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Mitten in Jena liegt das "Internationale Studentenhaus" (l.) - ehemalige Mieter berichten über eine Kautionsmasche. Bildrechte: MDR/Nicky Scholz

MascheKautionsabzocke: Wie ein zwielichtiges Ehepaar in Jena Studenten um ihr Geld bringt

17. Dezember 2022, 05:00 Uhr

In Jena werden Studenten mit einer Masche um ihre Mietkaution gebracht. Dem Ehemann der Eigentümerin eilt dabei kein guter Ruf voraus - er soll Studenten auch bedroht haben. Juristen raten zu konkreten Schritten.

Gut, fast schon zu gut, so ein WG-Zimmer in Jenas Innenstadt. Vor allem angesichts des Ansturms zum Semesterstart im Herbst auf freie Zimmer. Seit Jahren wird es vor allem für neuankommende Studenten in Jena immer schwieriger, weil es einfach nicht genug Platz zum Wohnen gibt. Das fiel offenbar auch dem Ehepaar S. auf, das wohl seit geraumer Zeit mit einer Masche wohnungssuchende Studenten um ihr Geld bringt.

Einer der beiden, Jörg S., ist auch kein Unbekannter: Wie der MDR berichtete, soll er auch Wohnungseigentümer rund um ein Bauprojekt am "Alten Schützenhof" um ihr Geld gebracht haben. Später aber mehr zum Ehepaar S.

"Notlösung" auf Jenas angespanntem Wohnungsmarkt

Auch für Ines und Marcus wirkten die Online-Inserate für die Zimmer im "Internationalen Studentenhaus" am Johannisplatz 16 in Jena attraktiv. Beide heißen anders und bleiben zu ihrem Schutz und aus Angst vor weiteren Drohungen wie auch andere Personen in diesem Text anonym. Beide kamen aus westdeutschen Städten vor gut zwei Jahren in den Osten Thüringens zum Studieren.

Weil ich wusste, dass viele nach einer Wohnung suchen, habe ich relativ flott zugesagt.

Marcus | Ehemaliger Mieter am Johannisplatz

"Ich wusste, dass in Jena zu dem Zeitpunkt viele nach einer Wohnung suchen, da habe ich dann doch relativ flott zugesagt", sagt Marcus. Für Ines war das WG-Zimmer im "Internationalen Studentenhaus" eine "Notlösung". Erst einmal einen Platz haben, war ihr wichtig.

Doch wie das Hochschulmagazin "Akrützel" aus Jena zuerst berichtete, ist bei dem privaten WG-Wohnhaus nicht alles Gold. Im Gespräch mit dem MDR erzählt Ines, dass sie direkt nach der Besichtigung eine Anzahlung und eine erste Miete zahlen musste und das, obwohl sie noch keinen Mietvertrag unterschrieben hatte. Erst als sie ein paar Wochen später aus Süddeutschland nach Jena zog, bekam sie den Mietvertrag zu Gesicht - und ein Zimmer, das sie eigentlich nicht wollte. Auch wunderte sich Ines, dass sie für das Zimmer genauso viel zahlte wie eine Mitbewohnerin mit größerem Zimmer.

Am Johannisplatz 16 in Jena findet sich relativ einfach und häufig ein Wohnungsangebot. Bildrechte: MDR/David Straub

Reservierungsgebühr von 350 Euro

Wer nach WG-Zimmern in Jena sucht, findet nach wie vor Inserate vom "Internationalen Studentenhaus". In der Beschreibung ist von einer "Reservierungsgebühr von 350 Euro" die Rede, die bei Reservierung, also direkt nach der Besichtigung fällig wird.

Auch bei der Privatsphäre nehmen es die Verwalter der Wohnungen offenbar nicht ganz so ernst: Obwohl im WG-Mietvertrag geregelt ist, dass der Vermieter die einzelnen WGs nur "zur Prüfung des Zustands (…) in angemessen Abständen und nach rechtzeitiger Ankündigung betreten" darf, sei der Vermieter "ständig" in ihre WG gekommen, sagt Ines, die mit drei anderen Studentinnen dort lebte: "Ich bin zum Beispiel nie von der Dusche mit einem Handtuch in mein Zimmer gelaufen, weil er hätte jederzeit reinkommen können. Er hat auch nicht geklingelt."

Eigentümerin des Hauses und Vermieterin ist laut Grundbuchauszug und Mietvertrag, die MDR THÜRINGEN einsehen konnte, Kerstin S. aus Kapellendorf in der Nähe von Jena. Wie die Studenten berichten, organisiert jedoch vorwiegend ihr Ehemann, Jörg S., die Verwaltung des Hauses. Er ist derjenige, der regelmäßig vor Ort am Johannisplatz 16 und mutmaßlich auch über die Telefonnummer einer "Frau Zink" erreichbar ist.

Der Name taucht im WG-Inserat und in E-Mails der Hausverwaltung an die Studenten auf. Auch der MDR hat versucht, "Frau Zink" zu erreichen, konnte aber nur mit einer männlichen Person sprechen, die sich nicht vorstellen wollte. Ehemalige Bewohner der WGs berichten, dass sie niemals direkt mit einer echten "Frau Zink" zu tun gehabt hätten.

Hauptproblem Kaution

Wie Marcus zogen auch die anderen Bewohner nach einem Jahr wieder aus, suchten sich andere WGs oder eine Wohnung für sich alleine. Ines blieb sogar weniger als ein Jahr, fand einen Nachmieter für ihr Zimmer und unterschrieb zusammen mit einer Vertreterin der Hausverwaltung das Übergabeprotokoll, das keine Mängel attestiert.

Und dann hat das ganze Theater angefangen.

Ines | Ehemalige Mieterin am Johannisplatz

Ein halbes Jahr nach ihrem Auszug fragte Ines zum ersten Mal nach den 1.100 Euro Kaution, die sie bis dahin noch nicht wiederbekommen hatte. "Und dann hat das ganze Theater angefangen."

Immer wieder schrieb sie E-Mails, bekam zunächst aber keine Antwort. Irgendwann meldete sich Herr S. und erklärte, sie bekomme keine Kaution, da das Geld für Renovierungsarbeiten verwendet worden sei. Erst als sie ankündigte, zur Presse zu gehen, erhielt sie - kurz vor Veröffentlichung der Geschichte im "Akrützel" - einen Teil ihrer Kaution wieder, 772 von 1.100 Euro.

Verschiedene Beratungsangebote helfen nichts

Auch Marcus hatte Stress mit den beiden S. Er trat schon vor dem Ende seiner Mietzeit in den Mieterverein Jena ein, da er von anderen Bewohnern mit Problemen bei der Kaution gehört habe.

Anna Gelbhaar ist stellvertretende Vorsitzende des Mietervereins Jena. Das Angebot am Johannisplatz "ist höchst unprofessionell und unseriös", sagt sie mit Blick auf die "Massen" an Studenten, die sich deswegen schon an den Verein gewandt hätten. Viel bewirken konnte der Verein jedoch nicht: "Wir haben dort alles Außergerichtliche versucht, um den Studenten bei der Kaution zu helfen, wir kommen nicht weiter." Der Mieterverein rate deshalb dazu zu klagen, sagt Gelbhaar.

Ich lasse mich nicht so leicht verarschen.

Marcus | ehemaliger Mieter am Johannisplatz

Doch wie soll das gehen, vor allem für Menschen, die ein geringes Einkommen haben oder für die die Hürde groß ist, eine Kanzlei zu beauftragen? Zwar bietet das Thüringer Studierendenwerk eine fachkundige Rechtsberatung an, doch weder die Übernahme von Fallkosten, noch eine Fallübernahme sind dort möglich.

Marcus hatte Erfolg mit Hilfe einer Anwältin

Marcus ist bisher der einzige, der eine Anwältin hinzugezogen hat, um seine Kaution wieder zu bekommen. "Ich lasse mich nicht so leicht verarschen", sagt er. Seine Anwältin erklärte MDR THÜRINGEN, es könne gute Gründe dafür geben, dass Vermieter die Kaution bis ungefähr sechs Monate nach Mietsende behalten. "Aber man muss schon mit dem Mieter kommunizieren."

Für den Fall am Johannisplatz 16 gebe es zwei juristische Möglichkeiten. Natürlich hätten sie eine Klage beim Amtsgericht einreichen können, sagt die Juristin. "Aber wir haben eine kostengünstigere und schnellere Option gewählt und einen Vollstreckungsbescheid beantragt." Dabei erhält der Vermieter zunächst eine Mahnung und - sofern es keinen Widerspruch gibt - einen Vollstreckungsbescheid, wonach das Geld vom Konto der Vermieterin gepfändet wird.

Den Mahnantrag können dabei auch Privatpersonen online selbst in die Wege leiten. Sollte der Vermieter dagegen Widerspruch einlegen, brauchen ehemalige Mieter grundsätzlich auch keine anwaltliche Vertretung, da diese zivilrechtlichen Mahnverfahren ausschließlich vor Amtsgerichten stattfinden und die Vertretung dort nicht erforderlich ist. Das gilt auch für Klagen am Amtsgericht im Allgemeinen.

Außerdem: Wenn Mieter direkt beim Amtsgericht klagen wollen - sie aber zur Kostenübernahme nicht in der Lage sind, können sie auch vor dem Amtsgericht einen Antrag auf Prozesskostenhilfe stellen.

Vermieterin Kerstin S. gab falsche Daten an

In Jena offenbarte sich allerdings noch ein weiterer Trick der Verwalterfamilie S.: Um ein Konto zu pfänden, muss die Kontoverbindung der Eigentümerin vorliegen. Zwar stand Kerstin S. Name im Mietvertrag - doch tatsächlich handelte es sich um ein Treuhandkonto, das eigentlich auf eine M.S. lief, vermutlich die Tochter von Kerstin S. Erst nachdem Ines ihre Kaution von dem eigentlichen Konto der Vermieterin wiederbekommen und Marcus davon erfahren hatte, konnte sein Vollstreckungsbescheid Wirkung entfalten.

Außerdem musste sich Marcus selbst darum kümmern, die Meldeadresse der Eigentümerin in Erfahrung zu bringen: Die amtlichen Schreiben konnten nicht zugestellt werden. Ihr Mandant habe "Detektivarbeit" geleistet, sagt Marcus Anwältin, und sei extra nach Kapellendorf gefahren, um die richtige Adresse von Kerstin S. herauszufinden.

Marcus hat fast alles Geld zurück

Letztendlich konnte die Anwältin das Konto von Kerstin S. und auch die Mieten von aktuellen Mietern pfänden - deren Geld also anstatt auf das Konto von S. auf das von Marcus gingen. Er hat sein Geld fast vollständig zurückgeholt, glaubt aber nicht, dass viele ehemalige Bewohner vom Johannisplatz 16 so wie er für die Kaution kämpfen. Ein ehemaliger Mitbewohner habe zu ihm gesagt, es sei ja das Geld des Vaters und deswegen nicht so schlimm.

Marcus ist jedoch froh, auch wenn es relativ lange gedauert hat, bis er sein Geld zurückerhalten hat: "Es hat auch irgendwie Spaß gemacht und rückblickend war es relativ leicht, so wie ich es gemacht habe."

Jörg und Kerstin S. reagierten nach MDR THÜRINGEN-Anfragen nicht auf die in diesem Artikel genannten Vorwürfe.

 

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MDR (dst)

Dieses Thema im Programm:MDR THÜRINGEN - Das Radio | Das Fazit vom Tag | 17. Dezember 2022 | 18:15 Uhr

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