Überlastung Warum das Helios-Klinikum in Meiningen Rettungswagen mit Notfällen abgewiesen hat

27. Oktober 2022, 09:00 Uhr

Wegen Überlastung geschlossen: 70 Corona-Patienten auf Station und dazu massenhaft kranke Mitarbeiter. Das Helios-Klinikum in Meiningen hat Mitte Oktober für einen Tag keine Krankenwagen mit Notfällen angenommen. Hat das etwas gebracht? Und passiert das künftig häufiger in Thüringen?

Isabelle Fleck
Bildrechte: MDR/Flo Hossi

Michael Walther fährt als Notarzt seit 30 Jahren im Landkreis Schmalkalden-Meiningen zu Rettungseinsätzen. Dass das Klinikum in Meiningen keine Notfallpatienten mehr aufnimmt, die er und seine Kollegen mit dem Krankenwagen bringen wollen, das hat er in 30 Jahren so noch nie erlebt. Einige Patienten und Angehörige auch nicht.

Normale Notfälle werden umgeleitet

Hätte er an dem Tag "schwere, instabile Fälle" im Rettungswagen gehabt, wäre er trotzdem in die Notaufnahme gefahren, sagt er. Aber alle Patienten, die "stabil und normal" waren, die nicht wiederbelebt werden mussten oder ein Polytrauma hatten - kurz: bei denen es vertretbar war, sie in ein anderes Krankenhaus zu fahren - kamen an diesem Tag in die umliegenden Krankenhäuser nach Schmalkalden, Suhl, Bad Salzungen und Bad Neustadt.

Doch reicht ein Tag Pause, um alles abarbeiten zu können und müssen sich Patienten in Meiningen und anderswo künftig darauf einstellen?

Das Helios Klinikum in Meiningen
Das Helios Klinikum in Meiningen hatte sich für einen Tag "abgemeldet". Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Nicht jeder Corona-Patient muss ins Krankenhaus

Walther ist der ärztliche Leiter der Rettungsleitstelle Schmalkalden-Meiningen und er hat an diesem Tag bis Mitternacht gearbeitet, um viele Patienten, die nicht zwingend länger im Krankenhaus bleiben mussten vom Krankenhaus in Meiningen wieder nach Hause zu fahren. Walther nennt es "das Krankenhaus wieder leer fahren", damit es wieder "aufnahmebereit" war. 70 Corona-Patienten seien zu dem Zeitpunkt auf verschiedenen Stationen gewesen - das sei "Wahnsinn".

Nur weil jemand zwei Striche auf dem Corona-Test hat und 38 Grad Temperatur, der muss ja nicht stationär ins Krankenhaus. Mit solchen stabilen Patienten legt man sich schnell die Klinik voll.

Dr. Michael Walther, Ärztlicher Leiter Rettungsleitstelle Schmalkalden-Meiningen

Wohin mit den Corona-Patienten?

Und noch eine andere Sache: Walther berichtet davon, dass Pflegeheime teilweise ihre infizierten Bewohner nicht wieder aufnehmen wollten, weil sie noch positiv aus dem Krankenhaus kamen. In diesen Fällen sei ein klärendes Gespräch nötig gewesen, so Walther, dass diese Menschen dort lebten und dort auch wieder aufgenommen werden müssten. Und es war ein erneuter Hinweis der Ärztekammer an die niedergelassenen Ärzte nötig, wer mit Corona überhaupt ins Krankenhaus gehört.

Blick in einen Rettungswagen
Der Krankenwagen konnte nicht jeden Patienten mitnehmen. Bildrechte: imago/imagebroker

Auch einige Angehörige hätten keinerlei Verständnis gehabt, dass der Rettungswagen an dem Tag nicht jeden ins Krankenhaus mitnehmen konnte, so Walther. Teilweise seien er und die Kollegen deshalb "aggressiv angegangen" worden.

Was passiert, wenn sich mehrere Kliniken gleichzeitig abmelden?

An diesem einen Tag also war es schwer, in Meiningen "Patienten loszuwerden". Wenn sich aber eine Klinik kurzzeitig bei der Rettungsleitstelle abmeldet, sind rundum noch andere Kliniken verfügbar. Nur gab es diese Abmeldungen in vergangener Zeit auch schon in den umliegenden Kliniken. Corona-Spitzen kommen überall mal vor. Walther erklärt: "Wenn sich einer abmeldet, geht es noch. Sind es mehrere gleichzeitig, wird es schwierig". Teilweise hätten zum Beispiel die benachbarten Kliniken in Hessen und Bayern auch keine Patienten mehr aus Thüringen aufgenommen.

Kliniken melden sich seit Corona häufiger bei Rettungsleitstelle ab

Vom Klinikverbund Regiomed mit Sitz in Coburg und Kliniken auch in Hildburghausen und Sonneberg heißt es zum Beispiel, dass sich das Abmelden von der Rettungsleitstelle durch Corona gehäuft habe. Vorher, so erklärt eine Sprecherin, sei das beispielsweise im benachbarten Coburg im Jahr vier bis fünf Mal vorgekommen - etwa, wenn nach einem schweren Autounfall viele Verletzte in die Notaufnahme kamen. Durch Corona sei das Abmelden "häufiger" vorgekommen, ohne konkrete Zahlen zu nennen.

Regiomed-Klinik in Sonneberg
Die Regiomed-Klinik in Sonneberg Bildrechte: REGIOMED-KLINIKEN GmbH

Hildburghausen und Sonneberg hätten etwa in der vergangenen Woche einen deutlichen Anstieg an Corona-Patienten gemeldet, eingeschränkte Kapazitäten auch - trotzdem konnten die Notaufnahmen "noch allen Fällen gerecht werden." Müssten sich die kleineren Kliniken abmelden - und meistens seien es Kleinere - dann landen die Patienten in der nächst größeren Klinik und irgendwann in der Uniklinik.

Wenn ein Krankenhaus an die Kapazitätsgrenzen kommt, dann läuft auch die nächst höhere Versorgungsstufe nach und nach voll.

Birgit Schwabe, Pressestelle Regiomed Coburg

Mitarbeiter stehen in der Zentralen Leitstelle im Gefahrenabwehrzentrum Jena.
Wenn sie wissen, dass sie keine Notfallpatienten mehr versorgen können, melden sich die Kliniken bei den Rettungsleitstellen ab - wie hier in Jena. Bildrechte: picture alliance/dpa | Martin Schutt

Die größte Klinik in Südthüringen steht in Suhl. Das Krankenhaus hier hat sich nach eigenen Angaben nie abgemeldet. Ein Sprecher erklärt, dass die Mitarbeiter viel gestemmt hätten, um auch Patienten aus der Umgebung zu versorgen. Melde sich eine Klinik ab, werde die Logistik aufwendiger. Sowohl für die, die die Fälle übernehmen als auch für die, die sie neu verteilen müssen.

Eine stichpunktartige Abfrage ergibt, dass sich zum Beispiel in Südthüringen immer mal Kliniken teilweise oder ganz abmelden, es auch im Weimarer Land ab und an mal in kleineren Kliniken vorkommt, sich im Ilm-Kreis bisher noch keine Klinik abmelden musste und sich im Wartburgkreis der angesprochene Mitarbeiter ebenfalls nicht an Abmeldungen erinnert, aber auch nicht immer im Dienst sei.

Gesundheitsministerium rät zu Maske und Corona-Impfung

Das Thüringer Gesundheitsministerium erklärt auf Anfrage, dass in solchen und dem Fall von Meiningen genau das eingetreten sei, wovor "Experten schon vor der aktuellen Welle" gewarnt hätten: Personalausfälle und Engpässe in der medizinischen Versorgung.

Personalausfälle und Engpässe in der medizinischen Versorgung: Das ist in diesem Fall eingetreten.

Silke Fließ, Sprecherin Gesundheitsministerium

Dennoch kein Grund für Panik: "Die Kliniken verfügen im dritten Pandemieherbst/-winter über zahlreiche Erfahrungen im Umgang mit der Pandemie" und auch mit "kurzfristigen Engpässen." Das Gesundheitsministerium appelliert deshalb nochmal an die Bürger, "sämtliche Corona-Schutzmaßnahmen" einzuhalten und sich "verantwortungsbewusst zu verhalten".

Dazu zählt zum Beispiel, in Innenräumen wieder (freiwillig) eine Maske zu tragen und sich (erneut) impfen zu lassen. Dies trage "auch in der Zukunft dazu bei, eine Überlastung der medizinischen Versorgungskapazitäten zu verhindern", so die Ministeriumssprecherin.

Frauen essen in einem Restaurant in Coronazeiten
Das Ministerium rät wieder zur Maske in Innenräumen. Bildrechte: imago images/ ZUMA Press

Auch wenn die Kliniken "mit kurzfristigen Engpässen umgehen" könnten, sei das Ziel aller Schutzmaßnahmen weiterhin auch, die Gesundheitsversorgung aufrecht zu erhalten.

Hier spielen sowohl die Behandlungskapazitäten (zur Verfügung stehende Betten) als auch die personellen Kapazitäten eine Rolle (Ausfälle durch Infektionen des Personals).

Silke Fließ, Sprecherin Gesundheitsministerium

Ausnahmesituation für einen Tag

Die Meininger Klinik-Sprecherin Tamara Burkardt erklärt, dass an diesem einen Tag mit der Abmeldung für Notfälle Mitte Oktober einfach alles zusammen kam. Zu diesem Zeitpunkt habe die Klinik eine "hohe Zahl" an Corona-Patienten im Haus gehabt und zusätzlich viele erkrankte Mitarbeiter: "Keine gute Kombination". Daher die Bitte, dass die Rettungswagen keine Notfallpatienten anliefern.

Es war das erste Mal, es war eine eintägige Geschichte und es ist eine Ausnahme geblieben.

Tamara Burkardt, Leitung Unternehmenskommunikation und Marketing Helios Meiningen

Notfallpatienten, die zum Beispiel zu Fuß in die Klinik kamen, wurden an dem Tag aber nicht weggeschickt, so Burkardt. Stationäre Patienten konnten bleiben, wenn es nötig war und geplante Operationen wurden verschoben. Auch andere Krankenhäuser hätten das in der Pandemie so gemacht.

Es kann jedes Krankenhaus treffen.

Tamara Burkardt, Leitung Unternehmenskommunikation und Marketing Helios Meiningen

Der eine Tag Notfall-Pause habe jedenfalls geholfen. Inzwischen liegen weniger Corona-Patienten im Krankenhaus. Michael Walther von der Rettungsleitstelle konnte folgenden Zusammenhang beobachten: "Erstaunlicherweise sind die Zahlen schlagartig zurückgegangen. Diese Spitze war überwunden. Kirmes und Oktoberfeste waren vorbei. Da brauchen Sie kein Infektiologe sein. Das hat zeitlich genau reingehauen. Jetzt ist es wieder ruhiger. Wir warten nun auf die nächsten Feiern". Weihnachtsfeiern und Weihnachtsmärkte dürften das wohl sein.

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Fazit | 26. Oktober 2022 | 18:20 Uhr

9 Kommentare

propofol am 28.10.2022

Aus Bayern betrachtet klingt das geradezu niedlich, wenn es einen kompletten Artikel in der Presse wert ist, wenn ein Klinikum mal einen Tag abgemeldet ist.

Wir mussten in letzter Zeit auch schon mal auf 50km entfernte Kliniken zurückgreifen, weil ALLE Kliniken im näheren Umkreis abgemeldet waren.
Mittlerweile gibt es ein Schreiben, dass der Rettungsdienst nur noch im 30km Umkreis nach einer aufnahmebereiten Klinik suchen muss. Findet sich keine aufnahmebereite Klinik in dem Radius, dann darf die nächstgelegene Klinik trotz Überlastung und Abmeldung angefahren werden.
Zum Glück geht die Hospitalisierungsrate in Bayern mittlerweile wieder zurück, das Oktoberfest ist ja jetzt über 3 Wochen her...

Reuter4774 am 27.10.2022

Nur weil man über 60 ist muss man nicht automatisch im Krankenhaus bleiben. Aber das ist leider in allen medizinischen Bereichen so, die Leute kommen wegen jeder Kleinigkeit in den Notdienst. Es gibt kein abwägen mehr jeder meint er müsse staatlich vollversorgt werden und ewig leben können.

Graf von Henneberg am 27.10.2022

Seinerzeit, wie das Krankenhaus noch unten in der Stadt neben dem RAW gewesen ist, wäre sowas nicht passiert. Aber jetzt, oben in Schakkerako, da gehen die Uhren anders. Gell.

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