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Manuela Köhler kann kaum noch ihr Bett verlassen, ihr Sohn unterstützt sie, so gut er kann. Bildrechte: MDR/Grit Hasselmann

Chronisches Fatigue-Syndrom Wenn selbst das Fernsehen zu anstrengend ist

13. Mai 2023, 08:00 Uhr

Weltweit erkranken Millionen Menschen am chronischen Erschöpfungssyndrom ME/CFS. Doch die Krankheit wird von Medizin und Politik noch immer unterschätzt und oft ignoriert. Manuela Köhler erzählt ihre Leidensgeschichte.

Autorenbild Grit Hasselmann
Bildrechte: MDR/Grit Hasselmann

Ihre Zeit verbringt Manuela Köhler vor allem im Bett. Die Jalousie ist geschlossen, weil sie kein Licht erträgt. Besuch bekommt sie keinen, weil das zu anstrengend ist. Arbeit, Urlaub, Sport - alles nur noch Erinnerungen. Sie schafft es nicht einmal in ihren geliebten Garten. Manuela Köhler leidet an ME/CFS.

Zum Aufklappen: Was ist ME/CFS?

Die Myalgische Enzephalomyelitis/das Chronische Fatigue-Syndrom ist eine schwere neuroimmunologische Erkrankung, die oft zu einem hohen Grad körperlicher Behinderung führt. Weltweit sind etwa 17 Mio. Menschen betroffen. In Deutschland sind es geschätzt bis zu 250.000, darunter 40.000 Kinder und Jugendliche. Die WHO stuft ME/CFS seit 1969 als neurologische Erkrankung ein.

An guten Tagen kann sie ein paar Minuten einem Hörbuch folgen, für kurze Zeit aufstehen und beim Essen am Tisch sitzen. Sie kann sich aber kein Brot schmieren, dafür fehlt die Kraft. "Das ist fürchterlich für mich. So demütigend, wenn man nicht mal das so richtig kann."

Die Krankheit veränderte ihr Leben extrem

Aber das war nicht immer so. Die 52-Jährige lebt mit ihrem Mann in Jena in einem hübschen Eigenheim mit Garten, das sie sich vor 20 Jahren selber gebaut haben. Auch ihr Kind haben sie dort aufgezogen, bis vor 13 Jahren ihr ganzes Leben aus den Fugen geriet.

Frau und Kind haben spaß an einem mit Ostereiern geschmücktem Brunnen.
Ausflüge mit ihrem Kind haben Manuela Köhler immer besonders viel Spaß gemacht. Bildrechte: privat
Frau und Kind haben spaß an einem mit Ostereiern geschmücktem Brunnen.
Ausflüge mit ihrem Kind haben Manuela Köhler immer besonders viel Spaß gemacht. Bildrechte: privat
Frau sitzt an Nähmaschine und schaut lächelnd in die Kamera.
Nähen war ihr liebstes Hobby. Sie hat sich viel davon selbst beigebracht. Bildrechte: privat
Frau sitzt auf Stein vor Schlucht auf Kreta.
An den Familienurlaub nach Kreta kann sich Manuela Köhler noch besonders gut erinnern. Bildrechte: privat
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Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 09. März 2023 | 19:00 Uhr

Frau sitzt auf Stein vor Schlucht auf Kreta.
Bildrechte: privat

Angefangen hatte alles mit Rückenschmerzen. "Weil für die aber niemand wirklich einen Grund finden konnte, diagnostizierten die Ärzte eine Depression, die für die Schmerzen verantwortlich sein sollte", erzählt sie. Später wurde zwar eine Halswirbelverletzung festgestellt, die Diagnose Depression aber blieb in der Akte und das hat Manuela Köhler seitdem schwer zu schaffen gemacht, weil viele Ärzte sie deshalb nicht ernst genommen haben.

Suche nach der Diagnose

Manuela Köhler war immer sehr leistungsorientiert. Auf der Arbeit im Ortschaftsrat als Mutter - immer sollten es 100 Prozent sein. Aber sie merkte, dass all das sie immer mehr anstrengte. "Dann ging irgendwann nichts mehr. Da habe ich Fehler auf Arbeit gemacht. Ich war immer höchst konzentriert, habe sehr teuren, teilweise auch mit chemischen Materialien gearbeitet. Und plötzlich habe ich Fehler gemacht und das bin ich nicht. Und dann bin ich sogar bei Rot über die Ampel Ampel gefahren."

Manuela Köhler beschloss sich eine Weile "rauszunehmen". Aber was eigentlich eine Zwei-Wochen-Krankschreibung werden sollte, sind jetzt fast 14 Jahre Leid und Schmerzen.

Immer wieder Rückschläge

Manuela Köhler war in der Psychiatrie, bei unzähligen Ärzten - immer wieder tauchten neue Symptome auf, niemand konnte helfen. Im Gegenteil, sie fühlte sich nicht ernst genommen, als hysterisch abgestempelt. Und das ist nicht nur verletzend, es verschlimmert auch die Krankheit.

Manuela Köhler spricht immer wieder von "Crashs". Das Tückische an denen ist, dass sie die Kranken extrem zurückwerfen. Wenn Manuela Köhler ihre Grenzen nicht erkennt und überschreitet, kann das zur Folge haben, dass es ihr monatelang deutlich schlechter geht, Erfolge von Behandlungen völlig zunichtegemacht werden.

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Bei Anträgen und Formularen hilft ihr Sebastian. Bildrechte: MDR/Grit Hasselmann

Egal, ob ein Arztbesuch, zu dem sie sich zwingt, weil es nicht anders geht oder der Kampf mit der Krankenkasse um wichtige Hilfsmittel. Als sie beispielsweise nach einem Jahr Korrespondenz einen Rollstuhl bewilligt bekam, hatte sich ihr Zustand durch eben diesen Vorgang so verschlechtert, dass sie ihn nicht mehr nutzen konnte.

Krankheit überschattet die Kindheit

Manuela Köhlers Sohn Sebastian war gerade neun Jahre alt, als seine Mutter krank wurde. Von da an hat ME/FSC auch sein Leben bestimmt. Und das gleich doppelt. Denn zum einen hat er sich ständig Sorgen gemacht und geholfen, wo er konnte, zum anderen hat er inzwischen die gleiche Krankheit. "Ich war im Grunde komplett überfordert und gedanklich hat sich mein komplettes Leben um Mama gedreht", erinnert sich der heute 24-Jährige.

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Mindestens zweimal pro Woche besucht Sebastian seine Mutter. Bildrechte: MDR/Grit Hasselmann

Gemeinsam mit seinem Vater bereitet er der Mutter Essen zu, als Teenager hörte er seine Musik nur ganz leise, weil Manuela Köhler extrem geräuschempfindlich ist. Überhaupt versuchte Sebastian immer, alles zu vermeiden, was den Zustand seiner Mutter verschlechtern könnte.

Allerdings war seine Mutter durch ihre Krankheit immer für ihn da. Das hatte den Effekt, dass sie heute eine sehr enge Bindung haben, erzählt er. "Mama ist meine beste Freundin. Allerdings fällt es mir dadurch besonders schwer zu sehen, wie sie leidet."

Obwohl er inzwischen selbst an ME/CFS erkrankt ist, besucht Sebastian seine Eltern regelmäßig und hilft, wo er kann. "Ich habe ja doch noch mehr Energie als Mama und versuche, sie zu unterstützen. Ob im Haushalt oder bei Anträgen und Formularen - die füllen wir dann zusammen aus."

Unendlich viele Symptome

ME/CFS-Betroffene leiden neben einer schweren Fatigue (körperliche Schwäche), die das Aktivitätsniveau erheblich einschränkt, unter sehr vielen, völlig unterschiedlichen Symptomen. Manuela Köhler erzählt von ausgeprägter Schwäche, Muskelschmerzen, grippalen Symptomen und der Verschlechterung des allgemeinen Zustands.

Schon kleine Aktivitäten wie Zähneputzen, Duschen oder Kochen können zur Tortur werden, wenn sie ihre eigenen Grenzen überschreitet, verschlechtert sich ihr Zustand danach rapide.

Dazu kommen Herzrasen, Schwindel, Benommenheit und Blutdruckschwankungen, ihre Körpertemperatur ist immer niedriger als normal, was dazu führt, dass sie häufig friert. Sehr belastend für Manuela Köhler sind die Schmerzen im ganzen Körper. "Jeder, der mal mit einer Grippe zwei Wochen im Bett lag, weiß, dass das Liegen selbst schon Schmerzen verursachen kann. Und ich liege fast 24 Stunden", sagt sie.

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Das Obergeschoss erreicht Manuela Köhler nur mit dem Treppenlift. Bildrechte: MDR/Grit Hasselmann

Zu schaffen machen ihr auch Muskelzuckungen und -krämpfe, massive Schlafstörungen und Konzentrations-, Merk- und Wortfindungsstörungen sowie die Überempfindlichkeit auf Sinnesreize. Ein Viertel aller an ME/CFS Erkrankten kann wie Manuela Köhler das Haus nicht mehr verlassen, viele sind bettlägerig und auf Pflege angewiesen.

Kaum erforschte Krankheit

Carmen Scheibenbogen ist Immunologin, Onkologin und Professorin an der Berliner Charité. Sie sieht es als ihre Aufgabe, Aufklärung zu leisten, Ärzte fortzubilden und die Forschung voranzutreiben.

Das sei dringend nötig, denn noch immer wird die Krankheit verkannt. "Die Erkrankung wurde bislang nicht gut erforscht. Und dazu gehört auch, dass weltweit kaum Therapiestudien durchgeführt wurden und es bis heute keine Medikamente gibt, mit denen wir die Erkrankung gezielt behandeln können und damit auch Heilung ermöglichen würden. Das heißt, wir sind bis heute nur in der Lage, die Symptome zu behandeln", sagte sie der "Tagesschau".

Wir sind bis heute nur in der Lage, die Symptome zu behandeln.

Carmen Scheibenbogen Charité in Berlin

Die Betroffenen würden oft falsch behandelt, ihr Zustand dadurch verschlimmert, weiß die Ärztin. Denn ME/CFS hat nichts mit normaler Erschöpfung zu tun. Auch nichts mit Burn-out und anderen psychischen Störungen. "Patienten mit CFS haben keine Depression", betont Carmen Scheibenbogen.

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Im Wohnzimmer der Köhlers steht mittlerweile ein Pflegebett, damit Manuela nicht nur im Schlafzimmer sein muss. Bildrechte: MDR/Grit Hasselmann

Dass, wie auch bei Manuela Köhler, nach Jahren mit einer solchen Krankheit tatsächlich oft depressive Symptome hinzukommen, verschlechtert die Lage. Denn spätestens dann werden die Patienten endgültig psychologisiert.

Sehr lange nicht ernstgenommen

Durch Corona hat die Krankheit mehr Aufmerksamkeit bekommen, denn einige der Long-COVID-Betroffenen haben ME/CFS entwickelt. In diesem Jahr hat sich auch der Bundestag erstmals mit ME/CFS beschäftigt.

Aufgrund eines Antrags der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gab es im Januar eine Debatte zum Thema, im April der Gesundheitsausschuss. Die Abgeordneten forderten in ihrem Antrag, den "Aufbau der im Koalitionsvertrag genannten Kompetenzzentren und interdisziplinären Ambulanzen für ME/CFS unverzüglich finanziell und strukturell" zu fördern.

Auch im Thüringer Landtag gab es eine Anhörung zum Thema. Vom hiesigen Gesundheitsministerium heißt es dazu: "Genaue Zahlen zu Erkrankten liegen nicht vor. Eine nähere Beschäftigung mit dem Krankheitsbild ist Aufgabe medizinischer Fachgesellschaften bzw. Gegenstand medizinischer Forschungseinrichtungen".

Nach Ansicht der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS ist die Krankheit seit ihrer Einstufung als neurologische Erkrankung durch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Jahr 1969 "marginalisiert oder falsch eingeordnet" worden. Versorgungsstrukturen müssten von Grund auf neu entstehen.

Es sei über Jahrzehnte versäumt worden, in die ME/CFS-Forschung zu investieren. Der Verband forderte eine langfristig finanzierte Forschung, eine Aufklärungskampagne und spezielle Abrechnungsmöglichkeiten für ME/CFS.

Die Menschen im Blick behalten

Manuela Köhler findet es gut, dass es jetzt ein bisschen Aufmerksamkeit für ME/CFS gibt. Aber aus ihrer Sicht müsste noch viel mehr passieren: "Forschung und Entwicklung sind wichtig. Aber schaut euch die schwer- und schwerstkranken Menschen an, die ans Haus gebunden sind, die keine Ärzte aufsuchen können und helft dort unbürokratisch - wichtige Hilfsmittel zur Verfügung stellen, die Pflege ein bisschen verändern".

Schaut euch die schwer- und schwerstkranken Menschen an, die ans Haus gebunden sind, die keine Ärzte aufsuchen können und helft dort unbürokratisch.

Manuela Köhler

Und Aufklärung findet sie extrem wichtig. Im Januar letzten Jahres war sie im Krankenhaus, um verschiedene Untersuchungen machen zu lassen. "Der Oberarzt auf der Neurologie hat mich ausgelacht. ME/CFS gäbe es doch gar nicht. Ich bin verspottet worden, wurde dort nicht ernst genommen."

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Zuwendung ist für die Kranken extrem wichtig, erst recht, wenn sie ihr Haus nicht mehr verlassen können. Bildrechte: MDR/Grit Hasselmann

Und das ist für Manuela Köhler seit 13 Jahren eine der größten Belastungen. Dass ihre Krankheit als psychische Störung abgetan wird. Das, so hofft sie, wird sich jetzt durch Long Covid endlich ändern.

Und noch etwas ist ihr wichtig: "Gerade, wenn das Leben in so kleinen Grenzen stattfindet, lernt man, was wirklich wichtig ist. Wir verbringen viel zu viel Zeit damit, uns für Geld oder was auch immer aufzuopfern und vergessen, dabei zu leben und das zu genießen, was wir haben". Und gerade ihre Gesundheit nehmen viele als selbstverständlich, sagt sie. "Und wenn du dann krank bist, ist die Gesundheit das Einzige, was du dir wünschst."

MDR (gh)

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 09. März 2023 | 19:00 Uhr

2 Kommentare

malakay_sebastian_koehler vor 49 Wochen

Da mögen Sie durchaus recht haben. Wenn Sie jedoch den Artikel lesen, sehen Sie, dass es sich hier nicht um inhaltliche Anstrengung geht sondern darum, dass der reine Prozess des Fernsehens (Aufmerksamkeit zuwenden, zuhören, visuelle Reize durch die Bilder aufnehmen) zu viel ist und den Zustand der Erkrankten verschlechtert. Es mag verrückt und unvorstellbar klingen, ich konnte es früher auch nicht nachvollziehen, bis ich selbst in die Lage kam.
Hier geht es also nicht um schlecht produzierte Beiträge im Fernsehen, sondern um die Anstrengung, die die Tätigkeit des Fernsehens für die Betroffenen bedeutet.

Tamico161 vor 49 Wochen

Das „Fernsehen“ ist oft anstrengend und macht selbst gesunde Menschen krank. Durch die Bank bringen alle Sender oft nur einfach Müll und billig produzierte Unterhaltung.

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