"Karzer" Mythos widerlegt: Wandmalerei in Jena nicht aus Exkrementen

30. Juli 2022, 05:00 Uhr

Bei der Sanierung von 200 Jahre alten Wandmalereien der Universität Jena haben Forscher eine erstaunliche Entdeckung gemacht. Für seine Zeichnungen in der ehemaligen Arrestzelle für Studenten, "Karzer" genannt, verwendete der Künstler Martin Disteli nicht etwa Exkremente, wie lange Zeit kolportiert, sondern eine Mischung aus Nahrungsmitteln und Farbe.

Der einzig noch erhaltene Thüringer "Karzer" an der Universität Jena wird momentan saniert. Dabei machten die Restauratoren erstaunliche Entdeckungen und konnten einen Mythos widerlegen.

Frühwerk des Karikaturisten Martin Disteli

Die älteste Jenaer Arrestzelle für Studenten aus dem Jahr 1738 ist bekannt für ihre Wandmalereien. Bekannt ist auch, dass sie der Schweizer Student Martin Disteli schuf, der vor 200 Jahren in Jena studierte und der Burschenschaft nahestand. Es sei quasi ein Frühwerk des später bekannten Karikaturisten, so Babette Forster, Kustodin der Universität.

Martin Disteli bemalte die Karzerwände, als er zwei dort einsitzende Kommilitonen besuchte. Laut Datierung des Werks war das am 30. Juli 1822. Allerdings bediente er sich dabei nicht, wie über Jahrzehnte kolportiert, aus dem Abort-Eimer in der Zelle.

Restauratoren widerlegen Mythos von "Kot und Blut"-Bildern

Diese Legende von den Malereien aus "Kot und Blut" seien durch die konservierungswissenschaftlichen Untersuchungen eindeutig ins Reich der Fantasie verbannt, sagt Restauratorin Katharina Heiling. Auch Kohlezeichnungen sind es nicht.

Die Expertin für Wandmalereien "sitzt" seit Anfang Juli im Auftrag der Universität im Karzer ein, um die Malereien aufwendig zu reinigen und zu konservieren. Sie hat herausgefunden, dass Disteli einen Mix aus Ocker, Leinöl und Magerquark für seine "Kunstwerke" benutzte.

Antike Motive und eine Karikatur von Goethe

Eines ist mit "Raub der Sabinerinnen" überschrieben und soll Professoren aus jener Zeit zeigen, die sich mit Schankmädchen aus dem Staub machen. Gleich neben der Tür findet sich eine Karikatur Goethes und das Werk genau gegenüber zeigt "Marius auf Carthago", auch das ein aus der römischen Antike entlehntes Motiv.

Bei ihren Untersuchungen entdeckte die Restauratorin auch, dass sich Disteli seinerzeit an allen vier Wänden des etwa 15 Quadratmeter großen Raumes verewigte. Es gibt Konturen von weiteren Malereien zu beiden Seiten des Gitterfensters.

Konturen nur durch UV-Licht sichtbar

UV-Licht habe die verbliebenen Ölspuren sichtbar gemacht, so Katharina Heiling. Mit bloßem Auge sind sie kaum erkennbar. Doch auch diese Arbeiten zeigten eindeutig die Handschrift von Disteli.

2018 hat die Kustodie der Universität die Betreuung des Karzers übernommen. Er befindet sich in einem Gebäude der Anatomie am Teichgraben, einem der ältesten der Alma mater.

32.000 Euro für Restaurierung

Eine Förderung durch das Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie habe diese erste gründliche Untersuchung des Karzers und die Konservierung der Malereien möglich gemacht, so Babette Forster.

An den Kosten von mehr als 32.000 Euro beteiligen sich auch die Kunstsammlung der Universität, der Verein für Jenaer Stadt- und Universitätsgeschichte sowie die Gesellschaft der Freunde und Förderer der Universität.

Laut Forster werden die restauratorischen Arbeiten noch einige Wochen dauern. Ob sich die Karzertür möglicherweise am 11. September, am Denkmaltag, erstmals nach Jahren wieder für Besucher öffnet, wollte die Kustodin noch nicht versprechen.

MDR (fra)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Das Fazit vom Tag | 30. Juli 2022 | 18:00 Uhr

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