Städtebau Kaltennordheim: Noch ein neuer, toter Marktplatz?

16. Juni 2022, 18:16 Uhr

Die kleine Rhönstadt Kaltennordheim kann sich über einen neugestalteten Marktplatz freuen. Diese Woche war feierliche Einweihung. Die Sanierung hat über eine Million Euro gekostet. Lohnt sich eine solche Investition in Zeiten, in denen die Innenstädte mehr und mehr verwaisen? MDR THÜRINGEN-Reporterin Marlene Drexler sagt: ja.

Mittwochvormittag kurz vor 11 Uhr, strahlender Sonnenschein. Bis auf eine Hand voll Spatzen wirkt der "Neumarkt" in Kaltennordheim hinter dem Rathaus wie leergefegt. Zwar parken ein paar Autos am Rande des gepflasterten Ovals, aber Menschen sind weit und breit nicht in Sicht. Ich schlendere über den Platz. "Guten Tag". Eine Männerstimme. Ach, da ist ja doch jemand. Ein lächelndes Gesicht guckt aus dem Fahrerhäuschen eines Lieferwagens, auf dem "Konditorei Neubauer" steht. Auf der Suche nach dem dazugehörigen Bäcker, der beliefert werden könnte, laufe ich mehrmals an der Eingangstür vorbei. Die Jalousien sind unten. Mittwochs ist nur von 6 bis 10 Uhr geöffnet.

Bäcker, Eisdiele und Gaststätte sind geblieben

Auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes identifiziere ich eine Eisdiele - vor der jetzt eine ältere Frau steht. "Ich wollte mal gucken, was hier so los ist." Erika Gilbert wohnt im Nachbarort Kaltenwestheim. Vor einigen Monaten hat dort das letzte Lebensmittelgeschäft für immer geschlossen. Seitdem müssen die Kaltenwestheimer zum Einkaufen ins vier Kilometer entfernte Kaltennordheim kommen. Hier gibt es mehrere Filialen großer Supermarktketten. Allein deshalb ist Erika Gilbert regelmäßig vor Ort und weiß zu berichten, dass in der Eisdiele im Sommer eigentlich immer viel los ist.

Neben dem Bäcker und dem Eiscafé gibt es am Neumarkt noch eine Gaststätte und einen Imbiss. Bis vor kurzem sei hier immerhin auch noch ein Schreibwarengeschäft betrieben worden, erzählt Erika Gilbert. "Aber die Inhaber haben keinen Nachfolger gefunden". Im Fall der Eisdiele konnte ein ähnliches Schicksal abgewendet werden. Diese Entwicklungen haben nichts speziell mit Kaltennordheim zu tun. Abseits der großen Städte kämpft der Einzelhandel überall und nicht erst seit der Coronakrise ums Überleben. Gleichzeitig erscheint es unwahrscheinlich, dass sich der Trend wieder umkehren ließe. Aber müssen Innenstädte daher verwaisen? Nein, es braucht einfach andere Ideen, einen Ortskern oder Marktplatz zu einem Verweilort zu machen.

Was braucht es für einen lebendigen Marktplatz?

Kaltennordheim hat den Weg gewählt, dem Neumarkt eine eigenständige und von Geschäften unabhängige Aufenthaltsqualität zu verleihen. Denn: vorher bestand der Platz vor allem aus Parkflächen. Hier verweilte niemand freiwillig. Jetzt gibt es einen großen freien Platz mit zwei neuen Brunnen, deren Wasser in kleinen Rinnen abfließt. Das schafft Atmosphäre und für Kinder eine Spielmöglichkeit.

Dazu kommen neue Spielgeräte und für die Eltern und alle anderen Sitzbänke. Auch werden Fahrradfahrer auf dem Feldatalradweg jetzt über den Neumarkt geschickt. Neben den überirdischen Veränderungen wurden auch die Wasser- und Abwasserleitungen unter dem Markt erneuert. Denn zusätzlich zu dem Wochenmarkt findet in Kaltennordheim einmal im Jahr zu Pfingsten der traditionelle Heiratsmarkt statt. Die zahlreichen Stände und Kirmes-Attraktionen locken jährlich tausende Besucher an. Im Zuge der Kanalarbeiten wurden die ehemaligen Betonplatten auf dem Platz entfernt und durch gemustertes Pflaster aus Granit- und Basaltsteinen ersetzt.

Neumarkt als eines von mehreren Großprojekten

Bürgermeister Erik Thürmer hat sich seit 2014 darum gekümmert, dass sich Kaltennordheim als sogenannter "EFRE-Förderschwerpunkt" qualifiziert, um EU-Fördermittel aus dem "Europäischen Fonds für regionale Entwicklung" beantragen zu können. Im Vergleich zu Bundesförderprogrammen ist der erforderliche Eigenanteil dabei deutlich geringer. Kaltennordheim hat auf diesem Wege mehrere millionenschwere Großprojekte bewilligt bekommen. So kann neben dem Neumarkt auch die angrenzende Straße "Mühlwehr" und das Schloss dank EU-Geldern grundhaft saniert werden. Der Bau aus dem Jahr 1754 soll künftig als Mischung aus Geschäfts-, Amts- und Wirtshaus genutzt werden. In das Erdgeschoss soll das Standesamt einziehen, die obere Etage wird zu einer Arztpraxis umgebaut. Das bestehende Schlosscafé und der Pub behalten ihre Räumlichkeiten, genauso wie das Heimatmuseum.

Bürgermeister: Neuer Marktplatz wird schon rege genutzt

Laut Thürmer ist der neugestaltete Marktplatz schon gut angenommen worden. Wenn er abends aus dem Rathaus kommt, sehe er hier immer Menschen und Kinder, die an den Wasserrinnen spielen. "Vielleicht siedeln sich jetzt auch wieder neue Geschäfte an, wer weiß", so der Gedanke des gelernten Verwaltungswirtes.

Kurz bevor ich den Neumarkt in Kaltennordheim verlassen will, läuft ein Jugendlicher über den Platz. Gerade sei er auf dem Weg von der Schule nachhause, erzählt der 15-Jährige auf Nachfrage. Aber auch so sei er öfters hier: "Wenn ich mit meinen Freunden Mountainbike fahre, machen wir auf dem Platz Pause und essen Eis oder eine Pizza".

Auch wenn er an diesem Mittwochvormittag sehr verschlafen wirkt, am Ende bleibt der Eindruck: der Neumarkt in Kaltennordheim ist keinesfalls tot. Und ich wage sogar zu behaupten: dank der Umgestaltung hat er Zukunft.

MDR (mab)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Ramm am Nachmittag | 16. Juni 2022 | 17:00 Uhr

3 Kommentare

Moederfeist am 17.06.2022

Wir wohnen bei Aschaffenburg und besuchen immer wieder gerne mal ein paar Tage die Rhön. Versprochen: wir kommen noch diesen Sommer zum Marktplatz und essen ein Eis. Und vorher vielleicht auch noch ein Mittagessen, wenn sich was findet dort!

knarf2 am 17.06.2022

Solange die Großen die Kleinen
kaputt machen und Geiz geil ist
wird sich wohl kaum etwas zum Positiven ändern.Hinzu kommt
auch noch der geringe Verdienst in der Mitteldeutschen Bevölkerung!

knarf2 am 17.06.2022

Das zieht auch noch nach sich daß die jungen Leute wegen Jobsuche ihre angestammte Heimat verlassen.Und wer bleibt übrig? Natürlich die Alten!

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