Eine Lehrerin schreibt in einer Grundschule Wörter mit «Sp» am Anfang an eine Tafel.
In Thüringen fehlen rund 800 Lehrer - aber auch über die Landesgrenzen hinaus mangelt es in den Schulen an Personal. Bildrechte: picture alliance/dpa | Sebastian Gollnow

Wege aus der Krise Lehrermangel: Wie Thüringen mehr Personal für Schulen gewinnen könnte

27. August 2022, 05:00 Uhr

Dass es in Thüringen an Lehrkräften mangelt, ist bekannt. Aber welche Lösungsansätze gibt es für dieses Problem? Wie könnte mehr Personal für die Schulen gewonnen werden? Das haben wir verschiedene Verbände und Institutionen aus dem Bildungsbereich gefragt.

Das neue Schuljahr steht unmittelbar vor der Tür und allein in Thüringen warten laut Bildungsministerium rund 19.000 ABC-Schützen auf ihre Einschulung. Am Donnerstag gab Minister Helmut Holter (Linke) einen Ausblick auf die besonderen Herausforderungen des Schuljahrs 2022/2023 und darauf, wie das Land dem Lehrermangel in Thüringen begegnen will.

Doch nicht nur die Politik sorgt sich um die Bildung und Ausbildung des Nachwuchses. Auch in Verbänden, Gewerkschaft und in der Wissenschaft gibt es rege Diskussionen darüber, wie die Schulen im Freistaat mit dem benötigten Personal ausgestattet werden können. Grundsätzlich lassen sich hier zweierlei Lösungsansätze erkennen: kurzfristige Maßnahmen und langfristige Konzepte.

"Notmaßnahmen" als kurzfristige Lösungen

Das Zentrum für Lehrerbildung und Bildungsforschung (ZLB) der Uni Jena teilt etwa auf MDR-Anfrage mit: "Kurzfristig ist es nur mit Notmaßnahmen möglich gegenzusteuern, zum Beispiel durch den Einsatz von pensionierten Lehrkräften und Studierenden als Vertretungslehrkräfte, um vorübergehend Lücken zu füllen. Seiteneinsteiger können nur dann zeitnah helfen, wenn realisierbare pädagogisch-didaktische Weiterbildungen verfügbar sind." Vor allem bei der Umsetzung entsprechender Fortbildungsangebote müsse das Land flexibler und schneller werden.

Fehlende Perspektiven für Quereinsteiger

Eine ähnliche Sichtweise auf die kurzfristigen Maßnahmen teilen auch der Thüringer Lehrerverband (TLV), die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und die Landeselternvertretung Thüringen (LEV). Probleme werden vor allem bei der Umsetzung gesehen: "Kurzfristige Maßnahmen greifen wenig - was nicht zuletzt an der Art der Durchführung liegt. (...) Unterm Strich haben die Schulen dadurch anfangs meist einen nicht unerheblichen Mehraufwand. Dazu kommt, dass in vielen Fällen die Perspektiven fehlen. Seiteneinsteiger:innen ohne akademischen Abschluss zum Beispiel werden nicht entfristet - dabei könnte ein Tischlermeister ein guter Werklehrer oder eine Augenoptikermeisterin eine gute Physiklehrerin sein", sagt beispielsweise Tim Reukauf, Sprecher des Thüringer Lehrerverbands.

Insgesamt hat die aktuelle Landesregierung nicht genug getan, um das "geerbte" Problem zu bekämpfen und doktert nun schon seit acht Jahren mehr oder weniger erfolgreich daran rum.

Tim Reukauf Thüringer Lehrerverband

Generell müsse der Lehrerberuf attraktiver werden. Die Verbeamtung sei ein wichtiger Teil, aber längst nicht alles. Auch Entlastung gehöre dazu, etwa durch multiprofessionelle Teams und durch administrative Entschlackung. Das Einstellungsverfahren von Lehramtsanwärtern sei nach wie vor zu langwierig und zu weit entfernt von den konkreten Bedürfnissen der Schulen und Bewerber. "Insgesamt hat die aktuelle Landesregierung nicht genug getan, um das "geerbte" Problem zu bekämpfen und doktert nun schon seit acht Jahren mehr oder weniger erfolgreich daran rum", sagt Reukauf.

Fehlende Perspektiven für Quereinsteiger bemängelt auch Michael Kummer von der GEW. Eine Entlastung der Lehrkräfte könnte ihm zufolge etwa durch Verwaltungspersonal oder den sinnvollen Einsatz digitaler Technik erreicht werden. Zudem müsse den Schulen mehr Eigenverantwortung zugestanden werden.

Ausbildung und Beruf attraktiver machen

Anders sieht es bei den langfristigen Konzepten aus, die vor allem bei der Ausbildung ansetzen. "Langfristig ist wichtig, die Lehrerausbildung zu forcieren, dabei neue Wege zu gehen, neuen Lehrkräften optimale Bedingungen zu bieten und den Lehrerberuf somit wieder attraktiver zu machen," sagt etwa Claudia Koch, Sprecherin der Landeselternvertretung Thüringen.

In ähnliche Richtung geht auch das ZLB: "Langfristig muss der Ausbildungsort Thüringen auch für Studieninteressierte aus anderen Bundesländern attraktiver gemacht und eine großzügigere Einstellungspolitik schon im Referendariat durchgeführt werden, um diese Personen möglichst zu halten", heißt es.

Das betreffe auch Fragen des Laufbahnrechtes. So sollte es beispielsweise für das Lehramt Regelschule mit einer Zusatzprüfung leichter gemacht werden, auch an Gymnasien oder Oberstufen von Gemeinschafts- und Gesamtschulen zu unterrichten. Mit einer solchen Wahlmöglichkeit würde das Regelschulstudium insgesamt attraktiver. Zudem sollte das Regelschullehramt bei Studienbeginn bereits eine Einstellungsgarantie in Thüringen erhalten, wenn Studium und Referendariat erfolgreich abgeschlossen werden.

Ein anderer Punkt, der die Abwanderung von Lehrkräften aus Thüringen begünstige, sei das Einstellungsverfahren in Thüringen. Laut ZLB werden Kandidatinnen und Kandidaten für das Referendariat erst zu einem sehr späten Zeitpunkt über eine mögliche Einstellung informiert. In anderen Bundesländern sei die Bekanntgabe der Stellenverteilung dann schon erfolgt.

Dadurch verliere Thüringen angehende Lehrkräfte gerade zu dem Zeitpunkt, an dem sie über ihren zukünftigen Dienstort entscheiden müssten. Auch die Einschränkungen der Wahlmöglichkeiten von Fachkombinationen sei ein Grund, dass Lehrkräfte Thüringen verließen.

Langfristig ist wichtig, die Lehrerausbildung zu forcieren, dabei neue Wege zu gehen, neuen Lehrkräften optimale Bedingungen zu bieten und den Lehrerberuf somit wieder attraktiver zu machen.

Claudia Koch Landeselternvertretung Thüringen

Dabei hebt das ZLB hervor, dass die zügige Umsetzung der Maßnahmen wichtig ist. Andernfalls sei auch die Ausbildung zukünftiger Lehrkräfte gefährdet. Aktuell gebe es bereits die Situation, dass Studierende im Praxissemester an einigen Schulen nicht ausgebildet werden könnten, da die entsprechenden Lehrkräfte fehlen. Nicht wenige Studierende würden deshalb in andere Bundesländer ausweichen, was letztendlich dazu führen könnte, dass ein Teil auch das Referendariat außerhalb Thüringens antritt.

Das geerbte (Generations-) Problem

Auch bei der Frage nach der Ursache des jetzigen Mangels an Lehrkräften gibt es änhliche Erklärungsmuster. Das ZLB erklärt das Problem durch fehlende Einstellungen von Lehrkräften in der Vergangenheit:

"Aus Sicht und langjähriger Erfahrung des ZLB wurde das aktuelle Problem des Lehrkräftemangels langfristig durch die Nichteinstellung geeigneter Personen beziehungsweise Absolvent:innen des Lehramts geschaffen, da kurzfristig kein Bedarf bestand. Dadurch hat sich die Alterspyramide an den Schulen in einer Weise verändert, die nun negativ durchschlägt, wenn kopfstarke Lehrkräftejahrgänge in Pension gehen."

Wir stehen jetzt vor dieser großen Herausforderung, faktisch zwei Generationen zu ersetzen.

Helmut Holter Thüringer Bildungsminister

Für Helmut Holter kein leichtes Erbe, welches er im Rahmen der Regierungsmedienkonferenz am Donnerstag wie folgt auf den Punkt brachte: "Wir haben beinahe 20 Jahre in Thüringen keine Lehrer eingestellt, da brauch man sich nicht zu wundern, wenn eine Generation in den Lehrerzimmern fehlt. Es gehen aber auch viele jetzt in den Ruhestand. Wir stehen jetzt vor dieser großen Herausforderung, faktisch zwei Generationen zu ersetzen."

Von Michael Kummer von der GEW heißt es zu den politischen Versäumnissen der Vergangenheit: "Von 1994 bis 2009 wurden kaum Neuanstellungen unternommen, so dass der Lehrermangel durch zu wenig Absolventen durch die fehlende Lehrergenerationen in den Lehrerzimmern verstärkt wird. Leider hat das kurzfristige Legislaturdenken und eine betriebswirtschaftliche Sicht anstelle einer langfristig verantwortlichen Stellenpolitik im Hinblick auf die Daseinsvorsorge des Staates Oberhand gehabt. Die neoliberale Politik und die schwarze Null verhinderten eine verantwortungsvolle Stellenbesetzungen, so auch in Thüringen."

Das sieht auch der Thüringer Lehrerverband ähnlich, kritisiert allerdings die Landesregierung, bisher zu wenig getan zu haben: "Die aktuelle Landesregierung hat den Mangel quasi geerbt und ist vor allem damit beschäftigt, [ihn] zu verwalten (mehr schlecht als recht). Was wir ihr vorwerfen: Sie tut zu wenig, um den sich verschärfenden Mangel aufzuhalten und sie beschönigt nach wie vor (...)" Nach Ansicht des TLV könnten die Probleme auch nicht mit den knapp 800 Lehrerinnen und Lehrern - also im Schnitt einem Lehrer pro Schule - gelöst werden. Tatsächlich dürfe der Bedarf inzwischen beinahe doppelt so hoch sein.

Die neoliberale Politik und die schwarze Null verhinderten eine verantwortungsvolle Stellenbesetzungen, so auch in Thüringen.

Michael Kummer GEW Thüringen

Bereits unter Christoph Matschie (SPD), der von 2009 bis 2014 unter anderem Thüringer Minister für Bildung, Wissenschaft und Kultur war, habe der Personalabbau im großen Stil begonnen. Man habe sich "kolossal verkalkuliert bei der Erstellung von Bedarfsprognosen". Und auch der demografische Wandel sei massiv vernachlässigt worden, so Tim Reukauf.

Besserung in Sicht?

Der Blick auf das Thüringer Bildungswesen im Jahr 2022 mag also nicht besonders rosig aussehen. Doch gibt es auch Anlass für einen vorsichtigen Optimismus? So schreibt Claudia Koch von der Landeselternvertretung Thüringen: "Inzwischen hat das Thüringer Ministerium für Bildung, Jugend und Sport reagiert und viele Missstände sind ausgeräumt, doch da der Lehrerberuf deutschlandweit nicht ausreichend gefördert wurde, haben wir inzwischen deutschlandweit zu wenige Lehrkräfte. Der Markt ist also leer."

Und tatsächlich: Minister Holter kündigte am Donnerstag einige der vorgeschlagenen Maßnahmen für das neue Schuljahr an, etwa den Einsatz von pensionierten Lehrerinnen und Lehrern oder Studierenden als Vertretungslehrer, um vorübergehend Lücken zu füllen.

Und auch Entlastungen der Lehrerinnen und Lehrer sind in Planung. Ob sich die Pläne des Bildungsministeriums aber als taugliche Mittel erweisen, um das benötigte Personal an die Thüringer Schulen zu holen, wird vor allem auch eine Frage der Umsetzung und Praxis sein.

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MDR (cfr)

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 25. August 2022 | 19:00 Uhr

82 Kommentare

martin am 29.08.2022

Einen Distinction-Magister bekommen Sie auch an der London .... nicht geschenkt.

Ich antwortete übrigens erkennbar auf Ihr Beispiel und nicht auf die Allgemeinphrase. Das Aufhübschen des Lebenslaufs war vorher bei Ihnen kein Thema - allerdings hat sie sich damit selbst einen Bärendienst erwiesen und ihr Team hat offensichtlich gepennt.

Ob der Nachweis, dass man zur wissenschaftlichen Arbeit befähigt ist (was der Hochschulabschluss ja bedeutet) eine Voraussetzung für gute professionelle politische Arbeit ist, wage ich übrigens zu bezweifeln.

martin am 29.08.2022

Ich habe nichts gegen irgendwelche Bildungseinrichtungen geschrieben, sondern dass ich kein Bildungssystem möchte, was (unter Berücksichtigung Ihrer sonstigen Beiträge in den Kommentarbereichen von MDR Thüringen) Ihren Vorstellungen entspricht.

martin am 29.08.2022

Ihr Beispiel verdeutlicht das Tarifsystem im öffentlichen Dienst. Voraussetzung für den höheren Dienst ist nun einmal eine erfolgreich abgeschlossene Hochschulausbildung.

Sie scheinen darüber hinaus keine Hochschulerfahrung zu haben. Promotionsstudenten, die an der Uni als wiss. Mitarbeiter eingestellt werden, werden für die Mitarbeit in Forschung und Lehre bezahlt und nicht für die Promotion selbst. Ich finde den Begriff aber auch weder zeitgemäß noch passend. Aber an den Unis werden zuweilen fragwürdige Traditionen gepflegt. Aber das ist ein anderes Thema.

Darüber hinaus verwechsele ich nicht die Haushaltsmittel mit der Bezahlung. SIE schreiben doch hier wiederholt von der Umwidmung von Haushaltsmitteln als Problem. Dem widerspreche ich auch weiterhin, weil meines Wissens 'nur' die nicht abgerufenen Mittrl umgewidmet werden und somit entgegen Ihren Behauptungen die Landesregierung zunächst genug Geld bereit stellt. Das Problem sind nicht die angeblich fehlenden Haushaltsmittel.

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