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MüllmengenReparieren oder wegwerfen? - Tüftler in Thüringen freuen sich auf Reparaturbonus 4.0

01. Oktober 2024, 13:09 Uhr

Ballast abwerfen nach dem Jahreswechsel. Bei einem Besuch auf dem Wertstoffhof in Erfurt war diesmal kein Schlangestehen angesagt. Wirft keiner mehr was weg, weil während Corona schon großflächig entrümpelt wurde und alle wegen Energiekrise, Ukrainekrieg und Inflation ihre Sachen zusammenhalten? Eine Spurensuche zwischen Müllcontainer und Stöberhaus.

von Isabelle Fleck, MDR THÜRINGEN

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2024 beginnt für mich unter anderem mit einer Fahrt zum Wertstoffhof. Diesmal fliegen unter anderem weg: Eine Tastatur, über die ich im vergangenen Jahr Kaffee verschüttet habe, und eine Pfanne, bei der sich die Beschichtung löst. Anders als in vorherigen Jahren steht diesmal keine Autoschlange vor der Schranke zum Wertstoffhof an der Eugen-Richter-Straße in Erfurt. Seltsam.

Ich vermute, dass während der Corona-Zeit schon viel entsorgt wurde, aber die Menschen vielleicht auch wegen Inflation, diverser Krisen und dem Aufruf von Klimaklebern zum Umweltschutz mehr behalten, reparieren, weniger wegwerfen. Vielleicht wollten die Menschen aber auch einfach nicht Schlange stehen und fahren in diesem Jahr zu einem anderen Zeitpunkt zum Wertstoffhof. Ich mache mich auf Spurensuche.

Weniger Müll pro Kopf

Die Deutschen machen weniger Müll. Die neuesten Zahlen vom Statistischen Bundesamt stammen aus dem Jahr 2022: Mit 438 Kilogramm Haushaltsmüll pro Kopf war die Menge so niedrig wie seit Beginn der Erhebung 2004 nicht mehr. Beim Sperrmüll waren es statistisch 31 Kilogramm pro Person.

Die Thüringer lagen beim Haushaltsabfall nochmal darunter. Das Landesamt für Statistik meldet 410 Kilogramm Haushaltsabfälle pro Person im Jahr 2022 - das waren 49 Kilogramm weniger als noch im Jahr zuvor.

Wertstoffhof: Ungewöhnlich wenig Andrang

Doch wie sieht es beim Sperrmüll aus? Beim Elektroschrott? War meine Beobachtung nur eine Momentaufnahme? Christoph Kette ist Teamleiter beim Wertstoffhof in der Eugen-Richter-Straße in Erfurt. Einem von aktuell drei Wertstoffhöfen für private Haushalte in Erfurt.

Seiner Erfahrung nach nutzen die Menschen Ferien, Feiertage und Urlaubstage, um ihr Zuhause aufzuräumen und das Aussortierte dann zum Wertstoffhof zu fahren. "Gerade in der Weihnachtszeit haben viele frei und entrümpeln." Dass kurz nach dem Jahreswechsel kaum etwas los war, erklärt er sich mit den aktuell niedrigen Temperaturen. "Die Tonnen-Anzahl, die gebracht wird, ist gleichbleibend".

Stadtwerke-Sprecher Ivo Dierbach spricht von 5.000 Tonnen Sperrmüll pro Jahr, die an den Wertstoffhören anfallen und 1.150 Tonnen Elektro-Altgerät.

Kabel, Kassen, Kühlschränke oder Porno-Sammlung

Und was werfen die Menschen in die vielen verschiedenen Container? Christian Raasch hat einen großen Karton dabei und mehrere Taschen mit Kabeln, einem Monitor und einem Kassensystem. "Es ist ein Haufen Schrott - es fällt uns nicht schwer, das wegzuwerfen, denn es ist wirklich kaputt." Er hat alles gesammelt und lässt sich nun erklären, wo was hingehört.

Karsten Jödicke sucht zum Beispiel nach dem Behälter für seine alten Batterien. Er sammelt immer alles in einer Kiste und bringt es dann her. Zuletzt einen Kühlschrank, der nicht mehr zu reparieren war. Er hatte es noch versucht, doch die Reparaturfirma riet zum Neukauf. Das Altgerät landete hier auf dem Wertstoffhof.

Und Teamleiter Christoph Kette wundert hier nach elf Jahren praktisch nichts mehr. Schmunzelnd erzählt er von einem älteren Mann, der seine Porno-Sammlung in einem großen Koffer gebracht hat. Immerhin - er hat es nicht in den Wald gekippt, sondern den Mitarbeitern erklärt, dass die Filme "weg" müssten.

Ein Drittel weniger Sperrmüll im Wartburgkreis

Stichprobenartige Abfragen zeigen, dass in anderen Gegenden die Sperrmüllmenge leicht zurückgeht - in anderen nicht. Der Abfallwirtschaftszweckverband Eisenach und Wartburgkreis hatte im Vergleich zur Vor-Coronazeit 2019 im vergangenen Jahr ein Drittel weniger Sperrmüll. Geschäftsleiter Holger Kachel hat beobachtet, dass die Menge an Sperrmüll und Elektroschrott "insgesamt zurückgehen". Er vermutet eine gewisse "Konsumzurückhaltung" - kann aber den Trend zum nachhaltigen Umgang "nicht zweifelsfrei erkennen". Für ihn "bemerkenswert" ist, dass zwar das Altpapier weniger wird, weil weniger Tageszeitung gelesen wird - aber durch die vielen Verpackungen und Post weiter viel Papier und Pappe anfällt.

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Der Abfallwirtschaftsbetrieb Unstrut-Hainich-Kreis hat bei Elektro-Altgeräten und Sperrmüll einen Rückgang von etwa zehn Prozent in den vergangenen Jahren beobachtet. Doch "das Sperrmülltelefon steht niemals still", sagt Sachbearbeiterin Susanne Michel. Zu Corona-Zeit hat sie bemerkt: "Die Leute räumen aus". Gleichzeitig konnte nicht so leicht neu gekauft werden.

Anders in Arnstadt und Ilmenau. Während die Restabfall-Menge im Ilm-Kreis 2023 weniger wird, ging die Sperrmüll-Menge im Vergleich zum Vorjahr um sieben Prozent nach oben (von 3.559 Tonnen auf 3.860 Tonnen), wie die zuständigen Behörden zum Jahresende mitteilten.

Reparaturbonus: 3.000 Tonnen CO2 und 400 Tonnen Elektroschrott eingespart

Nicht alles, was defekt ist, muss direkt in die Tonne. Der Reparaturbonus hat dafür offenbar sensibilisiert und einen Anreiz geschaffen. Im vergangenen Jahr wurden 13.000 Anträge auf einen Reparaturbonus gestellt. Damit stieg die Zahl laut Umweltministerium im Vergleich zum Vorjahr an. Zm 31. Dezember 2023 lief der Reparaturbonus 3.0 dann zunächst aus. Bevor es ab Mitte Mai die vierte Auflage gibt, wurde noch einmal genau hingeschaut, was der Bonus bisher gebracht hat.

Das beauftragte Berliner Fraunhofer-Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration (IZM) fand heraus, dass es rund 5,5 Millionen Euro Gesamtumsatz im Zusammenhang mit Bonus am Reparaturmarkt gegeben hat - rund 2,3 Millionen Euro davon wurden in den vergangenen Jahren gefördert. Die Hälfte der Reparaturen seien von Fachhändlern durchgeführt worden, ein Viertel in Werkstätten. Laut Ministerium ergab die Studie zudem, dass die Reparaturen rund 3.000 Tonnen CO2 eingespart und fast 400 Tonnen Elektroschrott vermieden haben.

 In Thüringen wird Tüfteln und Reparieren belohnt - und damit schonen wir die Umwelt und viele Geldbeutel.

Umweltminister Bernhard Stengele

Auch ich habe den Reparaturbonus schon genutzt. Mein Hausgerätetechniker hatte mich darauf aufmerksam gemacht. So gab es Geld für die Reparatur von Waschmaschine und Geschirrspüler. Zwei der Top 5, für die der Bonus so genutzt wird:

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Ein Großstadtphänomen ist der Reparaturbonus dabei nicht. Die Übersicht der Verbraucherzentrale zeigt eher, dass der Bonus in Ostthüringen häufiger genutzt wird, in Südthüringen weniger.

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Reparatur-Werkstätten: Wo defekte Geräte wieder zum Leben erweckt werden

Die Verbraucherzentrale nennt auf Nachfrage einige Reparatur-Werkstätten, die besonders viele Anträge gestellt haben. Mit zwei von ihnen spreche ich und ein alter Bekannter begegnet mir bei den folgenden Gesprächen wieder: Das Rührgerät RG 28.

Zu denen, die viel reparieren, gehört Candy Stude. Der Meister der Informationselektronik hat den Betrieb in Werther in Nordthüringen von seinem Vater übernommen. Seit 30 Jahren wird hier repariert - "fast alles außer Kühlschränke, Waschmaschinen, Geschirrspüler" erklärt der Chef.

Seit es den Reparaturbonus gibt, wird mehr repariert - so seine Beobachtung. Candy Stude hilft den Kunden mit defekten Fernsehern, Musikanlagen, Smartphones und Tablets, mit Kaffeevollautomaten und Thermomix - aber auch bei alter Technik wie dem RG 28 oder Röhrenradios, mit "Erbstücken in der dritten Generation", wie er sie nennt.

Bei einem kaputten Smartphone-Glas oder Akku macht der Bonus schnell die Hälfte der Rechnung aus. Da seien die Kunden glücklich, wenn sie das Geld dafür bekommen. "Die Kunden fragen auch gezielt danach." Stude würde sich wünschen, dass der Bonus durchgängig gezahlt wird und eine "Dauerlösung" wird. Die Ungewissheit, wann der jeweils neue Förderzeitraum starte, verunsichere viele Kunden. Sei es nicht zu dringend, würden manche auch warten, bis es wieder Förderung gibt, erzählt er.

Bei Stefan Böhme in Jena wussten am Anfang nicht viele Kunden vom Reparaturbonus. Er habe aber jeden darauf hingewiesen und älteren Leuten auch beim Ausfüllen des Online-Formulars geholfen, berichtet er. Der Techniker weiß, dass "viel im Umlauf ist, was fähig für eine Reparatur" ist. Der Bonus habe neue Anreize geschaffen, reparieren zu lassen. "Dadurch konnten wir mehr Reparaturen bekommen als zu Normalzeiten", so Böhme.

Im Reparatur-Café: Helfende Hände für defekte Geräte

Wer selbst mit reparieren will oder sich etwas zeigen lassen will, kann auch in einem Reparatur-Café den Bonus nutzen - vorausgesetzt die Teile kosten mehr als 25 Euro. Wer keine handwerklich begabten Männer, Väter, Opas zur Stelle hat wie ich, kann sich zum Beispiel jeden 2. und 4. Montag im Monat in Bad Salzungen helfen lassen.

Gemeinsam wird an den defekten Geräten geschraubt, bis sie wieder gehen. Bildrechte: Mehrgenerationenhaus Bad Salzungen

Susanne Schaft koordiniert das Reparatur-Café im Mehrgenerationenhaus und erzählt davon, dass das Foyer immer voll ist. Dass locker 20 Leute kommen, dass Elektromeister im Ruhestand tüfteln, Frauen Kuchen mitbringen und der Tresen im Foyer zur Werkbank wird. Stecker und Kontakte sind da, manchmal müssen Teile bestellt werden, bis wieder alles läuft.

Auch hier wird er aufgeschraubt und von Mehl befreit: Der RG 28. Der Reparaturbonus wurde aber nur für eine einzige Reparatur beantragt. Alles andere sei ohne gegangen, erzählt sie.

Das Reparatur-Café in Bad Salzungen wird sehr gut angenommen - es gibt viel, was man noch reparieren kann. Bildrechte: Mehrgenerationenhaus Bad Salzungen

Auch Zella-Mehlis hat ein Repair-Café. Sandra Gutsche von der Initiative "Aufwind" kümmert sich darum. Ihr muss man eine SMS schicken, wenn man etwas zur Reparatur bringen will. Etwa vier Geräte kann sie pro Woche annehmen. "Dann rauchen die Köpfe - so eine Reparatur dauert ja locker ein bis zwei Stunden", erzählt sie und freut sich, dass sie neuerdings drei Reparateure zur Hand hat, die Toaster, Radios, Spielzeugautos, Kaffeemaschinen und natürlich RG 28 reparieren. Diese Geräte werden noch in Jahrzehnten mixen, scheint mir. Ersatzteile kosten meist nur ein paar Euro. Dann funktioniert wieder alles.

Stöberhaus: Eine zweite Chance für gebrauchte Sachen

Bei meinem Besuch im Stöberhaus fällt mir Horst Momm auf. Erst denke ich, er arbeitet hier. Denn er schaut sich alles sehr genau an. Gerade steht er im Gang mit den kleinen Elektrogeräten. Eine Nähmaschine hat es ihm angetan. Er erzählt, dass er viele Sachen hier kauft. Sollten sie nicht funktionieren, könne man sie auch wieder reparieren. Er hält nichts davon, etwas zu schnell zu ersetzen und erkennt auch schon erste Erfolge bei seinen Enkeln, wenn es um das Thema neues Handy geht.

Horst Momm kauft viel im Stöberhaus, manchmal repariert er auch Sachen. Bildrechte: MDR/Isabelle Fleck

Elke Kühne stöbert weiter hinten. Sie möchte nicht fotografiert werden, berichtet aber davon, dass sie hier schon viele Kleinigkeiten gekauft hat - zum Beispiel eine Rotlichtlampe. Und Studentin Franca ist gezielt ins Stöberhaus gekommen: auf der Suche nach einer Teekanne. Als Studentin sei das Geld nicht üppig - aber hier gebe es günstige Sachen, besonders für die Küche. Auch Silvia sucht etwas aus dieser Ecke: Eine Vase "in der richtigen Größe".

Sabrina Kunzewitsch vom Stöberhaus Erfurt hat beobachtet, dass die Leute weniger wegschmeißen und es lieber ins Stöberhaus bringen, dass die Sachen "eine zweite Chance" kriegen. Das Stöberhaus richtet sich an alle - es ist kein Sozialkaufhaus.

Viele Teile bietet sie über Kleinanzeigen an. "Die Kunden gucken online, ob sich ein Besuch hier lohnt. Wir versenden aber auch - nach Berlin, Hamburg, München", erzählt sie.

Fernseher, Player, Radios - es gibt eine große Technikecke im Erfurter Stöberhaus. Garantie gibt es nicht, aber Rückgaberecht für ein Jahr. Bildrechte: MDR/Isabelle Fleck

Ich frage nach besonderen Stücken und in 25 Jahren war eines eine absolute Seltenheit: Ein Bechstein-Flügel. Einen RG 28 sehe ich übrigens nicht. Die sind "seltene DDR-Schätzchen", wie einer ihrer Kollegen sagt. Beim Stöberstand am 4. Mai 2024 allerdings könnte man es versuchen. Sollte er wider Erwarten kaputt sein: Das Teil lässt sich super reparieren - habe ich mir sagen lassen.

Hat ein langes Leben: Der RG 28. Bildrechte: MDR/Clipfilm

MDR (ifl)

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Dieses Thema im Programm:MDR THÜRINGEN - Das Radio | Johannes und der Morgenhahn | 11. Januar 2024 | 05:00 Uhr

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