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Lothar Späth hält 2003 in Erfurt seine letzten Rede als Vorstandschef der Jenoptik AG auf einer Hauptversammlung. Bildrechte: picture-alliance / ZB | Martin Schutt

JenaVor 30 Jahren: Wie Lothar Späth Jenoptik umkrempelte

25. Juni 2021, 05:04 Uhr

Vor genau 30 Jahren übernahm Lothar Späth den Vorsitz des heutigen Jenoptik-Konzerns. Für den ehemaligen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg war der Weg nach Thüringen eine neue Chance im Leben. Für die Stadt Jena erwies sich Späth als Glücksfall mitten im Umbruch.

von Sascha Richter, MDR THÜRINGEN

Der Zeitpunkt passte gerade: Im Juni 1991 fügten sich zwei gebrochene Laufbahnen zusammen, die auf den ersten Blick nur wenig miteinander zu tun hatten: Auf der einen Seite stand der Schwabe und kürzlich zurückgetretene baden-württembergische Ministerpräsident Lothar Späth, der sein Amt nach der "Traumschiff-Affäre" nach fast 13 Jahren aufgab. Hunderte offizielle, halboffizielle und private Reisen soll er offenbar auf Firmenkosten abgerechnet haben. Auf der anderen Seite stand das marode und einstige VEB Carl Zeiss in Jena, das eigentlich - wie so viele DDR-Unternehmen - abgewickelt werden sollte.

Neuer Vorstandsvorsitzender Späth

Als Berater der Thüringer Landesregierung kam Späth nach Jena und unterschrieb am 25. Juni den Vertrag als Vorstandsvorsitzender der Jenoptik Carl Zeiss GmbH. Von einer "völlig spannenden, neuen Chance im Leben" sollte er später sprechen. Späth wollte es seinen Kritikern beweisen, aus dem Sanierungsfall ein erfolgreiches Unternehmen zu machen. "Man kann, was man will", lautete sein Motto. Von einem Wechsel von der Politik in die Wirtschaft mochte er aber nicht sprechen. Schon vor Jenoptik sei er Vorstandsmitglied in mittelständischen Bauunternehmen und Aufsichtsgremien gewesen. Als Regierungschef trieb er die wirtschaftliche Entwicklung des Landes voran und erhielt dafür den Spitznamen "Cleverle". Jetzt also der Neustart in Jena.

Privatisierung durch die Treuhand

Die Aussichten waren nicht die Besten: Das ehemalige Jenaer Vorzeigekombinat mit rund 30.000 Mitarbeitern stellte schon damals hochwertige optische Produkte wie Brillengläser, Projektoren für Planetarien oder Mikroskope her. Mit der Privatisierung teilte die Treuhand das Unternehmen. Das erfolgreiche Kerngeschäft Optik und Feinmechanik ging an das westdeutsche Carl Zeiss in Oberkochen nach Späths Heimatbundesland Baden-Württemberg. Produkte ohne Markt und Altschulden blieben in Jena bei der landeseigenen Jenoptik GmbH.

1991: Lothar Späth (r.) - damals noch Berater der Thüringer Landesregierung - mit Klaus-Dieter Gattner, dem Geschäftsführer der Jenoptik Carl Zeiss Jena GmbH. Wenig später wird Späth Vorstandschef. Bildrechte: picture-alliance / ZB | Jan-Peter Kasper

Radikaler Umbau

Anstatt das Unternehmen abzuwickeln, baute Späth radikal um. Für die Sanierung warb er von der Treuhand und dem Land Thüringen Fördergelder von heute umgerechnet 1,85 Milliarden Euro ein. Er beglich die Altschulden und erstellte einen Sozialplan für 16.000 entlassene Zeissianer. 7.000 Beschäftigte ließ er umschulen.

Gründung der Jena-Optronik

Zum Kombinat gehörten damals zahlreiche Immobilien. Späth ließ das alte Werk abreißen und begann, Jenaer Innenstadt und Gewerbegebiet umzubauen. Er gründete, kaufte und verkaufte Unternehmen und förderte Start-Ups. Unter anderem ging daraus 1992 die Jena-Optronik hervor, heute ein Betrieb, der Sensoren und Instrumente für die Erkundung des Weltalls herstellt. Der damalige Betriebsratschef von Jenoptik, Günther Reißmann, sagte später, Späth habe ungemein viele Unternehmer gekannt und wusste, wie man sie an die Saale lockte.

Einer der Standorte der Jenoptik AG in Jena. Bildrechte: picture alliance / Martin Schutt/dpa-Zentralbild/ZB

Zukunft als Aktiengesellschaft

Nach Jahren der Ungewissheit und Firmen-Übernahmen auch aus dem Westen der Republik wurde Jenoptik 1996 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Prägend war die Übernahme des Stuttgarter Unternehmens "Meissner+Wurst" im Jahr 1994, das als führender Anlagebauer im Bereich der Elektronikindustrie galt. 1998 ging Jenoptik schließlich an die Börse - und ist dort eines von wenigen ostdeutschen Unternehmen. Bis 2003 blieb Späth an der Spitze von Jenoptik, bis 2007 war er noch Chef des Aufsichtsrats.

Vielfältige Aufgabenbereiche

Heute ist Jenoptik mit rund 4.500 Mitarbeitern Hersteller und Anbieter von Optik und Messtechnik unter anderem für Medizintechnik, die Halbleiterindustrie und bietet auch Mess- und Automatisierungslösungen für die Auto-, Luft- und Raumfahrtindustrie sowie Wehrtechnik an.

Steigerung trotz Corona-Krise

Zwar sank der Umsatz Jenoptiks im Jahr 2020 von 837 auf 767 Millionen Euro, was vor allem an der sinkenden Nachfrage der Automobilbranche lag. Vorstandschef Stefan Traeger zufolge ist der Konzern trotz des Rückgangs aber gut durch die Corona-Krise gekommen und verspricht sich von Zukunftsmärkten steigenden Umsatz und Gewinn. Gerade in der Digitalisierung und künstlichen Intelligenz wird mit einer starken Nachfrage optischer Systeme, also der technischen Nutzung von Licht, gerechnet. Im ersten Quartal des Jahres erhielt der Konzern Großaufträge für die Automatisierung von Fabriken in den USA und Kanada. Im Halbleiter-Standort Dresden baut Jenoptik eine neue Fabrik für Optiken und Sensoren. Die vollen Auftragsbücher kommen auch den Aktionären zugute – mit 25 Cent pro Aktie hat sich die Dividende im Vergleich zum Vorjahr fast verdoppelt.

Kritik an Rüstungsgeschäften

Jenoptik geriet wegen seines Rüstungsgeschäfts aber auch oft in Kritik. Neben den drei Optik-Sparten gehört die 100-prozentige Mechatronic-Tochter "Vincorion" zum Unternehmen, bis 2018 hieß dieses Segment "Verteidigung und Zivile Systeme". Jenoptik hatte angekündigt, sich von "Vincorion" trennen zu wollen. Bislang fand sich den Angaben nach aber noch kein Käufer, der genug zahlen wollte. Das Land Thüringen musste sich oft dafür rechtfertigen, als größter Anteilseigner des Unternehmens so indirekt die Rüstungswirtschaft zu unterstützen. Auch unter der rot-rot-grünen Landesregierung änderte sich daran nichts.

Global erfolgreich

30 Jahre nach Lothar Späths Amtsantritt erinnert nicht mehr viel an das einstige DDR-Unternehmen. Jenoptik hat sich auf dem Weltmarkt behauptet und dort überall Standorte. Das Unternehmen ist schlanker geworden und spezialisierter.

Die Zeit nach Jenoptik

Für Späth war nach seiner Thüringer Zeit längst nicht Schluss. Im Rentenalter wurde er bei der Investmentbank Merrill Lynch Vorsitzender der Geschäftsführung für Deutschland. Außerdem war er Aufsichtsratschef der Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck und oft gesehener Gast in Talkshows. Bis zuletzt widmete sich der Schwabe verschiedenen Ehrenämtern. Lothar Späth starb am 18. März 2016.

Quelle: MDR THÜRINGEN

Dieses Thema im Programm:MDR THÜRINGEN - Das Radio | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 25. Juni 2021 | 19:00 Uhr