Teilnehmer des Workshops "Insektenfreundliche Pflege kommunaler Grünflächen" harken eine Wiese in Golmsdorf.
Grasschnitt nicht auf der Wiese verrotten zu lassen, trägt zu einer höheren Artenvielfalt bei. Bildrechte: MDR/Dörthe Gromes

Saale-Holzland-Kreis Artenvielfalt: Was Kommunen zum Insektenschutz beitragen können

25. Mai 2023, 19:04 Uhr

Einfach eine bunte Samenmischung aus dem Baumarkt auf die kommunale Wiese streuen und schon wird aus dem Filzrasen ein insektenfreundliches Biotop? Ganz so einfach geht es leider nicht. Ein vom Bund gefördertes Projekt soll Kommunen im Saale-Holzland-Kreis nun in die Lage versetzen, im Artenschutz aktiv zu werden und außerdem Arbeitskapazität zu sparen. Ein Workshop in Golmsdorf bei Jena bildete den Anfang.

Es gibt wohl in jeder Gemeinde Flächen, die nur dazu da sind, regelmäßig gemäht zu werden, um nicht zu verwildern. Eintöniger Rasen, dessen Pflege einigen Aufwand verursacht. Dabei könnten dort auch Wildblumenwiesen wachsen, die das Auge erfreuen und als wertvolle Kleinstbiotope helfen, die Artenvielfalt zu bewahren. Um eine solche artenreiche Wiese dauerhaft zu erhalten, bedarf es sowohl einer intensiven praktischen Vorbereitungsphase als auch des Wissens um die richtige Pflege.

Gleichzeitig ist kurz gehaltener Rasen für viele Bürgerinnen und Bürger immer noch ein Synonym für Ordnung und es hagelt oft Beschwerden, wenn Flächen nach Verwilderung aussehen. "Wir wollen die Leute auch sensibilisieren, dass man nicht jedes Gänseblümchen wegmähen muss und das Gras auch mal etwas länger stehen bleiben darf", erzählt Gertraud Klaus, ehrenamtliche Bürgermeisterin von Löberschütz.

verfilzter, dicht bewachsener Rasen
Kurzer Rasen sieht ordentlich aus, ist aber sehr artenarm. Bildrechte: MDR/Dörthe Gromes

Bedeutung von Kommunen für Naturschutz unterschätzt

Sie nahm zusammen mit anderen Vertretern verschiedener Gemeinden am Workshop teil, der von der Regionalen Aktionsgruppe Saale-Holzland e.V. (RAG) und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der in Nickelsdorf ansässigen Natura 2000-Station betreut wurde. Projektleiterin Christine Teumer sagt: "Kommunen decken eine bislang wenig beachtete Lücke im Naturschutz ab, dabei verfügen sie über eine Vielzahl von für die Natur wertvollen Flächen."

Team der Natura-2000-Station des Saale Holzland-Kreises am Sportplatz in Golmsdorf
Das Team der Natura 2000-Station des Saale Holzland-Kreis. Bildrechte: MDR/Dörthe Gromes

Förderung durch Bundesprogramm Das von 2022 bis 2028 laufende Projekt "Insekta" wird unter anderem aus Bundesmitteln gefördert. Es soll in den Projektgebieten in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt circa 625 Hektar Fläche insektenfreundlich (um)gestalten.

Zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen

Uwe Geyer, der in seiner Funktion als Bauamtsleiter in Bürgel am Workshop teilnimmt, möchte mit dem Projekt zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: "Wir bekommen die Anfangsinvestitionen, die relativ hoch sind, finanziert und sparen langfristig an Arbeitskraft, wenn wir die Flächen nur noch zwei Mal im Jahr mähen statt wie bisher sechs bis acht Mal." Gerade in den Landgemeinden mit ihren oft weit auseinanderliegenden Ortsteilen kommt da übers Jahr gesehen einiges an Fahrerei zustande.

Herausforderungen beim kommunalen Insektenschutz

Die Gemeinden stehen also zwischen der Ordnungsliebe vieler Einwohner einerseits und dem wachsenden Bewusstsein, dass man für den Erhalt der biologischen Vielfalt gewisse Pflegeroutinen überdenken muss. Mitunter hilft es da schon, einen sogenannten "Sauberkeitsstreifen" am Rande einer Fläche zu mähen, um den Menschen zu signalisieren: "Das hier ist keine vernachlässigte Fläche, sondern Absicht."

Ein sogenannter Sauberkeitsstreifen - ein Stück gemähte Wiese entlang einer Straße - in Golmsdorf.
Ein Sauberkeiststreifen signalisiert Ordnungsliebe. Bildrechte: MDR/Dörthe Gromes

Bei Flächen, die noch von sich aus ein ökologisches Potenzial mitbringen, hilft es schon, wenn Rhythmus und Häufigkeit der Mahd umgestellt werden, erklärt Christine Teumer den Projektteilnehmern am Beispiel einer arten- und nährstoffreichen Wiese am Rande von Golmsdorf. "Eine erste Mahd Anfang Juni und eine zweite etwa acht Wochen später ermöglicht eine höhere Artenvielfalt, weil dann auch schwächer wachsende Pflanzen eine Chance haben, sich zu entfalten."

Auch sollte das Mahdgut unbedingt von der Fläche runter statt es vor Ort verrotten zu lassen, um den Nährstoffeintrag in die Wiese zu verringern und so den Artenreichtum zu fördern. Die Entsorgung des Schnittgutes wiederum bedeutet für die Gemeinden einen Mehraufwand, zumal nicht alle über eine Kompostieranlage verfügen.

artenreiche, üppig bewachsene Hangwiese bei Golmsdorf
Diese üppig bewachsene Wiese ist ein Biotop für Insekten und andere Tierarten. Bildrechte: MDR/Dörthe Gromes

Flächen aufbrechen

Doch viele kommunale Flächen wurden seit Jahrzehnten intensiv mit dem Rasenmäher bearbeitet, dort herrscht eine artenarme "grüne Wüste". Um diese ökologisch uninteressanten Flächen in insektenfreundliche Blühwiesen zu verwandeln, muss zunächst eine Radikalkur her: "Wir brechen den Boden im Abstand von mehreren Wochen mehrmals auf, um die vorhandene Vegetation zu entfernen", erklärt Projektmitarbeiter Jonas Börsch.

Doch hier steckt der Teufel schon im Detail, denn viele Gemeinden haben keine dazu geeigneten Gerätschaften und auch Leihfirmen sind im ländlichen Raum nicht ohne weiteres verfügbar. Die extra für den Workshop angemietete Bodenfräse jedenfalls erwies sich als zu schwachbrüstig, um den dick verfilzten Rasen aufzubrechen.

Eine Mitarbeiter der Gemeinde Golmsdorf bearbeitet eine Wiese mit einer Bodenfräse.
Die ausgeliehene Bodenfräse hat mit dem dichten Rasen zu kämpfen. Bildrechte: MDR/Dörthe Gromes

Aus diesem Grund will der Projektträger RAG eine eigene Maschine anschaffen, die den Gemeinden dann leihweise zur Verfügung gestellt werden kann. Die Ausschreibung läuft derzeit.

Regional angepasstes Saatgut

Ist die Erde erst einmal feinkrümelig aufgebrochen, wird im Spätsommer auf die Fläche spezielles Wildsaatgut aus der Region aufgebracht. "Die Baumarktmischungen enthalten viele einjährige Pflanzen, außerdem Zuchtformen und nicht einheimische Arten. Das ist nicht unbedingt im Sinne der Nachhaltigkeit", so Christine Teumer. Das regional gesammelte und vermehrte Saatgut von einem Spezialhersteller ist kostenintensiv und wird über das Förderprogramm bezahlt.

Die Baumarktmischungen enthalten viele einjährige Pflanzen, außerdem Zuchtformen und nicht einheimische Arten. Das ist nicht unbedingt im Sinne der Nachhaltigkeit.

Projektleiterin Christine Teumer

Dann braucht es noch Zeit und Geduld, bis sich eine auch optisch ansprechende Wiese entwickelt, auf der man sich einen Wildblumenstrauß pflücken kann. "Zwei Jahre dauert es mindestens", sagt Jonas Börsch. Aber es lohnt sich der Aufwand, denn gut gepflegte Wiesen können Jahrzehnte überdauern.

Blühwiese im Egapark Erfurt mit Margeriten, Acker-Senf und Inkarnat-Klee.
So schön können Blühwiesen aussehen wie hier im Egapark Erfurt. Bildrechte: MDR/Dörthe Gromes

Bedrohung durch invasive Arten

Doch solche Bemühungen sind schnell zunichte gemacht, wenn sich invasive Pflanzen ausbreiten. Das Orientalische Zackenschötchen beispielsweise blüht derzeit leuchtend gelb an vielen Straßen- und Feldrändern im Saale-Holzland-Kreis. Gern wird es mit dem sehr ähnlich aussehenden Raps verwechselt.

"Wir versuchen, die Bestände zu erfassen und die Pflanze auf ökologisch wertvollen Flächen zu bekämpfen", sagt Katrin Hänze, die das Projekt "Management invasiver Pflanzenarten" der RAG leitet. Zum Beispiel auf den mageren Wiesen an den Berghängen - Kalkhalbtrockenrasen in der Fachsprache genannt -, wo selten gewordene Orchideen wachsen.

Große Bestände des Orientalischen Zackenschötchens wachsen am Straßenrand bei Golmsdorf.
Dichte Zackenschoten-Bestände an einem Straßenrand bei Golmsdorf. Bildrechte: MDR/Dörthe Gromes

Die konkurrenzstarke Zackenschote wird vor allem durch Straßenbau und Landwirtschaft verbreitet und ist schwer zu bekämpfen. Auch hier will das Projekt die Gemeindevertreter aufklären. "Zum einen soll die Pflanze überhaupt erst einmal als Problem erkannt werden", so Hänze. "Zum anderen klären wir auf, wie eine Ausbreitung der Pflanzen gestoppt oder zumindest erschwert werden kann." Wenn zum Beispiel zum richtigen Zeitpunkt gemäht wird, lässt sich eine Ausbreitung durch Samen verhindern.

Wer das Zackenschötchen endgültig loswerden möchte, muss schon zum Unkrautstecher greifen, um die Staude mit der Wurzel aus der Erde zu bringen. Für diese langwierige und mühsame Arbeit fehlen den meisten Kommunen jedoch die personalen Kapazitäten. Deshalb organisiert Hänze jedes Jahr im Mai/Juni und später im September/Oktober Ausstechaktionen, wo Freiwillige jederzeit willkommen sind.

Katrin Hänze, Mitarbeiterin der Natura-2000-Station im Saale Holzland-Kreis, sticht eine Zackenschote aus (Golmsdorf).
Katrin Hänze setzt den Unkrautstecher an. Bildrechte: MDR/Dörthe Gromes

Das Interesse vieler Gemeinden am Insektenschutz ist jedenfalls sehr groß: "Wir können uns vor Anfragen kaum retten", bemerkt Jonas Börsch abschließend.

MDR THÜRINGEN (dgr)

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 24. Mai 2023 | 19:00 Uhr

3 Kommentare

steka vor 43 Wochen

Aber wieviele exotische nichtheimische Pflanzen, Sträucher, Bäume, Samen werden in unseren Baumärkten, gärtnereien, Baumschulen verkauft ? Wer kennt die Folgen ?

randdresdner vor 43 Wochen

Er sehr guter Artikel.

Anni22 vor 43 Wochen

Danke! Endlich mal was mit Sinn und Verstand. Und es sieht tatsächlich auch noch schön aus, wenn was blüht!

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