Radioaktiv Radon in Thüringen: Eine unterschätzte Gefahr?

19. Oktober 2021, 21:14 Uhr

Das radioaktive Gas Radon ist krebserregend. Wie kann man sich davor schützen? Und wie ist die Situation in Thüringen? Ein Überblick.

"Radon ist nach dem Rauchen die häufigste Ursache für Lungenkrebs", sagt Dieter Gebhardt, Diplomgeologe und Referent für Strahlenschutz beim Thüringer Landesamt für Umwelt, Bergbau und Naturschutz (TLUBN). "Das Gefährliche ist: Man sieht es nicht, man riecht es nicht, man schmeckt es nicht." Die gute Nachricht: Man kann etwas dagegen tun und das oftmals relativ einfach. Doch wird das in Thüringen auch getan? Nicht wirklich, sagt ein Strahlenschutzexperte, der sich seit Jahrzehnten mit dem Thema beschäftigt und hier anonym bleiben möchte.

Was ist Radon?

Radon ist ein radioaktives Erdgas, das im Zusammenhang mit dem Vorkommen von Uran entsteht. "Radon ist das einzige gasförmige Zwischenprodukt des Uranzerfalls", sagt Dieter Gebhardt. Da der Atomkern radioaktiver Elemente instabil ist, zerfällt das Gas innerhalb weniger Tage und wird zu Isotopen von Polonium, Wismut und Blei, die innerhalb weniger Minuten ebenfalls zerfallen. Das Heimtückische daran: Während dieses Zerfalls entstehen Alphastrahlen, die das menschliche Gewebe schädigen können. Wird Radon eingeatmet, kann die Strahlung Zellen in der Lunge schädigen und so Lungenkrebs auslösen.

Dabei gehöre der Freistaat "von seinem Radon-Problem her in die Spitzengruppe". Das bestätigt auch das TLUBN: "Thüringen gehört neben Sachsen und Bayern zu den drei Bundesländern, die, was Radon betrifft, das größte Problem haben", sagt Dieter Gebhardt.

Radon kommt überall vor

Man muss wissen: Radon kommt überall vor. Aber es gibt Gegenden, in denen eine höhere Konzentration von Radon wahrscheinlicher ist. "In der Regel ist dort der Radonwert erhöht, wo Sie Gebirge haben, im Thüringer Wald also oder im Schiefergebirge", sagt Dieter Gebhardt.

Insbesondere in der Heizperiode reichert sich Radon an.

Dieter Gebhardt, Referent für Strahlenschutz beim TLUBN

Im Freien vermischt es sich zwar mit der Umgebungsluft und "verdunstet ganz schnell", sagt der Referent für Strahlenschutz. Doch nicht so in Innenräumen. "Radon hat eine sehr hohe Dichte und ist deutlich schwerer als Luft. Und es kann in Häusern nach oben steigen, da reicht schon ein leichter Sog. Insbesondere in der Heizperiode reichert sich Radon an." Dann kann es einen hohen Wert erreichen und gefährlich werden.

Ab welcher Radonkonzentration das passiert, darüber gehen die Meinungen auseinander. Die EU hat einen Referenzwert von 300 Becquerel pro Kubikmeter Luft im Jahresmittel vorgeschlagen, dieser gilt auch in Deutschland. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hält 100 für richtig. Das bedeutet: Pro Sekunde sollten in einem Kubikmeter Innenraumluft nicht mehr als 100 Radon-Atome zerfallen. Wobei: Ein Referenzwert ist kein Grenzwert, der nicht überschritten werden darf. Eher so eine Art Orientierung.

Je weniger Radon, desto besser.

Dieter Gebhardt, Referent für Strahlenschutz beim TLUBN

Der Strahlenschutzexperte sagt: "Das Radonrisiko steigt ohne Schwellenwert einfach linear an." Und auch Dieter Gebhardt betont: "Je weniger Radon, desto besser."

Um der Gefahr durch Radon zu begegnen, müssen die Bundesländer sogenannte Radonvorsorgegebiete ausweisen, Gebiete, in denen es zu einer erhöhten Konzentration des Gases kommen kann, so ist es gesetzlich vorgeschrieben. Das hat Thüringen im Dezember 2020 formell getan.

Radonvorsorgegebiete

Gebiete, in denen erwartet wird, dass dort die über das Jahr gemittelte Radon-222-Aktivitätskonzentration der Innenraumluft in einer erhöhten Anzahl von Gebäuden mit Aufenthalts- oder Arbeitsräumen den Referenzwert von 300 Becquerel pro Kubikmeter überschreitet.

Das Merkwürdige daran: Die Radonvorsorgegebiete in Thüringen nehmen bloß eine kleine Fläche des Freistaates ein. Nur etwa vier Prozent der Thüringer Bevölkerung lebe dort, sagt der Strahlenschutzexperte.

Ist das Gas in den Räumen zu hoch konzentriert, können sich beim Einatmen Zerfallsprodukte des Radons in der Lunge ablagern. In zu hohen Mengen kann das zu Lungenkrebs führen.
Radon ist gefährlich. Bildrechte: MDR/#mdrklärt,pixabay,dpa

Warum ist das so, wenn Thüringen doch zu den Bundesländern gehört, die "was Radon betrifft, das größte Problem haben"? Die Ausweisung der Radonvorsorgegebiete sei "eine gesetzliche Aufgabe, die die Bundesländer vollziehen müssen", heißt es dazu von Seiten des TLUBN.

Wir suggerieren den Menschen, hier gibt es rote Gebiete.

Strahlenschutzexperte

Der Strahlenschutzexperte, der anonym bleiben möchte, sagt: "Das, was wir an Radongebieten ausgewiesen haben, sagt nichts aus, es ist irrelevant. Wir suggerieren den Menschen, hier gibt es rote Gebiete, da müsst ihr aufpassen, und in den anderen Gebieten gibt es kein Problem." Doch der Referenzwert von 300 Becquerel pro Kubikmeter gilt überall. "Radon müsste von den Radongebieten entkoppelt werden."

Karte: Das sind Thüringens Radonvorsorgegebiete

Radonvorsorgegebiete sind nur eine Wahrscheinlichkeitsbetrachtung

Ja, der Referenzwert gelte überall, bestätigt Dieter Gebhardt. Die Radonvorsorgegebiete seien dabei nur eine Wahrscheinlichkeitsbetrachtung: "Innerhalb der Schutzgebiete ist die Wahrscheinlichkeit einer erhöhten Radonkonzentration höher."

Arbeitgeber nur in Vorsorgegebieten zu Schutzmaßnahmen verpflichtet

Das Problem: Maßnahmen zum Schutz vor Radon muss man nur in Radonvorsorgegebieten ergreifen. Arbeitgeber sind nur innerhalb der Radonvorsorgegebiete verpflichtet, an Arbeitsplätzen im Erdgeschoss oder im Keller eine Radonmessung über zwölf Monate machen.

Gebhardt: "Falls die Werte überschritten werden, muss der Verantwortliche entsprechende Maßnahmen ergreifen, zum Beispiel ein anderes Lüftungsregime." Und: "Bei Neubauten besteht für Bauherren die Pflicht, durch bauliche Maßnahmen weitgehend den Eintrag von Radon aus dem Baugrund in das Gebäude zu verhindern oder erheblich zu erschweren." Außerhalb der Vorsorgegebiete gilt das nicht.

Dazu sind Arbeitgeber in Radonvorsorgegebieten verpflichtet

Beträgt die Radon-Konzentration am Arbeitsplatz mehr als 300 Becquerel pro Kubikmeter, müssen sofort Maßnahmen eingeleitet werden, um die Radon-Konzentration dort zu senken. Lässt sich die Radon-Konzentration am Arbeitsplatz nicht unter 300 Becquerel pro Kubikmeter senken, müssen der Arbeitsplatz gemeldet, die zu erwartende Strahlendosis für die Beschäftigten abgeschätzt und gegebenenfalls weitere Maßnahmen ergriffen werden.

Sie können doch nicht sagen, dich schütze ich per Gesetz und dich nicht.

Strahlenschutzexperte

"Eigentlich hat jeder Arbeitgeber in Deutschland diesen Wert einzuhalten", sagt der Strahlenschutzexperte. Doch nur in Radonvorsorgegebieten müsse der Arbeitgeber tätig werden, messen und Maßnahmen ergreifen. "Derjenige, der 200 Meter weiter in einer anderen Gemeinde lebt und vielleicht der gleichen Radonkonzentration ausgesetzt ist, kann seinen Arbeitgeber nicht einmal zum Messen verpflichten. Wenn der Arbeitgeber Nein sagt, dann hat der Mitarbeiter keine Chance." Diese Diskrepanz sei äußerst fragwürdig. "Sie können doch nicht sagen, dich schütze ich per Gesetz und dich nicht."

Auf der Website des TULBN heißt es dazu: "Auch außerhalb von Radonvorsorgegebieten besteht die Möglichkeit erhöhter Radonkonzentrationen in Innenräumen. Eine freiwillige Messung der Radon-222-Aktivitätskonzentration außerhalb der festgelegten Gebiete ist deshalb im Sinne der Gesundheitsvorsorge zu empfehlen."

Experte: Radonproblem ernstnehmen

Bleibt wohl nur, an die Arbeitgeber, Träger und Gemeinden - denn das Radonproblem kann auch öffentliche Einrichtungen wie Schulen und Kindergärten betreffen - zu appellieren, den Schutz vor Radon ernstzunehmen. "Es ist seit vielen Jahren bekannt, dass das ein Knackpunkt ist. In Thüringen wurden keine Messprogramme aufgelegt. Kindergärten und Schulen wurden saniert und dabei das Radon ausgeblendet", sagt der Strahlenschutzexperte.

Was ist mit Kindergärten und Schulen?

Dazu schreibt das TLUBN: "Ob bei der Sanierung von Kindergärten, Schulen und öffentlichen Gebäuden das Radonproblem mit einbezogen wird, entzieht sich der Kenntnis des TLUBN." Das Strahlenschutzgesetz sehe aber Maßnahmen vor und unterscheide dabei den Neubau von Gebäuden und Bestandsbauten.

Es gibt keinen Grund zur Panik, man muss es aber ernstnehmen.

Dieter Gebhardt, Referent für Strahlenschutz beim TLUBN

Natürlich, das radioaktive Gas muss über längere Zeit regelmäßig eingeatmet werden, um die Lunge zu schädigen. "Es gibt keinen Grund zur Panik, man muss es aber ernstnehmen", sagt denn auch Dieter Gebhardt.

Zumal: Die Messung kostet nicht viel. Gebhardt: "Man kann für 30 bis 40 Euro ein kleines passives Messgerät über eine beim Bundesamt für Strahlenschutz aufgelistete Firma bestellen." Gemessen wird über ein Jahr. "Das klingt lang, aber die Konzentration kann stark schwanken. Außerdem wirkt Radon langfristig."

Art und Alter des Gebäudes entscheidend

In welchen Gebäuden Radon sich verstärkt anreichert, hänge stark vom Untergrund und der Art des Gebäudes ab, sagt der Geologe. Das Alter des Hauses spiele eine Rolle, der Baustoff und ob es unterkellert sei oder nicht. Manchmal gebe es Risse im Boden, dann könne das Radon ungehindert eindringen.

Sollte die Radonkonzentration hoch sein, gibt es eine Fülle von Maßnahmen. Die einfachste Methode, Radon aus dem Haus zu bekommen, ist regelmäßiges Lüften. Dieter Gebhardt: "Man kann Radon im Haus durch Lüften deutlich reduzieren."

Weitere Maßnahmen sind laut Bundesamt für Strahlenschutz:

  • Abdichten von Türen und Leitungen zum Keller
  • Eintrittswege des Radons ins Gebäude abdichten
  • radonhaltige Bodenluft absaugen
  • Radon-Fachperson hinzuziehen

Am Ende bleibt es Privatpersonen selbst überlassen, ob sie sich mit dem Radonproblem auseinandersetzen wollen. Dass auch Arbeitgeber und öffentliche Träger selbst die Entscheidung treffen, ob sie Maßnahmen zum Schutz vor Radon ergreifen oder nicht, sieht der Strahlenschutzexperte kritisch: "Das große Ziel der EU ist es gewesen, das Radonniveau in der Breite der Gesellschaft abzusenken" und so die Menschen vor der Radongefahr zu schützen.

Schutzmaßnahmen dort umsetzen, wo es ein Radonproblem gibt

"Das Thema liegt mir sehr am Herzen", sagt er und fügt hinzu: "Wir müssen wissen, an welchen öffentlich zugänglichen Einrichtungen mit ziemlicher Sicherheit davon auszugehen ist, dass sie kein Radonproblem haben." Und Schutzmaßnahmen überall dort umsetzen, wo es ein Radonproblem gibt. Denn Radon ist nach dem Rauchen erwiesenermaßen eine der wichtigsten Ursachen für Lungenkrebs.

Quelle: MDR THÜRINGEN

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | ECHT | 28. April 2021 | 21:15 Uhr

2 Kommentare

part am 20.10.2021

Jedes Bundesland bietet dazu eigene genaue Messdaten an, die vom MDR wiedergegebene Belastungskarte zeichnet nur einen groben Umriss, der wirklichen Belastung ab. Wer also die genaue Belastung seines Wohnortes erfahren möchte, der sollte sich beim zuständigen Landesamt informieren und wundern, wo doch das Edelgas überall und was für Belastungen vorkommt. Viele Keller besitzen heute noch keine Bodenplatte oder ausreichende Abdichtung, selbst Lehmschichten spielen keine Rolle, wenn sie über entsprechen Untergrund liegen. Eine Lösung ist nur eine gute Kellerbelüftung, doch diese verursacht im Sommer Kondenswasser. Über Bebauungen ohne Keller und nur auf einer Bodenplatte liegen wahrscheinlich noch keine Messergebnisse vor?

Matthi am 19.10.2021

Ich glaube viele Leute wissen gar nicht das sie auf einer Tickend gesundheitlichen Zeitbombe Wohnen. Ich persönlich habe davon vor vielen Jahren in einem Bericht über Radon in Sachsen gehört das Thüringen auch betroffen ist, ist mir neu. Was ich nicht verstehe wir haben Lebensmittel überwachung das Trinkwasser wird kontrolliert alle paar Jahre werden Wasserproben im Mietshaus genommen usw. und bei einem Gas wie Radon was Krebserregend ist passiert nichts. Gerade bei Neubauprojekten frage ich mich wird von der Genehmigungsbehörte Bauamt eine Radon untersuchung im zuge der Bauland untersuchungen verlangt oder nicht.

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