"Nasse Post" Personalmangel und hohe Energiekosten: Ilmenauer Traditions-Gasthaus macht dicht

09. Dezember 2022, 08:14 Uhr

Seit Monaten schuften Steffen Wilhelm und sein Team, um das Gasthaus "Zur Post" in Ilmenau über Wasser zu halten. Doch gestiegene Energiekosten und der Personalmangel zwingen den Betrieb, zum Jahresende dichtzumachen. Laut Thüringer Gaststättenverband fürchtet eine Mehrheit der Betriebe um seine Existenz.

Schon vor mehr als 200 Jahren sei das Haus als Wirtshaus erbaut worden, erzählt Steffen Wilhelm. Das Gasthaus "Zur Post" befindet sich mitten in der Ilmenauer Innenstadt. Früher habe sein Vater das Gasthaus geführt, dann seine Stiefschwester und seit fast einem Jahr ist er selbst Inhaber. Erfahrungen in der Gastronomie brachte Wilhelm - der eigentlich Versicherungsmakler ist - schon mit, denn er half jahrelang seinem Vater aus und war dort angestellt.

Das Gasthaus "Nasse Post", wie es Gäste liebevoll auch nennen, im Januar zu übernehmen, war für den 53-Jährigen eine Hals-über-Kopf-Entscheidung. Schon damals sei die Personaldecke dünn gewesen, sagt Wilhelm. Mit dem hohen Anstieg der Einkaufs- und Energiepreise habe er allerdings nicht gerechnet.

Die Köche sind abgewandert und haben festgestellt, dass sie woanders auch ihr Geld verdienen können - vielleicht sogar einfacher.

Steffen Wilhelm Gastronom in Ilmenau

Schnell wurde ihm klar, dass es ohne ausreichend Personal nicht funktioniert. Alle Bemühungen, mehr Köche, Kellner oder Küchenhelfer einzustellen, seien gescheitert, erinnert sich Wilhelm. Viele Angestellte hätten sich während der Corona-Pandemie einen anderen Job gesucht: "Die Köche sind abgewandert, haben festgestellt, dass sie woanders auch ihr Geld verdienen können, vielleicht sogar einfacher und zu besseren Arbeitszeiten."

Schwere Entscheidung im April

Als sich die Corona-Situation etwas verbessert hatte, sei das Personal nicht wieder zurückgekommen. Vor ein paar Jahren standen noch fünf bis sechs Köche in der Küche - heute sind es nur noch zwei. Im April dann bereits die Entscheidung: die Schließung zum Jahresende.

Aufgrund des fehlenden Personals passte Wilhelm zunächst die Öffnungszeiten an. Um den Mangel auszugleichen, sind Wilhelm und sein Frau Corinna Wilhelm-Heller seitdem beinahe täglich im Einsatz. "Mein Mann und ich haben letzte Woche Doppelschichten gemacht", sagt die gelernte Köchin. Auch auf Urlaub haben die beiden in diesem Jahr verzichtet. Auf Dauer sei das aber keine Lösung. Deshalb sei die Schließung - so schwer es den beiden fällt, es auszusprechen - auch eine Erleichterung.

Hohe Lebensmittelpreise sind spürbar

Die Nahrungsmittel sind in den vergangenen Monaten deutlich teurer geworden. "Bei einigen Waren haben sich die Preise verdoppelt. Mehl zum Beispiel", beschreibt Wilhelm. "Eine Tüte hat früher 49 Cent gekostet, jetzt eben 99 Cent. Bloß verschenken kann keiner was, man will ja auch Qualität liefern und die hat ihren Preis."

Besonders beim Öl sei die Entwicklung der hohen Lebensmittelpreise auch erkennbar. Vor der Corona-Pandemie habe der Preis für einen Liter Speiseöl bei unter einem Euro gelegen. Für zehn Liter Rapsöl musste Wilhelm in diesem Jahr zeitweise bis zu 30 Euro bezahlen: "Momentan sind wir bei 19 Euro netto, normales Rapsöl, einfaches Speiseöl was täglich literweise verbraucht wird."

Die Reißleine gezogen

Vor zwei Wochen hat Wilhelm dann den Brief von den Stadtwerken erhalten. Fast um das Fünffache soll der Strompreis im nächsten Jahr für Gewerbe im Vergleich zu diesem Jahr steigen, sagt Wilhelm. Der Gaspreis etwa um das Dreifache.

Demnach wären ab Januar monatliche Abschlagszahlungen von mehr als 8.500 Euro fällig. Bisher waren es für Strom und Gas etwa 2.400 Euro. Diese Erhöhung könne das Gasthaus nicht stemmen. Da helfe auch nicht die geplante Preisdeckelung der Bundesregierung, ist Wilhelm überzeugt.

Dehoga: 70 Prozent der Thüringer Betriebe fürchten um Existenz

Derzeit gibt es viele gastgewerbliche Unternehmer, die von Existenzängsten geplagt sind. Laut dem Thüringer Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga), haben im Herbst gut 70 Prozent der Befragten angegeben, dass sie wegen der hohen Energiekosten um die Existenz ihrer Betriebe fürchten.

Der anhaltende Personalmangel in der Gastronomie nach der Pandemie, hohe Lebensmittelkosten und der massive Anstieg der Energiepreise stellt generell Gaststättenbetreiber vor große Herausforderungen.

Ich selber habe danach noch keine Arbeit und muss mich erst einmal umschauen.

Corinna Wilhelm-Heller Köchin im Gasthaus

Steffen Wilhelm wird sich nach der Schließung des Gasthauses wieder gänzlich auf seinen Beruf als Versicherungsmakler konzentrieren. Auch für einige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist die berufliche Zukunft bereits gesichert. Jedoch nicht bei allen - und das betrifft auch Wilhelms Frau Corinna: "Ich selber habe danach noch keine Arbeit. Ich muss erst einmal sehen, dass ich einen neuen Job bekomme."

Auch die Gäste in Ilmenau müssen sich dann auf eine Veränderung einstellen und sich im neuen Jahr für ihre Stammrunden einen anderen Ort zum Treffen suchen. Am 30. Dezember öffnet die "Nasse Post" zum letzten Mal die Türen.

MDR (dst)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Johannes und der Morgenhahn | 30. November 2022 | 06:40 Uhr

15 Kommentare

Reuter4774 am 10.12.2022

Da kommen noch mehr geschlossene Betriebe. Aber als ( gute?) Köchin findet man eigentlich sofort Arbeit? Da widerspricht sich die Dame selbst. Werden händeringend gesucht.

Reuter4774 am 10.12.2022

PP
Die Kosten sind tatsächlich gestiegen, Thema Inflation. Man sollte sich schon täglich informieren. Und spätestens ab 2023 bleibt die Kundschaft tatsächlich aus, dann kommen nämlich die Heizkosten- und Stromabrechnungen auch privat an, inklusive deutlich höherer Abschläge. Leben Sie noch bei Mutti, das Sie von Finanzen und Preisentwicklung nichts mitbekommen haben?

hansfriederleistner am 10.12.2022

Sie schreiben von Mindestlohn. Davon steht kein Wort in dem Artikel. Aber das macht sich ja gut. Bei dem Personalmangel in der Gastronomie bekommen sie keine Fachkraft zum Mindestlohn.

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