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Ein Bild aus glücklicheren Tagen: Svens erster Rennwagen war auch das Hochzeitsauto für ihn und seine Frau Jessica. Bildrechte: MDR/ Stefanie Reinhardt

Nach zwei Schlaganfällen"Wir brauchen ein Wunder": Wie eine Motorsport-Familie aus Pößneck mit dem Schicksal kämpft

20. Juni 2022, 18:56 Uhr

Nach einem schweren Schicksalsschlag für die Motorsport-Familie Wesotowski aus Pößneck kämpfen Familie und Freunde darum, Rallye-Fahrer Sven wieder zurück ins Leben zu helfen.

von Stefanie Reinhardt, MDR THÜRINGEN

Jessica Wesotowski steht im Erdgeschoss ihres Reihenhauses in Pößneck. Seit Kurzem ist hier fast nichts mehr so, wie es war. In einem kleinen Raum wurden Wände, Stufen und Fußboden entfernt. Ein Bad mit ebenerdiger Dusche soll hier rein. Alles soll barrierefrei sein. "Für Sven, wenn er nach Hause kommt, mit dem Rollstuhl", sagt sie. "Und er sich irgendwann wieder selbst helfen kann. Mein Mann ist 38."

Die größte Hürde dafür liegt im Moment um die Ecke: Es ist die Treppe im Flur, die nach oben führt zu den Wohnräumen im ersten und zweiten Stock. Wie kommt Sven mit dem Rollstuhl überhaupt hoch? Weil das Treppenhaus zu schmal ist, bleibt nur, sagt Jessica, einen Fahrstuhl einbauen. Der soll von der Garage im Erdgeschoss nach oben führen. Dazu hat sie die Garage umgebaut.

Kein einfacher Schritt, sagt sie. "Denn damit nehme ich meinem Mann eigentlich sein Liebstes." Die Garage hat Sven auch als Werkstatt genutzt - für sein Hobby, den Motorsport. Das sei Svens Leben, sagt Jessica. "Ich hoffe, er kann mir das irgendwann verzeihen."

"Motorsport ist unser Familienleben"

Sven Wesotowski (38) hat schon als Kind mit dem Rennsport angefangen. Sein Verein: der MSC Pößneck. Dort fuhr er zuerst Kart. Später fing er mit dem Rallye-Sport an. Sein erster Rennwagen - ein gelber Opel Kadett GSI. Für ihn suchte Sven noch einen Teamkollegen. In Jessica fand er nicht nur die Liebe fürs Leben, sondern auch seine Beifahrerin. Sven steckte sie mit seiner Liebe für den Rennsport an. 16 Jahre ist das her. Dazwischen haben sie geheiratet.

In ihrer Freizeit fuhren sie viele Rennen. Ein Dutzend Pokale erinnert daran. "Motorsport ist unser Familienleben", sagt die 36-Jährige. "Wir haben Benzin im Blut." Damit aufgehört hätten sie nie. Auch nicht, als die Kinder kamen. "Natürlich sind wir mit einem Gang weniger gefahren. Aber wir sind gefahren", sagt sie. Ihre Kinder - Colin (12) und July (9) - sind mit dem Motorsport aufgewachsen. Sie fahren schon selbst Gokart.

Jessica hält inne. "Das ist, was Sven jetzt genommen wird. Das ist natürlich ganz schwer." Die Tränen steigen in die Augen. "Was einmal läuft, hört auch wieder auf", macht sie sich Mut und lacht. Ihren Humor will sie trotz allem nicht verlieren.

Zwei Schlaganfälle nacheinander

Rückblick: Es ist April, kurz vor Ostern, als sich ihr Leben komplett verändert. Sven hat immer wieder starke Kopfschmerzen. Schon seit einem Jahr ging es ihm schlecht. Ihren Urlaub an der Ostsee hatte die Familie deshalb um ein paar Tage verschoben. Sie entschieden sich dann aber doch, noch loszufahren. "Oben geht es mir meistens besser, das Meer macht es leichter", hatte Sven noch zu ihr gesagt.

Doch am Morgen nach der Ankunft wacht Sven mit starken Kopfschmerzen auf. Er sagte, es fühlt sich viel schlimmer an als sonst. Jessica erinnert sich: "Er zog mich am Arm und sagte: Ich lieb' dich." Kurz danach bricht Sven zusammen. Er hat einen zweiten Schlaganfall. Den ersten hatte er wohl schon in der Nacht, als die enormen Kopfschmerzen begannen, erklärten ihr später die Ärzte.

Was sind Anzeichen für einen Schlaganfall?

Grund für einen Schlaganfall ist häufig eine Durchblutungsstörung im Gehirn, zum Beispiel durch eine verengte Halsschlagader. In etwa 85 Prozent der Fälle ist eine Arterie, die das Gehirn mit Blut versorgt, durch ein sogenanntes Gerinnsel verstopft. Auch Hirnblutungen nach dem Riss eines Blutgefäßes im Gehirn können einen Schlaganfall auslösen.

Bei einem vorübergehenden Schlaganfall können die Symptome nur über wenige Minuten bis Stunden auftreten. Symptome sind:

  • schlagartige Lähmung oder Gefühlsstörung einer Körperhälfte
  • plötzlich auftretende Sprechstörungen, Schwierigkeiten die Sprache von anderen zu verstehen
  • Sehstörungen, zum Beispiel Doppelbilder
  • schlagartig auftretende heftige Kopfschmerzen
  • plötzlicher starker Schwindel


Die Symptome sollten schnellstmöglich medizinisch abgeklärt werden, auch wenn sie nach einiger Zeit wieder verschwunden sind.

Sven kommt ins Krankenhaus. Nach den beiden Schlaganfällen folgt eine Hirnblutung. Sven liegt im Koma auf der Intensivstation in der Klinik in Rostock. Später wacht er wieder auf, ist aber halbseitig gelähmt. In seinem Gehirn wurde das Sprachzentrum geschädigt. Sprechen und verstehen fallen ihm sehr schwer. Trotzdem: Jessica hat das Gefühl, dass Sven sie versteht.

Ich glaube, wir reden mit dem Herzen.

Jessica Wesotowski

Seine besten Freunde haben ihr viel geholfen. Sie kamen nach Rostock, übernahmen die Kinder. Jessica war bei Sven auf der Intensivstation.

Zurück in Pößneck

Als sie mit den Kindern nach den Osterferien wieder nach Pößneck kam, da standen viele Blumen vor dem Haus. Jessica war berührt. "Zu wissen, wie viele Menschen hinter Sven stehen. Das ist fast das Wichtigste", sagt sie. "Das wird Sven die Kraft geben, die ihn auch wieder gesund machen kann."

Inzwischen hat es Sven in eine Rehaklinik geschafft. Jessica besucht ihn einmal in der Woche in der Nähe von Dresden. Freunde und Bekannte unterstützen sie. Der Motorsportverein MSC Pößneck fängt sie auf und hat im Internet eine Hilfsaktion für die Familie gestartet.

Viele Helfer durch Facebook-Gruppe gemeldet

Sandy Vogel, Servicemitglied Rallye und Möbelbauer erinnert sich: "Als ich von dem schlimmen Unglück erfahren habe, habe ich zu Jessica gesagt: Wenn wir dir irgendwie helfen können, dann sag' Bescheid." Zuerst hätte er zusammen mit drei, vier Helfern die Räume unten ausgeräumt. "Dann saßen wir zusammen und haben gedacht: Wie soll das funktionieren? Das schafft sie alleine gar nicht. Das geht einfach nicht."

Deshalb kamen sie auf die Idee, eine Facebook-Gruppe zu gründen: Der Name: Hilfe für Sven Wesotowski. Innerhalb kürzester Zeit meldeten sich viele Menschen, die helfen wollten. Jedes Handwerk, jedes Gewerk nach dem Motto: "Bescheid sagen, wir kommen, wir machen." Ein Heizungsbauer aus Pößneck übernahm auf eigene Kosten den Umbau der Heizung. Die Freiwillige Feuerwehr Pößneck sammelte Spendengelder für Sven.

Club-Kameraden wieder nach Hause bekommen

"Zuerst waren die Gedanken bei Sven, bei Jessi und bei den Kindern. Und dann kam die Frage: Wie wird das später mal weitergehen?", fragt sich Swen Sebesta, zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit beim MSC Pößneck. "Sven ist ein eingefleischter Motorsportler. Ob er irgendwann wieder fahren kann, steht in den Sternen. Aber wir wünschen es uns." Der ganze Verein stehe hinter der Familie. "Wir haben uns auf die Fahne geschrieben: Motorsport verbindet Menschen."

Auf der Internetseite des MSC startete Sebesta schließlich einen Spendenaufruf. "Die ersten Spenden kamen schnell. Wir sind über jeden Euro so was von dankbar, um die junge Familie zu unterstützten. Und dann irgendwann unseren Club-Kameraden wieder hier nach Hause zu bekommen. Das ist unser allergrößter Wunsch."

Sven war im Vertrieb und Lager einer Firma für Baugeräte in Pößneck tätig. Jessica leitet die Finanzen bei einem Spezialisten für Lüftungsanlagen. "Das sind nicht nur Arbeitskollegen, das sind Freunde", sagt sie. Die helfen ihr jetzt auch beim Umbau im Haus. Nach der Reha in ein Wohnheim? Das kommt für Jessica nicht infrage. Sie möchte, dass Sven wieder nach Hause kommen kann. In den Wohnräumen oben möchte sie dennoch so wenig wie möglich verändern. Damit Sven die Umgebung noch vertraut ist - wenn er mit dem Rollstuhl nach Hause kommt. Er wünscht sich eine Badewanne, weiß sie. Die war eigentlich nicht geplant, weil der Platz dafür nicht reicht. Mit Svens Freunden will sie es jetzt doch schaffen. "Wir haben stundenlang überlegt und dann gesagt: Irgendwie kriegen wir die Badewanne hier schon rein."

Sven ist ein Familienmensch, sagt Jessica. "Seitdem wir uns kennen, haben wir jeden Tag zusammen verbracht." Zusammen sind sie durch Höhen und Tiefen gegangen. Dazu gehört der Tod ihrer ersten Tochter - nach Komplikationen bei der Geburt. Das Mädchen, sagt sie, wäre jetzt elf Jahre geworden. Ihren Todestag könnten sie jetzt zum ersten Mal nicht gemeinsam verbringen. "Vielleicht ist das so ein Schicksal, das einen einfach trifft."

Wann Sven wieder nach Hause kommen kann, ist noch offen. "Man weiß nicht, was kommt und man weiß nicht, wie es wird." Doch ein wenig hilft der Gedanke: Je länger die Reha dauert, desto besser. Denn das bedeutet: Sven macht weiter Fortschritte, um zurück ins Leben zu kommen. Jessica hält wieder inne. Dann: "Wir brauchen ein Wunder. Ich hoffe, dass ganz viele Wunder für Sven passieren. Weil er die jetzt braucht."

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MDR (ls)

Dieses Thema im Programm:MDR THÜRINGEN - Das Radio | Das Fazit vom Tag | 20. Juni 2022 | 18:00 Uhr

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