Das Justizzentrum Jena mit dem Thüringer Oberlandesgericht
Der Prozess am Oberlandesgericht Jena gegen eine 25-jährige Erfurterin startet am Dienstag. Bildrechte: IMAGO/Olaf Döring

Justiz Terror-Prozess in Jena hat begonnen: Erfurterin wegen IS-Mitgliedschaft angeklagt

21. März 2023, 15:07 Uhr

Am Oberlandesgericht Jena hat am Dienstag der bisher größte Prozess um islamistischen Terror in der Thüringer Justiz-Geschichte begonnen. Angeklagt ist eine 25-jährige Frau aus Erfurt. Sie soll sich der Terror-Organisation "Islamischer Staat" (IS) in Syrien angeschlossen haben. Ob das Verfahren Details zu ihrem Leben in den Lagern des IS liefert, ist unklar.

Wenn Kristin L. am Dienstag den Saal Nummer 8 des Staatsschutzsenates am Oberlandesgericht Jena betritt, dann gut gesichert. Dutzende schwer bewaffnete Polizeibeamte werden das Verfahren in und um das Gebäude sichern. Das hängt mit einer Entscheidung der 25-Jährigen zusammen, die sie vor vielen Jahren getroffen hatte.

Eine Entscheidung, deren vorläufige Konsequenz unter anderem dieser Prozess in Jena ist. In diesem wirft die Bundesanwaltschaft ihr die Mitgliedschaft in einer ausländischen Terror-Gruppe, Verstoß gegen das Waffenrecht und Beihilfe zur Körperverletzung vor.

Ausreise nach Syrien 2015

Kristin L. aus Erfurt hatte im März 2015 entschieden, sich auf die Reise nach Syrien zu machen. Damals war sie 18 Jahre alt und begleitete ein minderjähriges Mädchen: Leonora M. aus Sangerhausen in Sachsen-Anhalt. Die war 15 Jahre alt und hatte offenbar über das Internet Kristin L. kennengelernt.

Im Laufe ihrer Chats untereinander sollen die beiden den Plan gefasst haben, nicht nur zum Islam zu konvertieren, sondern sich auch dem IS anzuschließen. Aus diesem Grund machten sie sich auf den Weg in die Türkei. Dort, im türkisch-syrischen Grenzgebiet, verschwanden sie dann vom Radar.

Rückmeldung bei Mutter in Erfurt

Dann, kurz nach ihrer Ankunft im syrischen Rakka, der damaligen IS-Hochburg, soll sich Kristin noch einmal bei ihrer Mutter in Erfurt gemeldet haben. So habe sie ihr mitgeteilt, dass sie in einem "Haus der Frauen" lebe und dort Koran-Unterricht bekomme, heißt es in internen Akten, die MDR THÜRINGEN vorliegen.

Was ab dann in dem Lager von Rakka passierte, wird nun Gegenstand in dem Prozess am OLG Jena werden. Sieben Verhandlungstage sind bisher angesetzt.

Heirat mit IS-Kämpfer

Offenbar liegen den Ermittlern aber Details zu Kristin L. vor, die sich in der Anklage der Bundesanwaltschaft wiederfinden. So soll die junge Frau in Rakka einen IS-Kämpfer nach islamischem Recht geheiratet und von ihm ein Kind bekommen haben. Die Ermittler aus Karlsruhe schreiben in der Anklage: "Damit dieser (Ehemann von Kristin L., Anmerkung der Redaktion) sich weiter für die Vereinigung betätigen konnte, kümmerte sich die Angeschuldigte um den Haushalt und erzog die gemeinsame Tochter im Sinne der IS-Ideologie groß."

Laut den Ermittlungen soll sie aber auch selber nicht untätig geblieben sein. So soll sie versucht haben, andere Frauen aus Deutschland zur Ausreise nach Syrien in die IS-Lager zu bewegen. Zudem soll sie auch Waffen besessen haben.

Gefangenschaft in kurdischem Lager

Doch die Lage änderte sich 2018/2019 für Kristin L., ihren Mann und die Tochter dramatisch. Kurdische Milizen lieferten sich von Nordsyrien aus heftige Gefechte mit dem IS. Im Laufe der Monate gelang es den kurdischen Einheiten, die Terror-Gruppe nachhaltig zu schwächen und ein Lager nach dem anderen einzunehmen. Im März 2019, also vier Jahre nach ihrer Reise nach Syrien, fielen L. und ihr Kind in die Hände von kurdischen Kämpfern. Sie kam in ein Gefangenenlager der Kurden.

In dem Lager aber soll sie weiter an ihrer radikalen Weltanschauung festgehalten haben. Laut Anklage gibt es Hinweise, dass sie eine andere Insassin angefeuert haben soll, als diese eine abtrünnige Mitgefangene misshandelt haben soll.

Die Odysee von Kristin L. und ihrer Tochter endete vorläufig im Dezember vergangenen Jahres. Da wurde sie mit weiteren deutschen Frauen aus dem kurdischen Gefangenenlager ausgeflogen. Noch am Flughafen in Frankfurt am Main klickten die Handschellen und sie kam in Untersuchungshaft. Ihr Kind soll sich bei Verwandten befinden.

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Terror-Ermittlungen in Waltershausen

Der Fall Kristin L. zeigt, dass islamistischer Terror trotz der Erfolge im Kampf gegen den IS für die Sicherheitsbehörden weiter ein Schwerpunkt ist. Auch in Thüringen hatte es in den vergangenen Jahren immer wieder Ermittlungen gegeben. So wurde kurz vor Weihnachten 2017 in Waltershausen ein junger Syrer vom Thüringer Landeskriminalamt in Gewahrsam genommen.

Bei ihm bestand der Verdacht, dass er ein Logistiker einer deutschen IS-Terrorzelle gewesen sein könnte. Fahnder hatten Informationen, dass er zu einem Netzwerk gehören könnte und an verdächtigen Geldtransaktionen nach Syrien und die USA beteiligt war. Damals führten auch Spuren zu dem islamistischen Terroranschlag von Ansbach in Bayern 2016, bei dem 15 Menschen zum Teil schwer verletzt worden.

LKA verwanzte Gebetsraum in JVA Tonna

Bereits seit 2009 steht ein Erfurter Moschee-Verein im Verdacht, ein Zentrum von sogenannten Salafisten zu sein. Beim Salafismus handelt es sich um eine Art Ur-Islam, der unter anderem von Menschen gemachte Gesetze nicht anerkennt. Salafisten werden in Deutschland seit mehr als zehn Jahren vom Verfassungsschutz beobachtet. Auch der Gebetsraum einer muslimischen Gemeinde in der Leipziger Straße stand damals unter ständiger Überwachung verschiedener Behörden.

MDR THÜRINGEN machte 2011 erstmals mehrere große Überwachungsoperationen von Bundeskriminalamt, Thüringer Landeskriminalamt und Thüringer Verfassungsschutz gegen Thüringer Salafisten öffentlich. Darunter auch, dass das Thüringer Landeskriminalamt einen muslimischen Gebetsraum in der Justizvollzugsanstalt Tonna (Kreis Gotha) komplett verwanzt hatte. Hintergrund war unter anderem der Umstand, dass einer der Häftlinge Teil einer islamistischen Terror-Gruppe war, die einen verheerenden Bombenanschlag auf den Straßburger Weihnachtsmarkt 2000 verüben wollten.

Kleine Zahl von radikalen Islamisten in Thüringen

Laut dem Verfassungsschutzbericht 2021 gibt es in Thüringen 175 Islamisten, davon soll ein kleiner Teil tatsächlich radikal und latent gewaltbereit sein. Allerdings dürfte diese Zahl durch Zu- und Wegzug im Laufe der Jahre immer wieder variieren.

Bei der Altersstruktur machen die 26- bis 35-jährigen Salafisten die Hälfte des Potenzials aus. Allerdings: Der Verfassungsschutz registriert zu der Gruppe der unter 26-jährigen Islamisten ein deutlich höheres Aufkommen von Hinweisen auf einen Terrorverdacht.

Mehr zu Prozessen gegen Mitglieder des Islamischen Staates

MDR (jn)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 21. März 2023 | 06:00 Uhr

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