Strommasten und Windräder rund um das Kohlekraftwerk Neurath des Stromkonzerns RWE.
Die Energiekrise setzt Menschen und Unternehmen zu. Linke und Grüne in Thüringen fordern ein neues Sondervermögen. Bildrechte: IMAGO/Panama Pictures

Mögliches Sondervermögen Energiekrise: Thüringer Landtag streitet um neue Kredite

11. September 2022, 18:54 Uhr

Es war 1,2 Milliarden Euro schwer und es hat vielen Unternehmen und Menschen in der Krise geholfen: das Corona-Sondervermögen, das das Land Thüringen im Jahr 2020 aufgelegt hatte. Die dafür aufgenommenen Kredite muss das Land jetzt über Jahre zurückzahlen. Im Landtag wird nun über den Haushalt für 2023 verhandelt. Es werden Forderungen laut nach einem erneuten Sondervermögen, um auf die Energiekrise reagieren zu können. Das Thema ist selbst innerhalb der rot-rot-grünen Koalition umstritten.

Wolfgang Hentschel
Bildrechte: MDR/Wolfgang Hentschel

Unterstützt wird ein neues Sondervermögen von der Linken. Fraktionschef Steffen Dittes verweist auf die explodierenden Energiepreise, die angespannte Energieversorgung, die wirtschaftliche Schieflage, die den Unternehmen droht, die Sorge der Menschen, die ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen könnten. Hier müsse das Land helfen.

Es gehe darum, massiv zu investieren, etwa in den Ausbau erneuerbarer Energien, so Dittes: "Diese Mammutaufgabe schaffen wir aber nicht im laufenden Haushalt darzustellen. Das würde dazu führen, dass wir von vielen Aufgaben, die der Freistaat Thüringen gerade absolviert, Abstand nehmen müssten, wie die kommunale Entwicklung, die Sicherung der sozialen Infrastruktur und ähnliches. Deswegen glauben wir, dass eine Herauslagerung aus dem Haushalt in ein Sondervermögen für diese Herausforderungen gerade im investiven Bereich der richtige Weg ist."

Neue Kredite in Thüringen?

Herauslagern heißt: es müssten dafür Kredite aufgenommen werden. Laut Dittes ist das auch haushaltsrechtlich möglich, und zwar dann, wenn es darum geht, eine Wirtschaftskrise abzuwenden. Auch die Grünen verweisen darauf, dass diese wirtschaftliche Notlage schon jetzt besteht. Sie befürworten ebenfalls ein Sondervermögen, auf Basis neuer Schulden: "Wir sind in einer Situation, in der wir einen Finanzierungsbedarf haben für Hilfsprogramme, was deutlich hinaus geht über das, was im Haushalt integrieren können," sagt der haushaltspolitische Sprecher der Grünen, Olaf Müller.

"Da kann ich nur an alle Parteien im Landtag appellieren, keinen draußen im Regen stehen zu lassen, mit dem Hinweis darauf, Kreditaufnahme gehe nicht. Das ist blauäugig, so wird das nicht funktionieren." Müller verweist auf Schleswig-Holstein. Dort habe eine Landesregierung aus CDU und Grünen ein Hilfspaket aufgestellt mit einem Volumen von fast einer dreiviertel Milliarde Euro. Das sei eine Messlatte, mit der man arbeiten könne, so der Grünen-Politiker.

Astrid Rothe-Beinlich Bündnis 90/Die Grünen und Olaf Müller Bündnis 90/Die Grünen während der 9. Plenarsitzung im Thüringer Landtag am 5. März 2020.
Astrid Rothe-Beinlich und Olaf Müller von den Grünen: Die wirtschaftliche Notlage besteht schon jetzt. Bildrechte: imago images/Jacob Schröter

Sondervermögen Thema im Landtag

Linke und Grüne wollen das Sondervermögen bei den anstehenden Haushaltsberatungen zum Thema machen. Allerdings: beim Koalitionspartner SPD stößt das Vorhaben auf wenig Gegenliebe. SPD-Finanzministerin Heike Taubert lehnt die Aufnahme neuer Kredite ab, auch, weil die sich abzeichnende Wirtschaftskrise Folgen hat für die Steuereinnahmen und damit auch für die kommenden Haushalte.

Bei ihrer Rede zur Einbringung des Haushaltes 2023 im Landtag machte Taubert klar: "Wir haben das letzte Sondervermögen für die Corona-Krise sehr schnell erzeugt. Aber ein Sondervermögen ohne Not und vor allem mit Ausblick auf sich über Jahre verändernde Haushalte in die Diskussion zu bringen, das sollten wir nicht tun."

Taubert verwies darauf, dass das Land noch bis 2029 braucht, um die Kredite, die für das Corona-Sondervermögen aufgenommen wurden, wieder abzuzahlen. Hilfsprogramme sind laut Taubert auch innerhalb des regulären 2023er-Etats möglich. Es sei nicht nötig, dafür ein Sondervermögen aufzulegen. Ähnlich äußerte sich Janine Merz, haushaltspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion. Ihren Angaben nach gibt es bereits bestehende Instrumente, um zum Beispiel Unternehmen zu helfen, wie etwa ein Landesbürgschaftsprogramm.

Stimmen Teile der Opposition für ein Sondervermögen?

Unklar ist, ob es Rot-Rot-Grün schafft, sich beim Thema Sondervermögen zu einigen. Die Minderheitsregierung bräuchte ohnehin mindestens vier Stimmen von der Opposition, um ein solches Sondervermögen zu beschließen. Die CDU-Fraktion reagiert allerdings zurückhaltend. Sie verweist auf den von ihr vorgeschlagenen Energiesicherungsfonds, der sich aus Steuermehreinnahmen speisen soll.

Laut Fraktionschef Mario Voigt wird sich die CDU zwar die Vorschläge von Linken und Grünen in Ruhe anschauen: "Wir fordern jedoch weiter, dass ein dringend notwendiger Energie-Sicherungsfonds zur Finanzierung von Bürgschaftsprogrammen, Liquiditätshilfen für den Mittelstand und einem Rettungsschirm für kommunale Unternehmen im Haushalt abgebildet und nicht in irgendwelche Sondervermögen ausgelagert wird." Das heißt: Die CDU lehnt eine Kreditaufnahme ab.

FDP und AfD skeptisch

Auch die FDP fordert zwar Hilfen für kleine und mittelständische Firmen in Höhe von mindestens 200 Millionen Euro. Nach Angaben der Freien Demokraten soll dieser Schutzschirm aber aus den Rücklagen des Landes finanziert werden.

Die AfD sieht Sondervermögen grundsätzlich skeptisch, diese seien zu wenig transparent. Der Parlamentarische Geschäftsführer, Torben Braga, sagte, die Fraktion werde zwar darüber noch intensiv diskutieren. Er bezweifle aber, dass die sich die Bedenken beseitigen ließen.

Torben Braga (AfD)
Torben Braga (AfD) bezweifelt, dass sich die Bedenken beseitigen lassen. Bildrechte: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Martin Schutt

Zudem sind laut Braga Linke und Grüne selbst verantwortlich für die jetzt zu Tage tretende Energiekrise. Es sei scheinheilig, die Folgen dieser Politik jetzt mit Sondervermögen ausgleichen zu wollen.

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MDR (sar)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 11. September 2022 | 22:00 Uhr

25 Kommentare

martin am 13.09.2022

Das wir uns aufgrund "ideologiegetriebenem Handeln" in der aktuellen Energiekrise befinden, ist in der Tat richtig. Da hätten wir zunächst die Ideologie von "Wandel durch Handel" gefolgt und begleitet von der Ideologie der Profitmaximierung, die den notwendigen Umbau unserer Stromerzeugung faktisch blockiert haben. Und dazu noch die imperialistische Ideologie aus dem Kreml.

martin am 12.09.2022

@gef77: Wenn Sie nur schuldenfinanzierte Sondervermögen kennen, mag das ja durchaus Ihre Wahrnehmung sein. Unsinn ist meine Aussage aber deshalb noch lange nicht. Sie dürfen sie aber gern für Unsinn halten, wenn Sie damit zufriedener sind.

martin am 12.09.2022

@gucker: Es mag sein, dass jemand es als Beleidigung empfindet, wenn ich meine abweichende Meinung äußere. Es mag auch sein, dass jemand mir Ahnungslosigkeit unterstellt, wenn ich meine abweichende Meinung äußere.

Rein thermodynamisch betrachtet haben Sie natürlich völlig recht: Es ist genug Energie vorhanden. Es geht hier jedoch um die Kosten für die real nutzbare. Dass die von ge77 wiederholte Ursachenzuweisung von bestimmten politischen Kreisen propagiert wird, macht sie nicht automatisch wahr.

Übrigens: Ein AKW mit Elementen am Ende ihrer Lebensdauer (denn sie waren auf Produktionsende 31.12.2022 ausgelegt) kann man nicht einfach so weiterlaufen lassen. Wenn im Auto der Sprit zu neige geht, kann man auch nicht einfach beschliessen, dass man aber lieber weiterfahren will. Und das Betanken eines AKW dauert etwas länger als der Boxenstop an der Tanke.

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