Eine Polizistin und ein Polizist gehen eine Straße entlang.
Bei strafrechtlichen Vorwürfen ermittelt die Polizei auch gegen die Polizei. (Symbolbild) Bildrechte: picture alliance/dpa | Marijan Murat

Nach Razzia bei GdP Interne Ermittlungen bei Thüringer Polizei: Fragwürdige Methoden und geheime Spitzel

30. April 2025, 05:00 Uhr

Der Innenausschuss des Thüringer Landtags beschäftigt sich am Mittwoch mit der Razzia bei der Polizeigewerkschaft GdP in Thüringen. Dabei dürfte es auch um die Arbeit einer speziellen Polizeieinheit gehen: Interne Ermittlungen - kurz IE genannt. Sie besteht aus Beamtinnen und Beamten, die gegen eigene Kollegen ermitteln. In einigen Fällen offenbar mit fragwürdigen Methoden.

Alle paar Monate veröffentlicht das Thüringer Innenministerium ein digitales Magazin mit dem sinnigen Namen "Polizei in Thüringen" - kurz PiT genannt. In der letzten Ausgabe wurde auf zwei Seiten die Arbeit der Internen Ermittler (IE) vorgestellt. Also der Beamtinnen und Beamten, die bei strafrechtlichen Vorwürfen gegen die eigenen Kollegen ermitteln müssen.

Eine Arbeit, die nicht immer vergnügungssteuerpflichtig sein dürfte. In dem PiT-Artikel ist dann auch in pathetischen Worten zu lesen: "Die Internen Ermittler sehen sich als Garant für neutrale und objektive Ermittlungen." Und weiter heißt es, dass die IE einen entscheidenden Beitrag zur Stärkung des Vertrauens in die Institution Polizei leiste.

Ob dieses Vertrauen innerhalb der Polizei in die Arbeit der IE noch existiert, dürfte nach der Razzia beim Thüringer Landesverband der Gewerkschaft der Polizei (GdP) infrage stehen. In der Debatte geht es vor allem um die Verhältnismäßigkeit der eingesetzten Methoden der IE bei den Razzien.

Die internen Ermittler sehen sich als Garant für neutrale und objektive Ermittlungen.

Polizei in Thüringen

MDR Investigativ hat in den vergangenen Wochen mit Quellen in der Polizei und in der Justiz gesprochen. Zudem erhielten die Reporter Einblick in interne Akten. Das alles gibt den Blick frei auf eine andere Seite der IE.

Eine Seite, die fernab von einer Stärkung des Vertrauens in ihre Arbeit sein dürfte. Es geht um fragwürdige Ermittlungsmethoden, den mutmaßlichen Einsatz von Spitzeln innerhalb der Polizei und den Verdacht, dass Tatvorwürfe konstruiert worden sein könnten.

Tatverdacht aufgrund von Hörensagen?

Im Frühjahr 2022 schlägt das Bundeskriminalamt in Thüringen zu. Die Fahnder gehen gegen die Neonazi-Kampfsportgruppe "Knockout 51" vor. Es gibt thüringenweit Festnahmen, Schwerpunkt ist Eisenach. Im Sommer desselben Jahres übermittelt das BKA den Thüringer Kollegen den Mitschnitt eines Telefonats.

Einer der Hauptbeschuldigten und inzwischen verurteilten Neonazis telefoniert mit seiner Mutter. Es ist kurz vor dem Jahreswechsel 2021/ 2022. In dem Gespräch dreht es sich um die Frage, ob er an Silvester seine Nazi-Kneipe in Eisenach öffnen will oder ob er Sorge vor Polizeikontrollen habe.

Der Mann beruhigt seine Mutter. Ein Kamerad habe ihm erzählt, dass dieser wiederum von einem Polizeianwärter gehört haben will, dass in der Silvesternacht nur wenige Bereitschaftspolizisten auf der Straße seien. Diese Info, die weder einen konkreten Namen eines Polizeibeamten noch weitere Daten enthält, erreicht die Thüringer IE. Die leitet daraufhin ein Verfahren wegen des Verdachts eines Geheimnisverrats ein. 

Drohendes Karriere-Aus

Die internen Fahnder besorgen sich die Namen aller damals im Dienst befindlichen Polizeianwärter und gleichen diese mit dem Dienstplan der Polizei in Eisenach in der Silvesternacht ab. In der Folge werden Verfahren gegen alle in Frage kommenden jungen Polizisten eingeleitet, obwohl aus dem Telefonat nicht hervorgeht, wer gemeint sein könnte.

Es werden Telefone beschlagnahmt, Wohnungen durchsucht und über den jungen Polizisten schwebt das Damoklesschwert des frühen Aus ihrer Karriere. Nach quälenden anderthalb Jahren stellt die IE ihre Ermittlungen ein. Begründet wird das nach MDR-Recherchen mit dem lapidaren Satz, es sei nicht einmal sicher, ob die in dem Telefonat geschilderte Darstellung des angeblichen Gesprächs mit einem Polizeianwärter überhaupt jemals stattgefunden habe. Die IE räumt damit ein, dass die Info aus dem abgehörten Gespräch mehr Hörensagen, als handfester Beweis war. 

Dem Ministerium als Fachaufsicht über die IE obliegt es nicht, auf diese Ermittlungsmaßnahmen der Staatsanwaltschaft Einfluss zu nehmen oder diese zu kommentieren oder zu bewerten.

Thüringer Innenministerium

MDR Investigativ hat das Thüringer Innenministerium als zuständige Fachaufsicht der IE um eine Stellungnahme gebeten, ob es vor den ganzen Ermittlungen gegen die jungen Beamten eine Prüfung der Plausibilität dieser Informationen aus einem möglichen, aber nicht sicher stattgefunden Gesprächs zwischen zwei Neonazis gegeben habe.

Antwort: "Dem Ministerium als Fachaufsicht über die IE obliegt es nicht, auf diese Ermittlungsmaßnahmen der Staatsanwaltschaft Einfluss zu nehmen oder diese zu kommentieren oder zu bewerten." Was das Ministerium verschweigt: Bei Verfahren gegen Polizeibeamte braucht es immer die Genehmigung des Innenministeriums.

Das Ganze nennt sich "Verfolgungsermächtigung", die durch das Haus von Minister Georg Maier (SPD) ausgestellt werden muss und in den Dienstanweisungen zur Arbeit der IE geregelt ist. Damit ist dort bekannt, welche Vorwürfe im Raum stehen und auf welcher Grundlage diese erhoben werden. 

Polizeianwärterinnen und -anwärter 1 min
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Die Ausbildung bei der Thüringer Polizei dauert künftig länger. Nach Angaben des Innenministeriums sollen es im mittleren Dienst ab 2026 drei statt bisher zwei Jahre sein.

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Fachtagung mit brisantem Inhalt

Im April 2024 kommt es zu einem Treffen Interner Ermittler aus allen deutschen Länderpolizeien in Hamburg. Mit dabei auch Beamte der IE aus Thüringen. Sie sind für ihren Vortrag gut präpariert, denn sie haben Brisantes im Gepäck. Unter dem sperrigen Vortragstitel "Strukturelle Ermittlungen mit VP Schwerpunkt" verbirgt sich offenbar eine Ermittlungsmethode, die potenziell Sprengstoff für den innerdienstlichen Frieden in der Thüringer Polizei bedeuten könnte.

In dem Vortrag ging es um den Einsatz sogenannter Vertrauenspersonen (VP), also bezahlter Polizeispitzel. Eine Methode, die eher im Bereich Organisierte Kriminalität oder Terrorismus eingesetzt wird. Doch im Fall des Beitrags der Thüringer IE auf der Konferenz ging es offensichtlich um den Spitzel-Einsatz bei Ermittlungen gegen die eigenen Kollegen.

Gerüchte, Andeutungen, Vermutungen

Dass dieser Vortrag offenbar keine graue Theorie ist, zeigen Recherchen von MDR Investigativ. Denn in einer Kriminaldienststelle in der Thüringer Polizei könnte genau eine solche VP zum Einsatz gekommen sein, um einen vermeintlichen Geheimnisverrat aufzudecken.

Dieser Verdacht, so legen es die MDR-Recherchen nahe, war aber wohl eher an den Haaren herbeigezogen als tatsächlich real. Dabei soll es um Informationen aus der kriminellen Szene gegangen sein, dass ein Beamter Infos an diese weitergeben haben soll. Sämtliche Informationen dazu basierten offenbar auf Gerüchten, Andeutungen und Vermutungen.

Ein echter Beweis oder ein dringender Tatverdacht ließ sich bisher nicht erbringen. Um dem Ganzen näher zu kommen, soll ein Spitzel mit Deckname und Legende in die betroffene Polizeidienststelle eingeschleust worden sein. Der Einsatz einer solchen Ermittlungsmethode könnte Folgen für das Vertrauen innerhalb der Thüringer Polizei haben. Denn Polizisten könnten sich nicht mehr sicher sein, ob sie nicht von anderen Kolleginnen oder Kollegen bespitzelt werden. Ein Vorgehen mit dramatischen Folgen.

Ein Polizeifahrzeug und Menschen auf einem Parkplatz.
Ein Spitzel mit Deckname und Legende soll in eine Polizeidienststelle eingeschleust worden sein. Bildrechte: MDR/Melanie Lal

Razzia auf fragwürdiger Grundlage

In dem angesprochenen Fall hätten nach MDR Recherchen bereits erste Plausibilitätsprüfungen vor dem Einsatz dieser fragwürdigen Methode gezeigt, dass die Informationen aus der kriminellen Szene wenig valide waren. Das Ganze gipfelte in einer Vernehmung eines der Kriminellen, in der dieser den betroffenen Beamten in keiner Weise belastete und nur durch suggestive Fragemethoden ein allenfalls vager Verdacht aufkam.

Auf dieser rechtlich dünnen Grundlage wurde noch während der Vernehmung des Kriminellen eine Durchsuchung bei dem betroffenen Polizisten gestartet, ohne dass belastendes Material gefunden wurde. Auch in diesem Fall stellt sich die Frage, in welcher Weise die Fachaufsicht des Thüringer Innenministeriums in diese Abläufe eingebunden war.

Das Ministerium erklärte grundsätzlich dazu, dass die Fachaufsicht nur dann ihre Aufgaben erfüllt, wenn sie nicht durch eine Staatsanwaltschaft "im Rahmen von strafrechtlichen Ermittlungsverfahren verdrängt wird".  

Suche nach krimineller Polizei-Vereinigung?

Die Fragen, ob sich die Fachaufsicht hat "verdrängen" lassen, stellt sich in einem anderen Fall, bei dem es um Ermittlungen gegen mehrere Polizeibeamte der Polizeiinspektion Saalfeld geht. Sie sollen sich angeblich Verfolgungsjagden mit jungen Mopedfahrern geliefert haben.

Ende November 2024 kam es zu Razzien, bei der schwerbewaffnete Spezialeinheiten die privaten Wohnungen der Beamten stürmten. Nach MDR Investigativ-Recherchen basieren diese Ermittlungen unter anderem auf Informationen aus einem anderen Verfahren gegen Polizeibeamte. In diesem wurden zwei Polizisten des Drogenhandels bezichtigt.

Dabei wurde das Telefon eines der beiden Tatverdächtigen beschlagnahmt. Auf diesem sollen sich Chats mit Informationen befunden haben, die Hinweise auf die Saalfelder Polizisten mit ihren rüden Methoden im sogenannten Moped-Fall gegeben hätten. 

Durften Hinweise nicht verwendet werden?

Das angebliche Drogenverfahren stellte sich als ermittlungstechnischer Flop heraus, weil nichts an den Vorwürfen dran war. Das Landgericht Erfurt entschied, dass sämtliche Informationen aus diesem Verfahren nicht weiter verwertet werden dürfen. Das aber, so legen es MDR Investigativ-Recherchen nahe, hielt die IE offenbar nicht davon ab, diese Informationen aus den fraglichen Chats trotzdem in den Moped-Fall einfließen zur lassen und damit auch die Durchsuchungen zu begründen. 

Ungeachtet dessen können jedoch generell sogenannte Zufallserkenntnisse, die in anderen Verfahren gewonnen wurden, verwertet werden, wenn nicht spezielle strafprozessuale Erhebungs- oder Verwertungsverbote entgegenstehen.

Staatsanwaltschaft Gera

Es dürfte sich also in dem Moped-Verfahren die Frage stellen, ob die IE Informationen verwendet hat, die sie eigentlich nicht hätte verwenden dürfen. Die für den Fall zuständige Staatsanwaltschaft Gera teilte dem MDR mit, Aufgrund der laufenden Ermittlungen könne man dazu keine konkreten Angaben machen.

"Ungeachtet dessen können jedoch generell sogenannte Zufallserkenntnisse, die in anderen Verfahren gewonnen wurden, verwertet werden, wenn nicht spezielle strafprozessuale Erhebungs- oder Verwertungsverbote entgegenstehen." Dieses Verwertungsverbot dürfte in diesem Fall noch zu klären sein. 

Landgericht Erfurt von außen.
Die IE haben offenbar Informationen aus Chats in den Moped-Fall einfließen lassen, deren Nutzung vom Landgericht Erfurt zuvor verboten wurde. Bildrechte: Mitteldeutscher Rundfunk

Gericht stoppt rechtswidriges Vorgehen der IE

Es wäre nicht das erst mal, dass ein Verfahren gegen Polizeibeamte zu Staub zerfällt, weil Regeln nicht eingehalten worden sind oder die Zugriffsrechte auf die private Sphäre eines Polizisten derart ausgedehnt worden sind, dass erst ein Gericht sie stoppen musste.

Das hat Polizist Max Müller (*Name geändert) spüren müssen. Ihm war auf Grundlage einer Anzeige und zweier Zeugenvernehmungen vorgeworfen worden, in einem WhatsApp-Chat unter einem Dutzend Polizeigewerkschafter intime Aufnahmen eines anderen Polizisten verbreitet zu haben.

Dieser stand im Verdacht der sexuellen Nötigung einer jungen Frau. Das Verfahren gegen ihn wurde später eingestellt. Müller aber rückte in den Fokus von Ermittlungen, weil er diese Fotos verbreitet haben soll. In der Folge tauchte die IE im Dienstzimmer von Müller, der Personalrat und Polizeigewerkschafter ist auf, um sein Handy zu beschlagnahmen. Müllers Angebot, den fraglichen Chat an Ort und Stelle zu prüfen und auszuwerten, lehnten die internen Ermittler ab.

Sie wollte das Handy. Trotz einer sofortigen Beschwerde von Müllers Anwalt wurde das Telefon ausgelesen und die Ermittlungen vorangetrieben. Erst das Landgericht Erfurt stoppte den Vorgang Mitte August 2022 und stufte sowohl die Beschlagnahme des Telefons als auch das Auslesen als rechtswidrig ein.

Begründung: Es gebe keinen Beleg, dass die intimen Fotos den betroffenen Beamten zeigen würden. Eine einfache Prüfung des Chats vor Ort hätte diese Erkenntnis schnell gebracht. Bis heute hat Müller keine genaue Auskunft über den Umfang der ausgelesenen Daten und den Verbleib dieser bekommen. 

Arm eines Polizisten mit Polizei-Emblem
In Thüringen sind bereits mehrere Verfahren gegen Polizeibeamte eingestellt worden, weil Regeln nicht eingehalten wurden. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Welche Verantwortung trägt Minister Maier?

Im Zuge der aktuellen Entwicklungen, auch nach der Razzia in den Räumen der Thüringer Gewerkschaft der Polizei, stellt sich zunehmend die Frage: Macht sich das Innenministerium Gedanken über die Frage der Verhältnismäßigkeit der eingesetzten Methoden und wie wird die Arbeit der Internen Ermittler tatsächlich kontrolliert?

Was auch eine politische Frage sein dürfte, denn in letzter Konsequenz sind Innenminister Georg Maier und sein Innenstaatssekretär Norman Müller (beide SPD) dafür verantwortlich.

In dem angesprochenen Beitrag in der ministeriumseigenen Postille PiT ist zum Thema Fachaufsicht denn auch zu lesen, das bei Ermittlungen gegen Polizisten "der Fachaufsicht des Ministeriums eine besondere Bedeutung zu komme". Ob diese Bewertung im Lichte der bisherigen Ereignisse kritisch überprüft werden muss, dürfte die Abgeordneten des Innenausschusses sicher beschäftigen.

Georg Maier spricht 2023 bei einer Pressekonferenz.
Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD). Bildrechte: picture alliance/dpa | Jacob Schröter

MDR (jn)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 30. April 2025 | 06:00 Uhr

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