
Trauerkultur Mit dem grünen Leichenwagen: Wie ein Ilmenauer das Bestatten verändern will
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10. Mai 2025, 15:34 Uhr
Das Bestatten ist oft ein traditionelles Geschäft: schwarz, grau und traurig. Jeremy Reise hat in diesem klassischen System sein Handwerk erlernt, aber kam mit den Arbeitsweisen irgendwann nicht mehr zurecht. Anfang des Jahres hat er sich als Bestatter in Ilmenau selbstständig gemacht und möchte jetzt vieles anders machen als seine Kollegen.
Ein grün lackierter Kleinbus fährt um die Ecke. Es ist Jeremy Reises Leichenwagen. Das Fahrzeug glänzt in der Sonne. Reise parkt rückwärts ein, zieht die Handbremse und steigt aus. "Einer hat mal gedacht, wir sind von der Baumschule", sagt der 25-Jährige und grinst. Im Kofferraum seines Leichenwagens liegt der grüne Sarg, mit dem er die Verstorbenen abholt. Daneben steht noch eine leere Urne mit aufgemalten Bäumen. Der Sarg bleibt heute im Auto. Die Urne greift Reise und klemmt das Gefäß unter seine Achsel. Die Kofferraumklappe knallt zu.
Vom Fitnessökonom zum Bestatter
Dass der 25-Jährige Bestatter wird, war zuerst nicht abzusehen. Nach seinem Abitur ging er nach Baden-Württemberg und studierte Fitnessökonomie. Nach dem Abschluss begann er, in einem Fitnessstudio zu arbeiten - aber merkte, dass diese Arbeit nicht zu ihm passte.
Ein Freund, der Bestatter ist, sprach ihn damals an, ob er nicht Lust hätte, eine Weiterbildung zum Bestatter zu beginnen. Jeremy Reise entschied sich für diesen Weg. 2023 kehrte er nach fünf Jahren in seine Heimat Ilmenau zurück und arbeitete zwei Jahre bei einem Bestatter. Anfang dieses Jahres ging er den Weg in die Selbstständigkeit.
Einige Kollegen lachen mich noch aus. Wenn man aber ein Dankeschön von den Trauernden bekommt, bedeutet mir das viel mehr.
Reise läuft mit der Urne Richtung Ufer. Dort hat sein Mitarbeiter und Freund Maurice Kryzianovski schon die hölzernen Kerzenständer und das grüne Tuch hingelegt. Die beiden kennen sich schon seit der Geburt. "Eigentlich waren wir nur im Kindergarten getrennt", sagt Kryzianovski. "Da meinte der Jeremy, woanders hingehen zu müssen." Die beiden jungen Männer breiten das Tuch zusammen aus und Reise zupft noch die Ränder gerade.
Kryzianovski reicht Reise ein hölzernes Gestell. Darauf befestigt der 25-Jährige dann den Kondolenzbaum: seine Variante des klassischen Kondolenzbuches. Statt auf Papier schreiben die Trauernden ihre Gedanken und Erinnerungen an die verstorbene Person auf ein hölzernes Blatt. Die grünen Blätter werden an einen hölzernen Baumstamm geklebt und dann eingerahmt. Stamm und Blätter ergeben am Ende einen Lebensbaum. Eine Erinnerung für die Hinterbliebenen. Reise stellt sich hin und schaut sich seine aufgebaute Lebensecke am Ufer an. "Hier könnte man auch mal eine Lebensfeier veranstalten", sagt er. Sein Blick schweift über den See.
Lebensfeier inspiriert vom Tag der Toten in Mexiko
Statt einer klassischen Trauerfeier gestaltet Jeremy eine Lebensfeier für die Hinterbliebenen. "Die Feier soll an Orten stattfinden, wo man eine Verbindung zum Verstorbenen hat", sagt Reise. Das Gedenken findet dabei nicht in einer Trauerhalle statt, sondern zum Beispiel in der Natur oder einer Gaststätte. Sich erinnern, bei Kaffee und Kuchen.
Zu den Lebensfeiern ließ sich Reise vom Tag der Toten in Mexiko inspirieren. Dort gedenkt das ganze Land Verstorbenen traditionell mit einem großen Volksfest. Diese fröhliche Art wünscht er sich auch für seine Bestattungen. "Die Trauerkultur in Deutschland ist viel grauer als in anderen Ländern", sagt der Ilmenauer.
Anfang des Jahres eigenes Bestattungsunternehmen gegründet
Bei seinen Lebensfeiern sollen die Hinterbliebenen miteinander sprechen und auch lachen können. Er möchte den Menschen Druck nehmen und Zeit zum Trauern geben. Seiner Erfahrung nach ist dafür bei den meisten anderen Bestattern kein Platz. "Manchmal ist das wie Fließbandarbeit", sagt Jeremy Reise.
Das unpersönliche Arbeiten mit den Hinterbliebenen passte nicht zu seinem Verständnis vom Trauern. Deshalb kündigte er im September 2024 bei seinem alten Arbeitgeber und gründete Anfang dieses Jahres sein eigenes Bestattungsunternehmen, er ist damit einer der jüngsten Selbstständigen seiner Branche in Thüringen.
Mittlerweile steht der Altar für die Lebensfeier. In Zukunft möchte Reise mit dem Besitzer des Grundstücks klären, ob er hier am See eine Lebensfeier veranstalten kann. Bisher hat er dieses Ritual vor allem in Gasthäusern abgehalten. Unter anderem auch die Lebensfeier von Familie Rausch. Die Rauschs waren eine der ersten Familien, die sich für Reise als Bestatter entschieden haben.
Wir werden auch mit Herrn Reise unseren letzten Weg gehen. Alle Mann!
Heute sind die beiden nochmal zu einer Nachbesprechung am großen Teich in Ilmenau gekommen. Kristin und Jörg Rausch haben im Februar einen engen Verwandten verloren, Reise wurde ihnen von einem Bekannten empfohlen. "Wir haben es nicht so mit der Gottesfürchtigkeit", sagt Jörg Rausch. "Da passt uns dieses nicht-kirchliche Naturkonzept so richtig gut in den Kram."
Ihren Verwandten ließ das Ehepaar im Friedwald Frankenhain von Reise bestatten. Die Rauschs sind glücklich, dass sie auf den jungen Bestatter gestoßen sind, und können sich als Familie nicht mehr vorstellen, einmal gewöhnlich bestattet zu werden. "Wir werden auch mit Herrn Reise unseren letzten Weg gehen", sagt Jörg Rausch. "Alle Mann!"
Kristin Rausch blättert in einem schmalen Buch. Jörg Rausch und Jeremy Reise schauen ihr dabei zu. Die Drei schauen sich ein Erinnerungsbuch der Bestattung an. Eine intensive Vor- und Nachbereitung ist für Reise wichtig: "Die Menschen wünschen sich Zeit und Individualität." Den Hinterbliebenen bietet er auch kreative Arten der Trauerbewältigung an.
Mit Naturkonzept und Leichtigkeit überzeugt
Zum Beispiel können die Trauernden die Urne des Verstorbenen selbst bemalen. Die kreativen Methoden, das Naturkonzept und Reises jugendliche Leichtigkeit haben die Rauschs abgeholt. "Ein paar Tränen haben wir verdrückt, aber der Gang war dann gar nicht so schwer, wie man es sich vorgestellt hat", erinnert sich Jörg Rausch an die Lebensfeier.
Fünf Monate sind vergangen, seitdem sich Jeremy Reise als Bestatter selbstständig gemacht hat. Mit seinem außergewöhnlichen Konzept ist er ein Risiko eingegangen. Die Bestatter-Konkurrenz reagiert nach seinen Angaben mit Respekt, aber auch Skepsis auf ihn, sein Konzept und seinen grünen Leichenwagen. "Einige Kollegen lachen mich noch aus", sagt der junge Bestatter. "Wenn man aber ein Dankeschön von den Trauernden bekommt, bedeutet mir das viel mehr." Jeremy Reise möchte seinen Weg weitergehen und seine Branche in Zukunft nachhaltig verändern.
MDR (co)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Johannes und der Morgenhahn | 07. Mai 2025 | 05:40 Uhr
K_B vor 3 Tagen
Finde ich klasse! Auch wenn es immer traurig ist, jemanden zu verlieren, warum sollte man bei dessen Beerdigung nicht sein Leben feiern?! Das Friedwald - Konzept zB. hat mir persönlich schon immer zugesagt und dann verbunden mit dieser Art der Bestattung finde ich das einfach perfekt. Die letzte Beerdigung bei der ich war, war ohne Trauerredner, da hat das ein Familienmitglied übernommen und es war die beste Beerdigung überhaupt (wenn man das mal so nennen darf), denn wir haben zwar geweint aber eben auch viel gelacht, denn es wurden sehr viele witzige Anekdoten aus dem Leben der Person in der Rede verbaut und wir haben im Grunde ihr Leben gefeiert, das fand ich sehr schön. Das Konzept im Einklang mit der Natur und einem Lebensbaum finde ich da sehr gelungen und ich wünsche dem jungen Mann viel Erfolg!
Gucker vor 3 Tagen
Ach, das ist doch mal eine schöne Sache! Und wem es gefällt, der soll seine Trauerfeier doch so gestalten lassen. Hauptsache, es ist würdevoll und allen Trauernden fällt der Abschied leichter. Ich selber wäre da zwar oldschool - also eher die schwarze Pferdekutsche usw. Aber das muss ja nicht jedem gefallen ... wie gesagt, wenn es würdevoll und respektvoll umgesetzt wird, dann kann man Hr, Reise nur viel Erfolg wünschen. Und letztendlich wird das Interesse der Kundschaft untrüglich zeigen, ob es eine gute Idee ist. Ich finde es auf jeden Fall sehr schön.
MAENNLEiN-VON-DiESER-WELT vor 3 Tagen
In Lindgrün das Leben feiern — schöööön !
… auch wenn ich persönlich die klassisch-schwarze Nobel-Limousine mit oder ohne Stern ( zu Lebenszeiten habe ich mir nicht mal n Pferdefuhrwerk oder
einen Drahtesel leisten können ) für meinen Abschied aus diesem irdischen
Jammertal bevorzuge und das Kreuz darf eben ( für mich ) auch nicht fehlen
auf dem Stein, auf dem Familiengrab, dort, unter der Buche, auf jenem
Friedhof, gleich neben der Feuerwehr, in dem Ort, in dem mir
alles genommen worden ist, bis auf
das Leben selbst …
„Letzte Reise“ — bekommt hier ein ganz anderes Bild .
Viel Erfolg und gute Geschäfte !