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Saale-Orla-KreisHotel-Testbetrieb mit ukrainischen Flüchtlingen auf Schloss Oppurg

27. August 2022, 19:00 Uhr

Eigentlich wollte der neue Eigentümer des Oppurger Schlosses erst später mit dem Hotelbetrieb starten. Bis zum Hilferuf des Landratsamtes Saale-Orla. Jetzt leben hier ukrainische Flüchtlinge.

von Andreas Dreißel, MDR THÜRINGEN

Unter den großen Sonnenschirmen auf der Terrasse sitzen noch wenige Gäste, das neue Café im Oppurger Schloss ist noch ein Geheimtipp. Eigentlich sollte es hier schon früher losgehen, doch wie überall in der Gastronomie fand der neue Schloss-Eigentümer Marcus Kemmer nicht genügend Fachkräfte für Küche und Service. In dieser Woche konnte das Café endlich öffnen. Gleich fünf neue Mitarbeiterinnen verstärken jetzt das Team.

Doch es ist ein Start mit Hindernissen, das größte: die Sprachbarriere. Denn die Fünf kamen als Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine und leben im Schloss. "Insgesamt haben wir jetzt 120 Ukrainerinnen und Ukrainer hier bei uns", erzählt Marcus Kemmer. "Die letzten kamen heute aus der Pößnecker Turnhalle zu uns." Dort hatte das Landratsamt eine provisorische Erstaufnahme für den Landkreis eingerichtet. Die kann jetzt endlich aufgelöst werden. Die Turnhalle wird auch dringend gebraucht, für Schulen und Vereine. Sie mussten ab dem Frühjahr auf andere Objekte ausweichen.

Wieder mehr Privatsphäre

In der Turnhalle lebten die Flüchtlinge in Zelten Bett an Bett. Jetzt wohnen sie unter dem Dach des Schlosses. Luxus gibt es hier keinen, doch jede Familie hat nun ein eigenes Zimmer mit Bad. Geschlafen wird in Doppelstockbetten. Ein Tisch und Stühle komplettieren die Zimmer. "Die Menschen sind glücklich, wieder etwas Privatsphäre zu haben", sagt Marcus Kemmer. Die meisten kamen mit zwei oder drei Taschen nach Deutschland, erzählt der Schlossherr weiter. Sie seien hilfsbereit, freundlich und dankbar.

In der Küche bereiten die Mitarbeiter inzwischen das Mittagessen für die Hausgäste vor. Fisch mit Kroketten und Remoulade, 120 Portionen. Zum Nachtisch gibt es Waldmeisterpudding. Geduldig warten die Familien vor der Ausgabe und gehen dann in einen der beiden Speiseräume. Die sollen später als Frühstücksraum für Hotelgäste dienen. Im nächsten Frühjahr soll es soweit sein. Bis dahin kann das Hotel-Team mit den ukrainischen Gästen üben. Marcus Kemmer spricht von einer Win-win-Situation. "Wir arbeiten quasi im Hotel-Testbetrieb unter fast realen Bedingungen und konnten gleichzeitig dem Landratsamt helfen."

Wenig Verständnis für Neid-Debatte

Berührende Szenen, als ein kleines Mädchen zu Marcus Kemmer geht und ihn immer wieder umarmt. Er hatte der Kleinen ein Stofftier bei der Ankunft geschenkt. So etwas bewege ihn, sagt Kemmer. Er erzählt auch von einer ukrainischen Frau im Schloss, die krebskrank vor dem Krieg aus der Ukraine nach Deutschland flüchtete und der es jetzt so schlecht geht, dass sie wohl in Oppurg sterben wird.

Auch deshalb kann der Schlossherr nicht verstehen, warum einige in der Region schon wieder eine Neid-Debatte anstoßen. Denn nicht alle gönnen dem Schlossherrn das volle Haus. In sozialen Medien ist die Rede davon, dass Marcus Kemmer sich hier eine goldene Nase verdiene. Der widerspricht energisch. "Hier wird niemand über Nacht reich! Es gibt einen Standardsatz für Möbel, die wir neu gekauft haben, und Geld für die Verpflegung der Menschen."

760 ukrainische Flüchtlinge im Saale-Orla-Kreis

Im Saale-Orla-Kreis leben aktuell etwa 760 Ukrainerinnen und Ukrainer. Sie erhalten anfangs Grundleistungen für Asylbewerber, später Leistungen vom Jobcenter. Viele von ihnen wollen arbeiten. Das Problem sind die wenigen Deutschkurse. Bei der Volkshochschule Saale-Orla gibt es Wartelisten. Zu wenige Lehrkräfte seien verfügbar, so die Auskunft aus dem Landratsamt. Aus dem Kreishaushalt wurden bisher etwas mehr als drei Millionen Euro für die Flüchtlinge ausgegeben. Die angekündigten Kostenerstattungen vom Land Thüringen sind bisher ausgeblieben. Das Landratsamt rechnet damit, zumindest auf einem Teil der Kosten sitzenzubleiben.

Fraglich ist auch, ob für alle geflüchteten Familien oder Frauen mit Kindern genügend Wohnungen bereitgestellt werden können. Auch deshalb sind sie im Landratsamt froh über die Möglichkeiten im Oppurger Schloss. Die Mitarbeiter kümmern sich hier nicht nur um die Unterkunft und die Verpflegung der Menschen. Sie helfen auch beim Ankommen in Deutschland.

Bis zum regulären Hotelbetrieb noch viel zu tun

Unterstützt werden sie dabei von Kristina Klymenko. Die junge Frau kam mit ihrem vierjährigen Sohn aus Kropywnyzkyj nach Deutschland. Der Ort liegt zentral in der Ukraine, ringsum ist Krieg. "Es war hart für mich, die Heimat zu verlassen", erzählt sie. "Aber ich wollte mit meinem Kind in Sicherheit leben." Jetzt lernt Kristina Klymenko Deutsch. Wenn ihr Sohn in den Kindergarten gehen kann, will sie Arbeit suchen. Bis dahin organisiert sie mit dem Schloss-Team das Leben der anderen ukrainischen Menschen im Schloss. Manchmal verzweifelt sie an den vielen deutschen Regeln. "Es ist schwierig, aber man muss sich einfach daran gewöhnen. Es hängt auch immer von der Person ab und wie man an die Sache herangeht," sagt sie lächelnd.

Marcus Kemmer ist inzwischen mit Betriebsleiterin Diana Spöhrl unterwegs im Haus. Bis hier ein regulärer Hotelbetrieb starten kann, gibt es noch viel zu tun. Einige Hochzeiten konnten sie hier schon ausrichten - und die Nachfrage ist hoch. Vor allem für das nächste Jahr gibt es viele Buchungen, denn dann können die Hochzeitsgäste im Schloss übernachten. Bis dahin müssen sie hier auch noch die Suiten einrichten. Auch die Zimmer der ukrainischen Gäste im Dachgeschoss müssen dann noch einmal ummöbliert werden. Im normalen Hotelbetrieb muss dann niemand mehr im Doppelstockbett schlafen.

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MDR (sar)

Dieses Thema im Programm:MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 27. August 2022 | 19:00 Uhr