Therapie Wege aus der Depression: Thüringer lebt 72 Tage in schwedischer Wildnis
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02. November 2022, 19:23 Uhr
Für Dennis Dietz aus dem thüringischen Tautendorf ist das Sprichwort "Jeder hat sein Päckchen zu tragen, mancher sogar einen Rucksack" zur Realität geworden. Vor mehr als einem Jahr merkte der Hundetrainer: Etwas stimmt nicht. Er wird unzuverlässig, schläft schlecht, verspürt kaum noch Freude. Die Diagnose: Depression. Doch statt einer stationären Therapie in einer Klink, verordnet er sich selbst eine: im schwedischen Fulufjäll-Nationalpark.
Während der Corona-Pandemie legen sich viele Menschen einen Hund zu. Hundetrainer Dennis Dietz kann sich vor Aufträgen kaum retten. Seine Schule in Tautendorf in der Nähe von Gera boomt. Doch während ein Jahr später das Leben in Deutschland langsam wieder in Bewegung kommt, steht bei Dietz plötzlich alles still. "Ich hatte während der Pandemie ziemlich Gas gegeben in der Hundeschule und mir in der Zeit auch angewöhnt, immer erreichbar zu sein", erzählt der 30-Jährige. "Am Sonntag, an Feiertagen, immer. Und irgendwann habe ich gemerkt: Jedes Handyklingeln löst innere Unruhe bei mir aus." Es folgen Schlaflosigkeit, Gedankenkarussell, Panikattacken und dann der totale Stillstand. "Es gab Tage, da konnte ich nur aufstehen, um mich um meine Hunde zu kümmern", sagt Dietz und streicht Hündin Zulu über den Kopf.
Einsamkeit und Natur statt Klinik
Dietz macht sich auf die Suche nach einem Therapeuten. Ein schwieriges Unterfangen, denn Psychotherapeuten sind Mangelware und haben lange Wartezeiten. Dietz findet irgendwann einen Therapeuten, der ihn auch medikamentös einstellt und zusätzlich noch zu einer stationären Aufnahme rät. Doch das kommt für ihn nicht infrage - wegen der Hunde. "Ich habe dann zu Hause gesessen und mich gefragt: Was könnte mir helfen? Und da kam die Natur ins Spiel", so der Tautendorfer.
Da es Dietz in den Jahren zuvor ohnehin immer nach Skandinavien gezogen hatte, war für ihn das Ziel schnell klar: der Fulufjäll-Nationalpark in Schweden. Und so packt er im Sommer 2022 seinen Rucksack, kauft Outdoor-Nahrung für drei Monate und geht mit seinen vier Hunden nach Schweden.
Mir fällt es schwer, dass jemandem zu beschreiben, der es selbst nicht erlebt hat. Vor allem, weil es in der Gesellschaft immer noch nicht genügend Akzeptanz für diese Krankheit gibt.
Therapie-Ziel: Erkennen, wer man ist
Der Fulufjäll-Nationalpark grenzt an Norwegen. Hier ist es wild und rau. Die Tage sind geprägt von simplen Sachen: Wasser holen, wenn man Durst hat. Beeren sammeln, wenn man Hunger hat. Feuer machen, wenn einem kalt ist. Dietz kauft sich eine Angelberechtigung und fischt, wenn er keinen Appetit auf Instant-Nahrung hat. "Wenn man über Wochen kein von Menschen gemachtes Geräusch hört, kein von Menschen erbautes Gebäude sieht, dann muss man sich mit sich selbst beschäftigen", so Dietz. Diese Zeit der Stille, sagt er, hat dazu geführt, dass es ihm heute besser geht.
Von der Überforderung hin zur Herausforderung
In den 72 Tagen kommt für ihn vor allem eine Erkenntnis: "Ich glaube, dass wir in einer Gesellschaft leben, die sich immer mehr von der Natur entfernt, und das hat zur Folge, dass wir uns auch von uns selbst wegbewegen", so Dietz. Er begreift: Durch die permanente Erreichbarkeit durch seinen Beruf, hat er sich völlig vergessen. In der Wildnis merkt er: Die Tage fordern ihn heraus. Aber sie sind nicht mehr überfordernd.
Aktionstag gegen Depression
Dennis Dietz ist hinsichtlich seiner selbstgewählten Therapiemethode vielleicht ein Einzelfall. Allerdings nicht, was die Erkrankung angeht. Laut der Stiftung Deutsche Depressionshilfe erkranken rund 5,3 Millionen der erwachsenen Deutschen im Laufe eines Jahres an einer depressiven Störung.
Depression ist eine gefährliche und eine todbringende Krankheit.
Für Thomas Sobanski, Chefarzt in der Klinik für Psychiatrie an den Thüringen Kliniken in Saalfeld, ist es daher wichtig, auf Depression aufmerksam zu machen. "Depression ist nicht nur eine sehr häufige Krankheit, sondern auch eine, an der die Menschen sehr schwer leiden. Etwa 15 Prozent aller Menschen, die Depression bekommen, nehmen sich das Leben. Das heißt, es ist eine gefährliche und eine todbringende Krankheit", so Sobanski.
Laut dem Statistischen Bundesamt wurden 2020 rund 75 Prozent der Suizide von Männern verübt. Thüringen hat mit 13,6 Prozent die dritthöchste Suizidrate der Bundesländer, höher ist sie noch Sachsen und Sachsen-Anhalt.
Vor zwölf Jahren gründete Sobanski mit anderen Kollegen das "Bündnis gegen Depression Saalfeld-Rudolstadt" und veranstaltet jährlich einen Aktionstag gegen Depression (2. November 2022). Hier informieren er und andere Ärzte über Anlaufstellen, Frühwarnzeichen, psychische Folgen der Corona-Pandemie oder neue Therapieformen.
Psychiater: Medikation ist wichtig
Über den Weg, den Dennis Dietz sich gesucht hat, sagt Chefarzt Sobanski: "Wenn die Medikamente weiter genommen werden, dann hat das Modell, sich in der Natur einfach mal zu befreien, eine Chance." Allerdings weist Sobanski darauf hin, dass Klinikaufenthalte, gerade bei schweren Verläufen, sinnvoll sind. Seine Anti-Depressiva nimmt Dietz weiter. Ansonsten lautet seinen Therapie-Form: Natur und ein immer gepackter Rucksack. Schweden wird für ihn die Medizin Nummer eins bleiben.
Hilfe bei Depressionen und Suizidgedanken
Sie haben Selbsttötungsgedanken oder durchleben gerade eine persönlichen Krise? Die Telefonseelsorge hilft Ihnen rund um die Uhr: 0800 1110111 und 0800 1110222. Der Anruf ist anonym und taucht nicht im Einzelverbindungsnachweis auf.
Auf der Website www.telefonseelsorge.de finden Sie weitere Hilfsangebote, etwa per E-Mail oder im Chat.
Anzeichen für eine Depression
Gedrückte, depressive Stimmung
Interessen- oder Freudlosigkeit
Antriebsmangel beziehungsweise erhöhte Ermüdbarkeit
Verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit
Gefühle von Schuld und Wertlosigkeit und vermindertes Selbstwertgefühl
Hoffnungslosigkeit in Bezug auf die Zukunft
Suizidgedanken/-handlungen
Schlafstörungen, meist Einschlafstörungen und ein frühes Erwachen sind ein typisches Symptom einer Depression
Veränderter Appetit
Psychomotorische Unruhe oder Verlangsamung
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | Thüringen Journal | 02. November 2022 | 19:00 Uhr