Ein Richterhammer
Thüringen ist auf der Suche nach neuen Schöffen. Die Amtsperiode beginnt am 1. Januar 2024. Bildrechte: colourbox

Justiz Schöffenwahl 2023: Thüringer Kommunen suchen ehrenamtliche Richterinnen und Richter

19. März 2023, 05:00 Uhr

In vielen Thüringer Kommunen endet die Bewerbungsfrist für Schöffen am 30. März. Was das Amt auszeichnet und welche Eigenschaften man mitbringen sollte, hat MDR THÜRINGEN eine ehrenamtliche Richterin und einen ehrenamtlichen Richter gefragt.

Die Thüringer Kommunen sind auf der Suche nach neuen Schöffen. Schöffen - das sind ehrenamtliche Richterinnen und Richter, die an den Amts- und Landgerichten in ihrem Wohnsitzbereich bei der Urteilsfindung helfen. Fünf Jahre dauert ihre Amtszeit, dann werden sie neu gewählt. In diesem Jahr ist es wieder so weit. Am 31. Dezember 2023 enden in Thüringen und bundesweit die Amtszeiten - und neue Schöffen werden derzeit noch gesucht.

Doch wie wird man eigentlich ehrenamtlicher Richter oder ehrenamtliche Richterin? Was macht diese Tätigkeit aus und welche Gründe gibt es, sich für dieses Amt zu bewerben? Darüber haben wir mit einer Schöffin und einem Schöffen gesprochen.

Schöffen: Richter in zivil

"Es hat mich einfach interessiert, wie Rechtsprechung funktioniert, was es für Strafverfahren hier in der Umgebung gibt und wie das Ganze abläuft", erinnert sich Jonas Weller. Der 37-Jährige ist im zehnten Jahr am Amtsgericht Nordhausen als Schöffe tätig. "Man liest darüber ja immer mal was in der Zeitung, wenn es irgendwo zu einer Anklage kommt und was dann für Strafen oder Urteile rauskommen. Und da war schon ganz interessant, da mal dahinterzublicken, wie das abläuft."

Ein Schöffe ist jemand, der gleichberechtigt mit dem Berufsrichter an der Rechtsprechung mitwirkt - ohne eine juristische Ausbildung zu haben.

Jonas Weller Schöffe

Eine juristische Ausbildung hat Weller nicht. Beruflich arbeitet er als feuerwehrtechnischer Beamter und Kreisbrandinspektor im benachbarten Kyffhäuserskreis. Dass in der Rechtsprechung ehrenamtliche Richterinnen und Richter ohne juristische Ausbildung eingesetzt werden, ist keine Ausnahme, sondern Sinn und Zweck ihres Amtes: "Ein Schöffe ist jemand, der gleichberechtigt mit dem Berufsrichter an der Rechtsprechung mitwirkt - ohne eine juristische Ausbildung zu haben", erklärt Weller. Auf eine schwarze Richterrobe dürfen sie aber verzichten - zumindest in Thüringen.

Der Weg zum ehrenamtlichen Richter

Aber welches Prozedere muss konkret durchlaufen werden, um als ehrenamtlicher Richter tätig werden zu können? "Für jedes Schöffengericht gibt es einen Einzugsbereich, für den das jeweilige Gericht zuständig ist. Und da muss jede Gemeinde - in Abhängigkeit ihrer Einwohnerzahl - Schöffen vorschlagen. Dafür kann man sich melden und am Ende gibt es eine Liste, über die der Stadtrat oder der Gemeinderat abstimmt. Über jeden Namen einzeln", erklärt Weller. Dabei entscheiden die Kommunen selbst, welches Amt für die Vorbereitung der Vorschlagsliste zuständig ist. Diese liegt nach ihrer Fertigstellung öffentlich aus und kann von jedem genutzt werden, um Bedenken gegenüber Bewerbern zu äußern.

"Und aus dieser Vielzahl von Menschen, die sich gemeldet haben oder von Dritten vorgeschlagen wurden und dann von der Gemeinde gewählt worden sind, wählt ein Schöffenwahlausschuss am Gericht die erforderliche Anzahl von Schöffen und Hilfsschöffen aus", führt Weller aus. Heißt: Allein die Bewerbung und die Bestätigung durch den Stadtrat reicht noch nicht aus, um tatsächlich als Schöffe gewählt zu werden. Die Personen aber, die der Schöffenwahlausschuss bestätigt, bekommen eine Mitteilung, dass sie für die nächsten fünf Jahre als Schöffen eingesetzt werden.

Zum Aufklappen: Amtsgericht, Landgericht oder Jugendgericht?

Bei der Bewerbung kann gewählt werden, für welches Gericht man sich als Schöffin oder Schöffe bewirbt: Amtsgericht, Landgericht oder Jugendgericht. Man kann sich also gleichzeitig als Schöffe und als Jugendschöffe bewerben. Wer zufällig für beide Ämter gewählt wird, kann allerdings nur eines davon annehmen. Die Gemeinden stellen die Vorschlagslisten für die Wahl der Erwachsenen-Schöffen auf. Für Jugendschöffen verläuft das Verfahren etwas anders. Die Jugendämter beziehungsweise Jugendhilfeausschüsse der Landkreise und der kreisfreien Städte stellen die Vorschläge für die Jugendschöffen zusammen.

Bei Jugendschöffen tritt hinzu, dass sie erzieherisch befähigt und in der Jugenderziehung erfahren sein sollten. Dies ist nicht zwingend an bestimmte pädagogische Berufsgruppen gebunden. Erzieherische Befähigung und Erfahrung in der Jugenderziehung im Sinne der gesetzlichen Anforderungen können sich zum Beispiel aus einer länger andauernden beruflichen oder ehrenamtlichen Betätigung im Bereich von Jugendverbänden und Jugendhilfe- und Jugendfreizeiteinrichtungen ergeben. Selbstverständlich können entsprechende Erfahrungen auch im familiären Bereich erworben worden sein.

Formular für Schöffen-Vorschlagsliste
Angehende Schöffen können bei ihrer Bewerbung ankreuzen, wo sie später eingesetzt werden wollen. Bildrechte: IMAGO/Steinach

Ohne Vorwissen in die Verhandlung

Bei welchen Verfahren die gewählten Schöffen als ehrenamtliche Richter eingesetzt werden, bekommen sie immer zum Jahresende mitgeteilt. Welche das sind, wird ausgelost. Das Besondere daran: Worum es konkret geht, erfahren die zwei jeweils eingesetzten Schöffen immer erst am Tag der Verhandlung. Sie können sich also nicht inhaltlich auf den Fall vorbereiten oder im Vorfeld eigene Recherchen anstellen. So soll sichergestellt werden, dass sie unvoreingenommen in das Verfahren gehen und nur anhand der im Gerichtssaal gehörten und gesehenen Dinge ihr Urteil fällen.

Alles was auf Papier steht, spielt keine Rolle.

Jonas Weller Schöffe

Jonas Weller beschreibt diese Praxis so: "Wir haben keinerlei Einsicht in die Akte. Das ist eben der Grundsatz im Strafrecht: Das Verfahren findet mündlich statt. Und damit muss eben auch alles mündlich in die Verhandlungen eingeführt werden. Das heißt, wenn es irgendwo einen toxikologischen Bericht gibt - also es ist zum Beispiel eine Blutprobe gemacht worden - dann muss dieser Bericht verlesen werden, weil die reine Mündlichkeit zählt. Alles, was auf Papier steht, spielt keine Rolle. Und deswegen bekommen wir im Vorfeld auch nicht die Akten, sondern wir sollen einzig und allein aufgrund dessen urteilen, was wir in der Hauptverhandlung haben."

Sind alle Zeugen gehört und alle Beweise gesehen, ziehen sich der Berufsrichter und die beiden Schöffen zur Beratung zurück. Die unterliegt der Geheimhaltung. "Dort erläutert der Richter nochmal, wie die ganze Situation rechtlich einzuordnen ist, wie der Strafrahmen aussieht und was es für Punkte gibt, die diesen unter Umständen verschieben können. Und dann wird gleichberechtigt abgestimmt. Zuerst über Schuld und Unschuld und danach über das Strafmaß", erklärt Weller.

Dabei ist es auch möglich, dass die Schöffen den Berufsrichter überstimmen. "Das heißt zum Beispiel, auch wenn der Richter der Meinung ist, der Angeklagte ist nicht schuld, und die beiden Schöffen sind der Meinung, dass er doch schuldig ist - dann wird dieser Mensch schuldig gesprochen. Das habe ich persönlich noch nicht erlebt, aber theoretisch ist das möglich", sagt Weller. Beim Strafmaß komme es hingegen häufiger mal vor, dass Schöffen den Vorsitzenden Richter überstimmen. Ist die Abstimmung beendet, wird das Urteil im Verhandlungssaal verlesen.

Was Schöffen mitbringen sollten

In einem ganz anderen Teil Thüringens ist Annette Nagel als ehrenamtliche Richterin tätig. Die 51-Jährige ist derzeit in ihrer zweiten Amtsperiode am Amtsgericht Suhl eingesetzt. "Ich habe damals in der Zeitung gelesen, dass Schöffen gesucht werden. Da habe ich mir gedacht: Das probierst du einfach", erinnert sie sich. Sie findet vor allem wichtig, dass ehrenamtliche Richter wirklich Interesse für den Inhalt ihrer Tätigkeit haben: "Ich glaube, das muss man wirklich wollen", sagt sie. "Weil, es ist ja auch Zeit, die man investiert. Ich finde einfach, man sollte Interesse an der Rechtsprechung und an der Gerechtigkeit haben. Spaß möchte ich nicht sagen, weil: Es ist nicht immer lustig."

Das war ein Fall, bei dem hat die Staatsanwaltschaft eine Strafe gefordert, und ich habe dann gesagt, dass mir das zu wenig ist - ich hätte gerne zwei Monate mehr.

Annette Nagel Schöffin

Ganz und gar nicht lustig war etwa ein Fall, der ihr besonders im Gedächtnis geblieben ist: "Wir haben hier mal eine Bombendrohung verhandelt. Der Angeklagte hat Gerichte bedroht, eine Schule und ein Krankenhaus. Das war ein Fall, bei dem hat die Staatsanwaltschaft eine Strafe gefordert, und ich habe dann gesagt, dass mir das zu wenig ist - ich hätte gerne zwei Monate mehr. Einfach aus der Tatsache heraus: Dass jemand eine Schule bedroht, ist schlimm genug. Aber in so einem Krankenhaus habe ich alte und schwer kranke Menschen, habe ich beatmete Patienten, und die muss ich da irgendwie rausholen. Und im Zweifelsfall kriege ich das gar nicht hin. Damit konnte ich den anderen Schöffen und den Richter überzeugen."

Zum Aufklappen: Voraussetzungen für die Schöffen-Bewerbung

Für eine Bewerbung als Schöffin oder Schöffe muss die Person die deutsche Staatsangehörigkeit haben.

Unfähigkeit zum Schöffenamt:

  • wer die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter nicht besitzt
  • wer wegen einer vorsätzlichen Tat zu einer Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten verurteilt ist
  • Personen, gegen die ein Ermittlungsverfahren wegen einer Tat schwebt, die den Verlust der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter zur Folge haben kann


Es soll nicht berufen werden:

  • wer am 1. Januar 2024 das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat
  • wer am 1. Januar 2024 das 70. Lebensjahr vollendet hat
  • Personen, die zur Zeit der Aufstellung der Vorschlagsliste nicht in der Gemeinde wohnen (ein Zweitwohnsitz ist ausreichend, wenn man sich überwiegend dort aufhält)
  • Personen, die gesundheitlich nicht geeignet sind
  • Personen, die mangels ausreichender Beherrschung der deutschen Sprache für das Amt nicht geeignet sind
  • Personen, die in Vermögensverfall geraten sind
  • Richter und Beamte der Staatsanwaltschaft, Notare, Rechtsanwälte, gerichtliche Vollstreckungsbeamte, Polizeivollzugsbeamte, Bedienstete des Strafvollzuges, hauptamtliche Bewährungs- und Gerichtshelfer
  • Religionsdiener


Quelle: https://justiz.thueringen.de/

StPO und StGB auf einem Tisch vor einem Schöffengericht
Nicht immer sind sich Schöffen und Vorsitzende Richter über Schuld und Unschuld oder über das Strafmaß einig. Bildrechte: IMAGO/Funke Foto Services

Das, was Annette Nagel schildert, fasst das Thüringer Justizministerium so zusammen: Die Schöffen "sollen ihre Lebens- und Berufserfahrung in die Urteilsfindung einbringen". Darüber hinaus seien soziale Kompetenz, Einfühlungsvermögen, logisches Denkvermögen und Menschenkenntnis wichtig. Das Schöffenamt verlange in hohem Maße Unparteilichkeit, Selbstständigkeit und Urteilsvermögen, aber auch geistige Beweglichkeit und die notwendige körperliche Eignung für den erforderlichen Sitzungsdienst.

Jonas Weller fügt noch einen weiteren Aspekt hinzu: "Ich sage mal, man sollte auf dem Boden des Grundgesetzes stehen, auf jeden Fall. Und man sollte egal welcher Bevölkerungsgruppe nicht mit Vorurteilen begegnen - egal in welche Richtung." Damit dies gewährleistet ist, wird die Verfassungstreue der Schöffen laut Justizministerium mit einem Eid bekundet. Eine allgemeine Überprüfung, zum Beispiel durch Anfragen beim Verfassungsschutz, gebe es aber nicht.

Neue Schöffen braucht das Land

Wer sich ab 2024 selbst als Schöffe ausprobieren möchte, sollte sich mit einer Bewerbung nicht mehr allzu lang Zeit lassen. Zwar haben die Gemeinden noch bis zum 15. Juni Zeit, ihre Vorschlagslisten zusammenzustellen, die Bewerbungsfrist endet allerdings in vielen Thüringer Kommunen am 30. März, beispielsweise in Erfurt. Gesucht werden nach Angaben des Justizministeriums insgesamt 1.855 Schöffen, davon 1.100 Hauptschöffen und 755 Ersatzschöffen. Alles Weitere rund um die Wahl wird in einer in einer entsprechenden Verwaltungsvorschrift geregelt. Ein ausführliches FAQ zu den wichtigsten Fragen und Antworten für die Schöffenwahl 2023 hat darüber hinaus das Justizministerium zusammengestellt:

MDR (cfr)

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 17. Februar 2023 | 19:00 Uhr

33 Kommentare

martin am 20.03.2023

In der Tat: Nicht alle tragen ihre Tatoos auf der Stirn. Aber auch ohne Schrift auf der Stirn kann man die Haltung mancher Zeitgenossen recht schnell erkennen.

martin am 20.03.2023

@harka2: Das Führungszeugnis gibt aber keine Auskunft über die politische Haltung / die politische Gesinnung. Einen Eintrag dort gibt es erst "ab Straftat". Für die von Ihnen beschriebene Auskunft wäre dann m.E. eine Regelanfrage beim Verfassungsschutz das geeignete Instrument.

Harka2 am 19.03.2023

@Goldlöckchen
Nun, wenn man ein Parteibuch einer vom Verfassungsschutz als extrem und verfassungsfeindlich eingestuften Partei trägt, dann ist man schwerlich dazu geeignet bei Entscheidungen mitzumachen, die auf dem Boden des Grundgesetzes basieren sollen.

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