "Wir müssen praktisch unser gesamtes Vermögen offenlegen und werden herangezogen, um die Begleitung mitzufinanzieren. Das ist eine große Diskriminierung gegenüber den anderen Kindern, die einfach kommen und gehen können."

In Südthüringen kenne ich aktuell kein Kind mit Down-Syndrom, das integrativ an einer staatlichen Schule lernt.

Claudia Thein

Claudia Thein zieht eine Bilanz der Schulinklusion: "In Südthüringen kenne ich aktuell kein Kind mit Down-Syndrom, das integrativ an einer staatlichen Schule lernt. Das ist doch erschreckend." Sie selbst hat mit anderen Eltern eine Selbsthilfegruppe gegründet, um sich mit anderen Familien über ihre Erfahrungen auszutauschen. Nach drei Jahren zieht Lucas Schulbegleiterin um.

Thein beschließt daraufhin, Luca von der Regelschule herunterzunehmen. Noch einmal die bisher bestrittenen Kämpfe von vorne zu fechten, dazu fehlte ihr die Kraft. "Warum muss es denjenigen, die es eh schon schwer haben, weil ihnen zum Beispiel das Lernen schwerfällt, durch die Amtsbestimmungen noch schwerer gemacht werden?", fragt sie.

Trotzdem würde sie alles noch einmal genauso machen. Luca wird heute noch von seinen ehemaligen Klassenkameraden begrüßt. "Das bestärkt mich so sehr, alles richtig gemacht zu haben. Das prägte die Sozialkompentenz aller Beteiligten." Sie ist davon überzeugt, dass Luca nicht diese soziale Einbindung hätte, wenn er schon ab der ersten Klasse in eine Förderschule gegangen wäre.

An der Gesamtschule "UniverSaale" in Jena sind Kinder mit und ohne Handicap zusammen im Unterricht. Bildrechte: MDR/Mai-Charlott Heinze

Schulalltag zwischen Carl Zeiss Jena und Spinatknödeln

Die unter freier Trägerschaft geführte Gesamtschule "UniverSaale" in Jena versucht, die Inklusion besser umzusetzen. Ab der fünften Klasse sitzen Kinder mit und ohne Handicap zusammen im Unterricht. Der Lernstoff wird dabei so geplant, dass er für alle Kinder verständlich ist und es viele Mitmach-Angebote gibt, sodass alle Schüler gemeinsam lernen. Außerdem sind Schulbegleiter, Sonderpädagogen und Fachkräfte in einer Institution gebündelt. Dadurch sind 42 Kinder mit Handicap ins Schulgeschehen eingegliedert. Sechs von ihnen haben das Down-Syndrom.

Konstantin ist egal, ob seine Freunde ein Handicap haben oder eben nicht. Er plant gerade ein Treffen für das Wochenende mit ihnen. Dann wird über Napoleon geredet oder Carl Zeiss Jena. Er klappt sein Hefter zu. Mittagspause. Irgendwo zwischen Spinatknödeln und Fußballrufen hört man Konstantin lachen.

Der Artikel wurde zum ersten Mal am 21.03.2023 veröffentlicht.

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MDR (mch)

Dieses Thema im Programm:MDR THÜRINGEN - Das Radio | Der Vormittag | 21. März 2024 | 10:00 Uhr