BildungssystemVier-Tage-Woche für Schüler? Was eine Regelschule in Südthüringen gegen Lehrermangel tut
Wie viele andere Thüringer Schulen leidet die Regelschule in Kaltennordheim unter Lehrermangel und Unterrichtsausfall. Um lange Wartezeiten durch Freistunden abzufedern, schlugen Eltern eine Vier-Tage-Woche für die Kinder vor. Vom Schulamt gab es dafür allerdings eine Absage. Nun haben sich andere Lösungen für die Regelschule gefunden.
Inhalt des Artikels:
Wahrscheinlich ist es nicht gerecht, diesen Artikel um die Regelschule Kaltennordheim zu stricken. Denn Lehrer fehlen in Thüringen so ziemlich an jeder Schule. Besonders an Regelschulen und ganz besonders auf dem Land.
In Kaltennordheim kommt alles zusammen und sie hat sich - wenn auch nicht beabsichtigt - in Sachen Lehrermangel ins Gespräch gebracht. An der Schule gibt es aktuell keinen Lehrer für Religion. 30 Unterrichtsstunden pro Woche können nicht gegeben werden. Auch in Deutsch fallen Stunden aus und in Kunst sowieso.
Missverständlicher Elternbrief zu Vier-Tage-Woche
Das neue Schuljahr lief erst zwei Wochen und der Stundenausfall summierte sich derart, dass viele Klassen fast täglich mindestens eine oder sogar zwei Stunden früher Schulschluss hatten. Weil der Schulbus aber erst nach der sechsten Stunde fährt, brachte das einige Eltern auf den Plan.
Die meisten Schüler kommen aus den Dörfern rund um Kaltennordheim. "Damit sie nicht stundenlang auf den Bus warten müssen, sind viele Eltern oder auch Großeltern mit dem Auto gekommen oder haben Fahrgemeinschaften organisiert", sagt Schulleiterin Katrin Bing.
Die Fahrerei und der Aufwand seien manchen zu viel geworden und deshalb sei von den Eltern der Vorschlag für einen schulfreien Freitag gekommen. "Wir haben das trotz Bedenken aufgegriffen und wollten erst mal abfragen, ob das für die Eltern überhaupt eine Option ist und sie die Betreuung sicherstellen können", sagt Bing.
Die Formulierung in dem Elternbrief jedoch war missverständlich und ließ vermuten, dass die Schule die Vier-Tage-Woche für die fünften und sechsten Klassen zum 1. September bereits beschlossen hätte.
Vier-Tage-Woche für Schulamt ein No-Go
"Von uns hätte es dafür niemals ein Okay gegeben", sagt Kerstin Jarosch vom Schulamt Südthüringen. "Eine Vier-Tage-Woche an Schulen ist keine Option. Denn es gibt eine Stundentafel, die abgesichert werden muss. Unterricht geht von Montag bis Freitag und das wird auch so bleiben", so Jarosch. Weil sich Schulleiterin Bing die Lehrer aber nicht backen kann, mussten für Kaltennordheim schnelle Lösungen her.
Unterricht geht von Montag bis Freitag und das wird auch so bleiben.
Kerstin Jarosch
Einige gibt es schon. Drei Studentinnen sichern an der Regelschule aktuell eine Hausaufgabenbetreuung ab. "Unterricht dürfen sie noch nicht geben, aber zumindest können die Fehlstunden bis der Bus fährt sinnvoll überbrückt werden", freut sich Schulleiterin Katrin Bing.
Nachbar-Gymnasium leiht Lehrkräfte aus
Und auch das benachbarte Rhön-Gymnasium Kaltensundheim hilft. Schulleiter Mike Noack leiht der Regelschule Lehrer, die zehn Unterrichtsstunden pro Woche in Deutsch, Ethik und Kunst übernehmen. Leicht fällt das dem Pädagogen nicht. Man spürt förmlich, wie er mit sich ringt. Denn auch das Rhön-Gymnasium hat Personalsorgen. Und das ausgerechnet auch noch im Fach Deutsch.
"Hier ist eine Kollegin in den Ruhestand gegangen und ich brauche dringend Ersatz", so Noack. "Schmerzlich ist es das für uns definitiv. Da mache ich auch aus meinem Herzen keine Mördergrube. Weil jeder Schulleiter ist natürlich erst mal für die Entwicklung seiner Schule verantwortlich. Und wir waren wirklich in der komfortablen Situation, völlig gegen den Trend, bisher komplett alle Stunden abdecken zu können", so Noack. Doch damit sei es in diesem Schuljahr auch vorbei.
Was den Pädagogen dabei am meisten ärgert sei, dass man beispielsweise für besondere Aktivitäten und besondere Aufgaben außerhalb der Schule keine Kraft mehr habe.
Schulamt lockt mit Verbeamtung
Was die beiden Schulleiter aber dankbar beobachten, sind die Mühen des Schulamtes. Gefühlt werde dort jede und jeder eingestellt, der nicht bei drei auf dem Baum sei - und das nicht nur zu Schuljahresbeginn, sondern das ganze Jahr über. Am Dienstag erst wurden sechs neue Lehrer verbeamtet. Die jungen Leute unterrichten inzwischen an der Regelschule in Sonneberg oder den Gemeinschaftsschulen in Neuhaus-Schierschnitz und Schalkau im Kreis Sonneberg.
Das Gymnasium in Hildburghausen freut sich über einen neuen Latein-Lehrer aus Hessen. Dennis Workert war dort an einer Privatschule tätig. "In Hessen hätte ich vermutlich keine Festanstellung bekommen", gibt er zu und blickt stolz auf seine Urkunde, die ihn nun als Studienrat für den Freistaat Thüringen auszeichnet.
Auf dem Karriereportal des Schulamtes hatte er die freie Stelle entdeckt. "Die Bewerbung lief unkompliziert und schnell", lobt er. Inzwischen wohnt der junge Mann in Hildburghausen. Hoffentlich bleibt er.
Fast 900 fehlende Lehrer in ganz Thüringen
"Hauptziel ist, die offenen Stellen zu besetzen", sagt Felix Knothe vom Thüringer Bildungsministerium. Aktuell sind es seinen Angaben zufolge in ganz Thüringen 872. "Wir versuchen außerdem auf ganz verschiedenen Wegen dem spürbaren Gefälle zwischen Land und Stadt was entgegen zu setzen. Etwa mit Sonderzuschlägen für Beamtinnen und Beamte in den Bedarfsregionen, in Bedarfsschularten und -fächern", so Knothe.
Das duale Studium im ländlichen Bereich ist komplett die richtige Richtung.
Mike Noack
Duales Lehramtsstudium als Lösungsansatz
Ein weiterer Baustein sei das neue Duale Regelschul-Lehramtsstudium der Uni Erfurt mit frühen Praktika in den Schulen vor Ort. So könnten junge Lehrer aus der Region gewonnen und an die Region gebunden werden. "Ein guter Ansatz", findet Kaltensundheims Schulleiter Mike Noack. "Ja, das duale Studium im ländlichen Bereich ist komplett die richtige Richtung. Das finde ich toll, nur müsste es das im größeren Umfang und für andere Schularten genauso geben", so Noack.
Und wenn man einmal dabei sei, auch das Lehramtsstudium an den Universtäten müsste dringend überarbeitet werden. Mathematik und Physik beispielsweise seien derart anspruchsvoll, dass zum Ende des Studiums kaum Absolventen übrigbleiben.
"Jede einzelne Unterrichtsstunde zählt", ist das Credo der Kaltennordheimer Regelschulleiterin Katrin Bing. "Ich bin erst mal froh, dass wir hier so ganz langsam die Kuh vom Eis bringen". Auch die Hausaufgabenbetreuung der Studenten bringe erst mal Entlastung.
"Und wer weiß, vielleicht bleibt der eine oder andere in der schönen Rhön." Und so habe das Ungerechte auch etwas Gutes. Dadurch, dass Kaltennordheim so im Fokus war, wurde auch nochmal auf die Nöte vieler anderer Schulen hingewiesen.
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MDR (ost)
Dieses Thema im Programm:MDR THÜRINGEN | THÜRINGEN JOURNAL | 13. September 2024 | 19:00 Uhr
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