Hochschulleben Studierende finden in Jena keine Wohnung

29. September 2022, 05:00 Uhr

Die angespannte Lage am Wohnungsmarkt hat für viele Studierende einen verschärften Konkurrenzkampf um freie Wohnheim- und WG-Plätze zur Folge. Corona-Pandemie und Energiekrise verschlimmern die Lage noch einmal zusätzlich. Auch in beliebten Studierendenhochburgen wird günstiger Wohnraum immer knapper. Studienanfänger müssen sich die nächsten Jahre wohl auf lange Wartelisten und viele WG-Castings einstellen.

Eigentlich will Louisa Nietzold nur mit ihrer Freundin in eine WG ziehen. Ende Juli, erzählt sie, bekam sie den Bescheid, dass sie für ein Pharmazie-Studium in Jena angenommen wurde. Seitdem ist sie auf Wohnungssuche. Bei der ersten vielversprechenden Bleibe wird ihr noch kurz vor der ersten Besichtigung abgesagt. Später kommt die Absage bei einer anderen Wohnung an dem Tag, an dem eigentlich der Mietvertrag unterschrieben werden sollte.     

Die 20-jährige Dresdnerin und ihre Freundin besuchen auch eine öffentliche Informationsstelle in Jena. "Die haben uns dort gesagt, 0,8 Prozent der Wohnungen sind frei. Und es sind über 3.000 Suchende", erinnert sie sich. Die Erfahrungen von Louisa können derzeit viele teilen.

Studentenwohnreport sieht ernste Lage

"Die Lage für Studierende im deutschen Wohnungsmarkt hat sich in den letzten zwölf Monaten noch einmal deutlich verschärft", heißt es in einer Untersuchung des Finanzdienstleisters MLP und des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW).

Für den diesjährigen Studentenwohnreport schauten sich die Forscher und Forscherinnen 38 Standorte genauer an und verglichen die durchschnittlichen Mieten. WG-Zimmer verteuerten sich demnach um 9,4 Prozent. Gerade in Großstädten können Vermieter die Erhöhungen leicht durchsetzen, weil eine große Nachfrage auf relativ wenig Angebot treffe.  

Problemstadt Jena

Diese Angebotsknappheit ist für Louisa direkt spürbar. Obwohl Jena mit seinen 108.000 Einwohnern und Einwohnerinnen an der Großstadtgrenze kratzt, ist es dort eng. "Ich habe auch überlegt, ob ich in ein Hostel gehe. Es wurden uns auch gesagt, dass das viele Leute machen", erzählt sie.

Aufgrund der Tallage steht Bauland nur begrenzt zur Verfügung. Und während die Gesamtbevölkerung von Thüringen schrumpft, vergrößert sich Jena sogar.

Zwar gab es in den letzten Halbjahren auch einen kurzzeitigen Bevölkerungsrückgang. Bis 2040 prognostiziert das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung Jena ein Wachstum um fünf Prozent. Wirtschaftlich geht es der Stadt gut, die Uni Jena ist ein nationales Aushängeschild.

Jährlich wollen dadurch tausende Studienanfänger dort hinziehen. In der Folge der Corona-Pandemie wurde zudem die Regelstudienzeit erhöht, weswegen viele Immatrikulierte länger in ihren Wohnungen bleiben. Zusätzlich werden durch die Inflation auch kleinere Wohnungen attraktiver für Dauermieter wie Paare und Familien, schreibt der MLP-Report.

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Wohnheime verzeichnen viele Bewerbungen

"Die Lage ist insofern prekär, weil eine ganze Reihe von Studierenden keine Plätze bekommen können", sagt Torsten Schubert, Geschäftsführer des Studierendenwerks Thüringen. Insgesamt stehen dem Studierendenwerk laut Schubert 3.200 Wohnheimplätze in Jena zur Verfügung – bei 4.900 Bewerbungen.

Um die anhaltende Nachfrage zu befriedigen, vermittelt die Hochschuleinrichtung auch nach Wohnheimen in Weimar oder Bundesgenossenschaften in der Umgebung. Auch eine private Zimmervermittlung wird über die Webseite des Studentenwerks angeboten.

Angesichts der Energiekrise sind Wohnheimplätze besonders vorteilhaft. Ab November dieses Jahres ist zwar eine zusätzliche Energiepauschale von monatlich 35 Euro fällig. In der Miete sind jedoch alle Nebenkosten enthalten. Eine hohe Nachzahlung Monate später entfällt dadurch.  

Trotz der Maßnahmen ist die Lage in Jena verglichen mit anderen ostdeutschen Universitätsstädten wie Chemnitz, Dresden oder Leipzig angespannter. Mieten sind hier im Schnitt für Studierendenwohnungen teurer, Inserate seltener und die Verfügbarkeit von kleinen Einzelapartments nimmt ab.     

Insgesamt sei man aber noch gut aufgestellt, meint Schubert und betont, dass der gesamtdeutsche Wohnungsmarkt mit derlei Problemen zu kämpfen habe. "Mit unseren 3.200 Plätzen leisten wir einen sehr hohen Beitrag. Mehr ist kaum machbar", sagt er. So stieg beispielsweise das Angebot von WG-Zimmern in Jena im Vergleich zum Vorjahressemester um 14 Prozent.    

Studierende fordern höheres BAföG

Louisa Nietzold hat mittlerweile eine Unterkunft gefunden, zumindest kurzzeitig. Ein halbes Jahr lang wohnt sie zur Untermiete in einer WG mit zwei weiteren Personen. Für ihr 16-Quadratzimmer bezahlt sie etwa 350 Euro pro Monat. Nach mehreren erfolgslosen WG-Castings ist sie froh, endlich etwas gefunden zu haben. "Das ist schon cool, aber halt auch teuer", sagt sie.

Um sich das Studium und die Miete zu finanzieren, will sie einen Nebenjob annehmen. Einen BAföG-Antrag hat sie bisher noch nicht gestellt. Der Förderungshöchstsatz wurde kürzlich vom Bund von 861 auf 943 Euro erhöht. Zudem wurde im dritten Entlastungspaket eine Einmalzahlung von 200 Euro an Studierende beschlossen.

Geht es nach Torsten Schubert vom Studierendenwerk Thüringen reicht das aber noch nicht aus: "Die Anpassung des BAföGs passiert in viel zu kruden Zeitrhythmen." Für eine merkliche Verbesserung der Studierendensituation sei ein deutlich höherer Satz nötig. Der könne nach Abklingen der derzeitigen Krisen auch wieder auf das jetzige Niveau gesenkt werden, meint Schubert.

Auch der Studierendenrat der Uni Leipzig sprach sich in einer kürzlich veröffentlichen Pressemitteilung für eine "drastische Öffnung und Erhöhung des BAföG" aus.

Die Anpassung des BAföGs passiert in viel zu kruden Zeitrhythmen.

Torsten Schubert Geschäftsführer Studierendenwerke Thüringen

Tipps: In Kontakt bleiben, täglich viele WGs anschreiben

Dem aktuellen Wohnungsmangel würde das aber wohl nur bedingt helfen. Neustudentin Louisa empfiehlt Suchenden, täglich mehrere WGs anzuschreiben, Social Media intensiv zu nutzen oder sich bei Hostels in der Umgebung umzuschauen, bis man etwas Besseres findet.

Torsten Schubert sagt, man solle mit den Studierendenwerken in Kontakt bleiben, selbst wenn man bisher keine Zusage erhalten habe. Manchmal sagen Mieter doch noch überraschend ab. "Es kann sich immer etwas kurzfristig ergeben."

MDR (mad)

36 Kommentare

Harka2 am 30.09.2022

Vielleicht hätte man nach der Wende ein paar Wohnblöcke weniger abreißen sollen. Aber da hat man sich in Jena, Weimar oder Erfurt ja sehr damit beeilt.

Monazit am 30.09.2022

Es gibt aber (außer Grundschullehramt) nicht das eine Lehramtsstudium, weil die Studenten jeweils an den Fachfakultäten ausgebildet werden. Es gibt eine Erziehungswissenschaftliche Fakultät, aber das nimmt nur einen kleinen Teil des Studiums ein. Deswegen können kleine Unis einfach keine Lehramtsausbildung leisten. Es fehlt schlicht an Fachpersonal.

Erst denken - dann handeln am 29.09.2022

Nicht nur verschiedene Fachrichtungen, sondern das gesamte Lehramtsstudium sollte man ausgliedern. Wenn dann komplett, man sollte da keine halben Sachen machen. Ich denke sogar aufgrund der Mietpreise wäre das Studium in einer Stadt mit weniger aufgeheiztem Immobiliensektor sogar attraktiver. (jedenfalls aus wirtschaftlicher sicht)

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