Nachrichten & Themen
Mediathek & TV
Audio & Radio
SachsenSachsen-AnhaltThüringenDeutschlandWeltLeben

Wasser, Mehl und LiebeKulinarischer Grenzverkehr - Das Café Fiedler am Rennsteig

18. Dezember 2020, 05:00 Uhr

Diesmal stellen wir in unserer Bäckerserie einen Handwerksbetrieb vor, der ganz knapp auf der bayerisch-thüringischen Grenze liegt: Das Café Fiedler in Steinbach am Wald. Seit 1927 steht es für traditionelles Bäcker- und Konditorhandwerk. Mit seiner Lage ist es ein Anlaufpunkt für Wanderer, es erfreut sich aber auch bei Kuchen- und Tortenliebhabern im Umland großer Beliebtheit.

von Andreas Kehrer

Um das vorweg zu nehmen: Formal gesehen ist Steinbach am Wald eine bayerische Gemeinde und das Café Fiedler keine "echte" Thüringer Bäckerei. Von der heutigen Thüringer Landesgrenze trennen Steinbach am Wald etwa fünf Kilometer.

Historisch betrachtet markierte aber der Rennsteig im Mittelalter die Grenze zwischen dem Herzogtum Franken und der Landgrafschaft Thüringen. Und weil sich das Café Fiedler fünf Meter nördlich des Rennsteigs befindet, liegt es - historisch betrachtet - denkbar knapp in Thüringen.

Die besten Rezepte aus drei Kulturkreisen

Solche Spitzfindigkeiten erübrigen sich jedoch beim Blick in die Auslage des Cafés, in dem sich viele Thüringer Spezialitäten finden. Die Familie Hildebrandt, ehemals Fiedler, bietet hier den klassischen Thüringer Hefekuchen, Thüringer Mohnkuchen mit Grießpudding und jetzt im Winter auch Rennsteiglebkuchen und Rennsteigstollen nach hauseigenem Rezept an. Ganz zu schweigen von dem mit Kirschen, Mohn und Käse gefüllten Rennsteig- oder "Runstzeit"-Kuchen, den das Café im Sommer speziell für die Wanderer bäckt.

Neben diesem Thüringer Einschlag mischen sich aber auch viele fränkische und ein paar bayerische Spezialitäten in das Angebot. Zur Fastenzeit gibt es hier die traditionellen fränkischen Seelenspitzen, außerdem Zwetschgendatschi (Streuselkuchen mit Pflaumen) und fast das ganze Jahr über fränkische Streuble (ausgezogener Krapfenteig in Zucker). Und natürlich fehlen auch die obligatorischen bayerischen "Brezn" nicht. Im Café Fiedler kommen also die besten Rezepte aus drei Kulturkreisen zusammen.

Familienbetrieb in vierter Generation

Einige dieser Rezepte stammen noch von Ludwig Fiedler, der das Unternehmen 1927 als Backstube in einem Lebensmittelladen gründete. In den 1950er-Jahren trat Sohn Arno die Nachfolge an, ehe Edda und Gerhard Fiedler in den 1960er-Jahren das Ruder - bzw. den Rührstab - übernahmen und das Familienunternehmen in die dritte Generation führten.

In dieser Zeit wuchs das Familienunternehmen kräftig: 1977 errichteten die Fiedlers das Hotel Rennsteig in Steinbach und ein Jahr später bauten sie an die Backstube ein Café an. Seither blieb es beim Namen "Café Fiedler", obwohl Tochter Ute den Namen ihres Mannes Peter angenommen hat: Hildebrandt.

Damit die Tradition weiterlebt, hat mein Vater immer gesagt: Ute, du darfst entweder einen Bäcker oder einen Koch heiraten. Und dann habe ich mir gleich einen gesucht, der beides kann.

Ute Hildebrandt, heutige Geschäftsführerin des Café Fiedler

Heute führen Ute und Peter Hildebrandt zusammen das Café. Dabei sind die Rollen klar verteilt: Koch- und Bäckermeister Peter hält die Backstube am Laufen, Ute kümmert sich um das Hotel und die Buchhaltung der Bäckerei, obwohl auch sie gelernte Konditorin ist. Aktuell befindet sich der Betrieb in der vierten Familiengeneration und beinahe wäre es die letzte gewesen.

Konkurrenz von der Industrie

Als vor einigen Jahren nämlich ein Edeka-Markt samt Backstube in Steinbach am Wald eröffnete, verlor das Café einen Großteil seiner Kundschaft. Mindestens 25 Prozent machte das Café damals weniger Umsatz, erklärt Peter Hildebrandt. Ein Verlust, der für einen Familienbetrieb existenzgefährdend sein kann.

Schlimmer wog damals aber, dass die Familie keine Gesellen fand, die in der Backstube helfen konnten. Vater Gerhard schaffte im Alter von über 80 Jahren zwar noch allerlei weg, aber mit der Doppelbelastung durch das Hotel und Café, gelangte das Ehepaar Hildebrandt an seine Grenzen.

Da litt auch die Qualität unserer Backwerke, weil es mit dem Hotel und der Backstube einfach zu viel war. Ich habe damals fast nie mehr als drei Stunden geschlafen, weil ich abends im Hotel kochte und morgens in der Bäckerei den Teig ausrollte.

Peter Hildebrandt

Nur mit vereinten Kräften schaffte es die Familie damals den Betrieb zu behalten; Tochter Caroline packte im Hotel mit an und selbst Enkel Pascal - der heute 14 Jahre alt ist und das Café in die sechste Generation führen könnte - half beim Plätzchen backen. Schließlich gelang es der Familie, einen Koch fürs Hotel und zwei neue Gesellen für die Backstube zu finden. Heute arbeitet in dem Familienbetrieb auch wieder eine Auszubildende, die Freude an ihrem Beruf hat.

Die Konkurrenz der Handelskette ist zwar noch da, wiegt aber längst nicht mehr so schwer. Das Familienunternehmen Fiedler/Hildebrandt setzt heute mehr denn je auf Qualität und hat sich damit erfolgreich in Steinbach behauptet. Vergangenes Jahr investierte die Familie sogar in einen neuen Ofen und will das Unternehmen gerne noch lange fortführen.

Das Handwerk kann nur durch Qualität bestehen und dann sind die Leute auch bereit, mehr dafür zu bezahlen. Nur wo Gutes reinkommt, kommt auch Gutes raus. Und wenn es heißt, ich muss Butter verarbeiten, dann kann ich keine Margarine nehmen. Aber die Industrie kann das nicht, sonst könnten sie die Preise nicht halten. Also muss die Industrie immer strecken.

Peter Hildebrandt

Kulinarischer Grenzverkehr am Rennsteig

Das es heute wieder so gut läuft, verdankt die Familie seinen zahlreichen Stammkunden. "Ganz Steinbach kauft bei uns ein", sagt Ute Hildebrandt stolz. Hinzu kämen die Arbeiter aus den umliegenden Glashütten und natürlich auch viele Thüringer, die zu den treuesten Kunden gehören. Eine Runde älterer Damen aus Sonneberg trifft sich hier zum Beispiel fast jeden Sonntag auf Kaffee und Kuchen.

Ein anderer Kunde käme sogar alle zwei Wochen mit dem Zug aus Erfurt, um Nussbrote zu kaufen, erzählt die 79-jährige Edda Fiedler, die bis heute an der Ladentheke steht. Überhaupt habe sich seit der Grenzöffnung ein besonderes Verhältnis zu Thüringen entwickelt. 

Ich weiß noch, am Tag nach dem Mauerfall, standen die Thüringer schon früh um 4 Uhr vor dem Café und wir haben extra eher geöffnet, weil wir uns so gefreut haben.

Edda Fiedler

Die enge Verbundenheit nach Thüringen hat auch mit dem Rennsteig zu tun. Längst ist der Grenzweg, der einst Thüringer und Franken voneinander trennte, zu einem Band der Freundschaft geworden. Nachdem am 28. April 1990 der Rennsteig mit einer ersten deutsch-deutschen Rennsteigwanderung von Brennersgrün über Steinbach am Wald nach Spechtsbrunnen wiedervereint wurde, haben auch die Hildebrandts schnell Kontakte entlang des weißen "R" geknüpft. "Wir kennen fast alle Gastronomen am Rennsteig", sagt Peter Hildebrandt, "weil wir durch das Rennsteigwandern natürlich alle zusammenarbeiten".

Daher ist es fast selbstverständlich, dass sich Rennsteigwanderer untereinander das Café Fiedler weiterempfehlen. Auch der Rennsteigverein macht auf seiner Pfingst-Runst jedes Jahr in Steinbach Halt. Zum einen natürlich, weil der Verein hier im Ort 1896 gegründet wurde, zum anderen wegen des vorzüglichen Kuchens.

Und so ist das Café Fiedler fast schon eine Tradition für Rennsteigwanderer geworden. In Hörschel nimmt der Wanderer einen Stein aus der Werra und trägt ihn bis zur Selbitz in Blankenstein - und zwischendrin, bei Kilometer 139,5, gibt es Kuchen bei Fiedler. Na dann, guten Appetit und "gut Runst!"

Quelle: MDR THÜRINGEN

Dieses Thema im Programm:MDR THÜRINGEN - Das Radio | Johannes und der Morgenhahn | 18. Dezember 2020 | 05:05 Uhr

Kommentare

Laden ...
Alles anzeigen
Alles anzeigen