Integration "Schichtwechsel" in der Werkstatt für behinderte Menschen

22. September 2022, 21:27 Uhr

Vielfalt zeigen und Vorurteile abbauen wollen seit 2016 die Werkstätten für behinderte Menschen. Beim "Schichtwechsel" tauschen die Beschäftigten für einen Tag ihren Arbeitsplatz mit Mitarbeitern anderer Unternehmen.

Tube für Tube füllt sich die graue Kiste. An der Verpackungsmaschine steht Tilo Krämer. Er ist heute verantwortlich, dass die Linie nicht ins Stocken gerät. "Ich bin normalerweise in der Behindertenwerkstatt in Pößneck", erzählt er. "Aber ich möchte zeigen, dass ich auch auf dem freien Arbeitsmarkt arbeiten kann." So wie Tilo Krämer sind am Donnerstag noch drei weitere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unterwegs zu ihren Tauschplätzen. Denn die Arbeiterwohlfahrt im Saale-Orla-Kreis nimmt mit ihrer Werkstatt für behinderte Menschen in Pößneck am "Schichtwechsel"-Projekt teil. Dabei tauschen Mitarbeiter der Werkstätten ihren Arbeitsplatz mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Partnerunternehmen.

Partner schwer zu finden

Den "Schichtwechsel"-Tag gibt es seit 2016, erzählt Mandy Weiser, die Leiterin der Pößnecker Werkstätten. Inzwischen nehmen bundesweit 90 Werkstätten teil, fünf davon in Thüringen. Die Einrichtung in Pößneck ist seit 2017 dabei. Schwierig ist jedoch die Suche nach Partnern in der Wirtschaft. "Wir haben 30 Unternehmen und Einrichtungen angeschrieben", sagt Mandy Weiser. "Leider machen nur drei mit." Der Zeitaufwand könnte ein Grund für die schwache Beteiligung sein, denn so ein Tag macht Arbeit. Den behinderten Menschen müssen Paten an die Seite gestellt werden, außerdem fehlen die Wechselmitarbeiter in der eigenen Produktion im Betrieb.

Wir haben 30 Unternehmen und Einrichtungen angeschrieben. Leider machen nur drei mit.

Mandy Weiser Leiterin Pößnecker Werkstätten

Langzeitkooperation in Könitz

Eric Wilhelm investiert die Zeit gern in seinem Unternehmen. Die Firma Probst in Könitz stellt Geräte für den Straßen- und Wegebau her und ist nach eigenen Worten Weltmarktführer in dem Bereich. Seit zwanzig Jahren arbeitet das Unternehmen auch mit den Pößnecker Werkstätten zusammen. Dort produzieren die Mitarbeiter Teile für Baugeräte. Auch mit anderen Thüringer Werkstätten gibt es Kooperationen. Am Donnerstag sind zwei Mitarbeiter der Pößnecker Einrichtung in Könitz zu Gast. Sie arbeiten an einem Schweißroboter, der die Teile für sogenannte Steinzieher verbindet. Mit diesen Geräten können Pflasterer einzelne Steine aus größeren Flächen herausziehen.

Den eigenen Horizont erweitern

Maschinenführer Lutz Haase zeigt den beiden Pößneckern Nick Bolz und Dirk Kotzerke die richtigen Arbeitsschritte am Roboter. Alle Teile müssen sie richtig einlegen und fest einspannen. Dann fährt das Rolltor an der Anlage herunter, der Roboter beginnt seine Arbeit. In der Zwischenzeit können die Arbeiter schon die Teile an der Anlage nebenan einlegen. "Ich habe mich freiwillig gemeldet, weil ich mal was Neues ausprobieren wollte", sagt Dirk Kotzerke.

Das will auch Christian Stahl, der normalerweise bei Probst in Könitz arbeitet. Er tauscht für einen Tag seinen Arbeitsplatz mit einem in den Pößnecker Werkstätten. Dort montiert er Bauteile für Heizungsmonteure. Die muss er dann auch gleich noch verpacken. Christian Stahl ist beeindruckt von der Arbeit der behinderten Menschen: "Mal zu sehen, was die Leute hier wirklich leisten. Die meisten wissen ja gar nicht, was hier passiert."

Ich habe mich freiwillig gemeldet, weil ich mal was Neues ausprobieren wollte.

Dirk Kotzerke

In der Werkstatt nebenan sortiert Bernd Möller Schrauben. Der Auftrag eines Betriebes aus dem Gewerbegebiet, der ebenfalls schon lange mit den Werkstätten zusammenarbeitet. Viele Unternehmen schätzen, wie gewissenhaft die Aufträge von den behinderten Menschen bearbeitet werden.

Kein leichter Weg

Alle "Schichtwechsler" sind sich am Donnerstag einig: Der Tag in anderen Unternehmen ist nicht nur ein Blick über den Tellerrand. Er gibt auch interessante Einblicke in verschiedene Arbeitsplätze und vielleicht auch die Möglichkeit, selbst einmal im "normalen" Arbeitsleben Fuß zu fassen. Viele Mitarbeiter in den Werkstätten wünschen sich ganz " normale" Arbeitsplätze. Doch nicht alle sind dem Zeitdruck in den Betrieben gewachsen. Für die Unternehmen heißt das: Sie müssen umdenken.

Eric Wilhelm will die bisherigen guten Erfahrungen mit den Werkstätten in Thüringen nutzen. Er plant, bei Probst in Zukunft mehr behinderte Menschen direkt im Unternehmen einzusetzen.

MDR (cfr)

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 22. September 2022 | 19:00 Uhr

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