
Bedrohter Greifvogel Schreiadler in Thüringen: Seltene Art bei MDR-Dreharbeiten nachgewiesen
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11. Mai 2025, 06:00 Uhr
Der Schreiadler ist Deutschlands kleinster Adler. Er ist extrem bedroht und brütet nur noch in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Ein Kamerateam von MDR THÜRINGEN hat ihn 2024 bei Erfurt zufällig gefilmt. Ornithologen freuen sich über diese Sichtung.
Kameramann Alexander Nowotny war ein bisschen aus dem Häuschen. "Krass! Ich hab's! Ich hab die Szene!", jubelte er bei Dreharbeiten Ende Juni 2024. Nördlich von Erfurt wurde für einen Film zum Artensterben gedreht. Auf einem frisch gemähten Luzerne-Feld tummelte sich Vieles, was so ein Film braucht: Kohlweißlinge, Schafstelzen, Saatkrähen, Rotmilane.
Etwa 400 Meter von dort, wo Nowotny mit seiner Kamera stand, spielte sich ein kleines Drama ab: Ein Reh griff immer wieder Greifvögel an, die im Feld saßen. Trotz der Entfernung fing Nowotny einige Szenen ein. "Ein Reh geht auf einen Rotmilan los?", wunderte sich das Team. Wollte es sein Kitz schützen?
Naturschützer erkennt seltenen Greifvogel
Als der Artenschutz-Film einige Wochen später ausgestrahlt und online gestellt wird, meldet sich ein Mitglied des Naturschutzbundes (Nabu). In seiner E-Mail an die Redaktion schreibt Lutz Reißland über eine Filmsequenz aus dem Vorspann: "Es handelt sich hierbei um einen der seltensten Brutvögel Deutschlands, der in Thüringen nur ganz selten nachgewiesen wird, einen Schreiadler." Staunen in der Redaktion. Und die Entscheidung: Wir fragen nach beim Verein Thüringer Ornithologen.
Der Schreiadler braucht ruhige, verlassene Waldgebiete zum Brüten. Und solche Gebiete müssen frei sein von Windrädern.
Michael Nickel klickt den Filmbeitrag in der ARD-Mediathek an und ruft zurück: eindeutig ein Schreiadler - so seine Bestätigung. Von Kindesbeinen an beobachtet Nickel Vögel. Er ist nicht nur Geschäftsführer des Vereins Thüringer Ornithologen. Auch als Sprecher der "Avifaunistischen Kommission" seines Vereins ist er tätig.
Dieses Gremium sammelt Nachweise seltener Vögel, die in Thüringen gesichtet werden. Regelmäßig werden die Dokumentationen geprüft und bewertet. Die von MDR THÜRINGEN gedrehte Filmsequenz ist ein eindeutiger, sicherer Beleg. Nickel ermutigt uns, sie der Kommission vorzulegen. Die Sichtung soll nun in Kürze Eingang finden in den Jahresbericht für 2024.
Ornithologen dokumentieren seltene Exemplare
Nickel und seine Mitstreiter gehen sehr akribisch vor, wenn sie die Sichtung eines seltenen Vogels registrieren. Es gibt dafür einen speziellen Meldebogen. Ganz genau werden Tag, Uhrzeit, Ort der Beobachtung, nähere Umstände und die Daten des Beobachters aufgenommen. Es geht dabei wissenschaftlich zu.
"Wir Ornithologen", sagt Nickel, "dokumentieren grundsätzlich Vogelbestände - ob Brut-Vorkommen oder Bestände, die hier rasten während des Vogelzuges. Einfach, um im Bilde zu bleiben, was draußen passiert.
Bei Arten, die lokal oder in einem Bundesland oder gar in Deutschland sehr selten sind, ist das besonders wichtig. Rückblickend kann man so Veränderungen besser verfolgen: Verändern sich die Areale, wo bestimmte Arten leben? Kommen Vögel nur als Gäste oder siedeln sie sich neu an?“
Schreiadler zieht es nicht nach Thüringen
Als Beispiel nennt Nickel den Silberreiher. Noch vor 20 Jahren habe der auf der Liste jener Arten gestanden, deren Sichtung dokumentiert werden musste. "Heute steht diese Art vor allem im Winterhalbjahr überall in Deutschland auf den Äckern. Es gab aber eine Zeit, in der das nicht so war. Heute können wir sehr gut nachvollziehen, wann und wie deren Ausbreitungsgeschichte stattgefunden hat und ab wann die Bestände zunahmen."
Ich freue mich natürlich, dass ich der Forschungswelt da so einen Dienst erwiesen habe - zufällig.
Der Schreiadler aber macht keine Anstalten, sich in Thüringen anzusiedeln - obwohl ihn das MDR-Kamerateam aufgestöbert hat. Nickel findet den Zeitpunkt der Sichtung interessant: Ende Juni, mitten in der Brutzeit.
Der Experte mit 40 Jahren Erfahrung in der Vogelbeobachtung vermutet: Es könnte ein Jungvogel sein. Die Art brüte erst relativ spät, nach etwa vier Jahren. Jungvögel würden bis dahin oft hin und her wandern, den Vogelzug mitmachen, den Sommer aber auch manchmal abseits der Brutgebiete verleben. Ganz sicher könne das aber niemand sagen.
Viele Jahre keinen Schreiadler in Thüringen gesichtet
Auf der Roten Liste der bedrohten Arten steht der Schreiadler weit oben. 100 Brutpaare werden in Deutschland noch vermutet - in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg. Als Hauptbrutgebiete gelten Polen und das Baltikum. "Dort lebt er relativ zurückgezogen", sagt Michael Nickel. "Er braucht ruhige, verlassene Waldgebiete zum Brüten. Und solche Gebiete müssen frei sein von Windrädern."
Seine Nahrung findet der Aquila pomarina - was lateinisch ist für "Pommernadler" - auf Äckern und feuchten Wiesen. Diese Anforderungen an seinen Lebensraum finden sich in Thüringen eher selten zusammen an einem Ort - und auch anderswo in Deutschland immer weniger.
2006 hat Michael Nickel nördlich von Erfurt, am Landwirtschaftsspeicher Dachwig, selbst einen Schreiadler gesichtet. Und das natürlich dokumentiert. In den vergangenen zehn Jahren, sagt er, sei dem Verein Thüringer Ornithologen keine einzige Beobachtung gemeldet worden. Aus Satellitendaten gehe hervor, dass einzelne, mit Sendern ausgestattete Tiere Thüringen überflogen haben.
Auf ihrem weiten Heimweg vom Süden Afrikas kommen einige dieser Vögel jetzt, im Mai, vielleicht wieder durch Thüringen - oder über uns hinweg. Die Chance, einen zu sehen, ist gering. MDR-Kameramann Alexander Nowotny ist ihm an einem heißen Junitag begegnet. Die Luft hat schon am Vormittag vor Hitze geflirrt. Er musste schnell reagieren und alles rausholen aus seiner Kamera. "Und ich freue mich natürlich, dass ich der Forschungswelt da so einen Dienst erwiesen habe - zufällig."
MDR (co)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | THÜRINGEN JOURNAL | 09. Mai 2025 | 19:00 Uhr
Anita L. vor 2 Tagen
Na wenn das die Begründung ist... Der Seeadler holt sich seinen Burger nicht bei McDonalds... Das Artensterben auch unter den Greifvögeln begann ganz gewiss nicht mit der Errichtung von Windkraftanlagen. Warum gibt es denn nur noch so wenige Exemplare?
Die Herausforderung, Vögel und Fledermäuse vor Kollisionen mit Windkraftanlagen zu bewahren, wird schon eine ganze Weile angegangen: Stichwort abschaltbare Windräder. Eine pauschale Ablehnung der Windkraftanlagen ist definitiv keine Lösung. Und dochdoch, die ist definitiv mehr oder weniger unterschwellig in der Argumentation der geneigten Community das Ziel.
Gurg vor 2 Tagen
Schreiadler sind aber schon von Natur aus erheblich seltener und jetzt aus verschiedenen Gründen extrem gefährdet, im Gegensatz zu den meisten Vogelarten, die an Glasscheiben verunglücken. Und auch dieses Problem sollte angegangen werden, wo es signifikant ist!
_martin_ vor 2 Tagen
Was für eine Ansammlung von Fake News. Stillgelegte Windräder (zumindest wenn es nicht die allerersten waren) müssen zurückgebaut werden, mindestens einschließlich des oberen Teils des Fundaments. Dafür muss der Betreiber sogar eine finanzielle Sicherheit hinterlegen.
Schreiadler werden sich in Thüringen nicht ansiedeln (steht im Artikel) und zwar nicht wegen der Windräder. Da werden sie auch nicht ernsthaft von diesen gestört.
Ein abgeschaltetes Windrad würde, wenn es noch nicht zurück gebaut ist, auch keine Vögel stören.