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Das Biosphärenreservat Rhön erstreckt sich über die Bundesländer Thüringen, Bayern und Hessen. Bildrechte: imago images/Hohlfeld

NaturschutzUnesco-Titel: Neue Pläne für Biosphärenreservat Rhön stoßen auf Kritik

21. Oktober 2022, 14:51 Uhr

Seit mehr als 30 Jahren bilden große Teile der Rhön in Thüringen, Bayern und Hessen ein länderübergreifendes Biosphärenreservat. Damit die Unesco diesen Status weiter anerkennt, muss der Anteil der Schutzzonen deutlich erweitert werden. Pläne, die den Kommunen und vielen Grundstücksbesitzern Sorgen bereiten. Das Thüringer Umweltministerium verweist dagegen auf den Bestandsschutz.

von Marlene Drexler, MDR THÜRINGEN

Bei einer Informationsveranstaltung zu den neuen Plänen für das Unesco-Biosphärenreservat Rhön platzt das Bürgerhaus in Kaltennordheim im Landkreis Schmalkalden-Meiningen fast aus allen Nähten. Eingeladen hat Erik Thürmer (CDU), Bürgermeister der Stadt Kaltennordheim und gleichzeitig Vorsitzender der Verwaltungsgemeinschaft Hohe Rhön.

Das Thema an diesem Mittwochabend: der neue Entwurf der Verordnung für das Biosphärenreservat. Darin sind die Regeln und Verbote für das unter Schutz stehende Mittelgebirge in Bayern, Hessen und Thüringen festgeschrieben.

Die Gebietskulisse umfasst insgesamt über 2.400 Quadratkilometer, eine Größe, die etwa dem Saarland entspricht, wobei gut 20 Prozent dieser Fläche in Thüringen liegen.

Zehn Jahre für Überarbeitung der Schutzzonen

Nach der Wende hatte die Unesco die Drei-Länder-Rhön zum Biosphärenreservat geadelt. Um diesen Titel, der immer nur auf Zeit verliehen wird, behalten zu können, müssen mehr Schutzzonen ausgewiesen werden. So fordert es die Unesco. Die letzte Evaluierung war 2013 vorgenommen worden.

Für die Überarbeitung der Zonen hat die Unesco den Regierungen in Bayern, Hessen und Thüringen zehn Jahre Zeit gegeben. Nach jahrelanger Vorbereitung ist der neue Entwurf nun veröffentlicht worden.

Laut Ulrike Schade, Leiterin des Biosphärenreservats, wurde die Bevölkerung in diesen Prozess einbezogen: "In den vergangenen Jahren wurden zahlreiche Gespräche mit den Akteuren vor Ort geführt". In der derzeitigen Auslegungsphase können alle Betroffenen - die Kommunen, private Grundstückseigentümer und weitere Träger öffentlicher Belange, wie zum Beispiel Naturschutzverbände, Einwände gegen das Papier formulieren.

Rhön an Unesco-Fördermittel gebunden

Konkret beinhaltet der neue Entwurf der Verordnung eine neue Nutzungsbestimmung der Flächen, die Gesamtfläche wächst dadurch nicht. Ziel ist es, den Anteil sogenannter Kernzonen von 1,53 auf mindestens drei Prozent und die Fläche der Pflegezonen von 9,6 auf mindestens 17 Prozent zu erhöhen.

Zum Aufklappen: Was sind Kern- und Pflegezonen?

In einer Kernzone soll sich die Natur ohne den Einfluss des Menschen entwickeln können. Sie dient der Sicherung der in ihr beheimateten Lebensräume und Landschaften und der dort erhaltenen biologischen Vielfalt. Das Betreten ist in der Regel nur für Forschung und Umweltbeobachtung gestattet.

Ausgewählte Bereiche können aber für das ruhige Naturerleben und die Umweltbildung zugänglich gemacht werden. Die verschiedenen Kernzonen in einem Schutzgebiet müssen zusammen mindestens drei Prozent der Gesamtfläche ausmachen.

Pflegezonen müssen laut Unesco Kernzonen umgeben, um diese abzuschirmen und somit zu schützen. In ihnen stehen pflegliche und besonders naturbetonte Bewirtschaftungen der Wälder und Wiesen im Mittelpunkt. Gleichzeitig sollen sie die Lebensräume für zahlreiche bedrohte Tier- und Pflanzenarten erhalten und sichern. In den Pflegezonen sind schonende Freizeitaktivitäten wie etwa Wandern, Rad fahren oder Skilanglauf möglich.

Kommt das Land Thüringen dem nicht nach, würde die Rhön den Status als Unesco-Biosphärenreservat verlieren. An den Unesco-Titel sind für die Rhön Fördermittel gebunden. Laut Ulrike Schade vom Biosphärenreservat sind seit 2021 rund 670.000 Euro in die Thüringer Rhön geflossen.

Bei der Bewilligung von Fördermitteln habe der Unesco-Titel eine große Rolle gespielt. "Der Titel ist ein wertvolles Alleinstellungsmerkmal für die Region, die ein Vorbild dafür ist, wie nachhaltige Entwicklung funktionieren kann", so Schade.

Landwirte und Waldbesitzer fürchten zusätzliche Auflagen

Ein Argument, das viele der Landwirte und privaten Waldbesitzer, die unter den rund 100 Teilnehmern zu der Informationsveranstaltung gekommen sind, nicht überzeugt. Sie fürchten durch die Ausweitung der Schutzzonen zusätzliche Auflagen, das heißt neue Regeln und Pflichten für sie als Grundstückseigentümer, die die Bewirtschaftung ihrer Flächen erschweren könnten. Dabei geht es zum Beispiel um den Einsatz von Chemikalien oder den Bau neuer Wege.

Auch Bürgermeister Erik Thürmer sieht den neuen Entwurf der Verordnung kritisch. Seinen Angaben sind von den geplanten neuen Schutzzonen auch kommunale und private Flächen betroffen - zahlreiche Grundstücke sollen zu Pflegezonen, einige auch zu den noch strenger geschützten Kernzonen umdefiniert werden. Allein für das Gebiet der VG Hohe Rhön kann Thürmer dafür mehrere Beispiele geben. Er hat Sorge, das die Entwicklung der Region dadurch gehemmt werden könnte.

Nach Angaben des Thüringer Umweltministeriums sind die konkreten Folgen für die Eigentümer aber gering. Es sei berücksichtigt worden, dass Flächen, die künftig Pflegezonen werden sollen, schon jetzt naturnah genutzt werden.

Auch gebe es einen Bestandsschutz, das heißt, bestehende Nutzungsformen werden nicht angefochten. Die Biosphärenreservatsleiterin Schade verwies außerdem darauf, dass die Verbote in dem neuen Entwurf gemeinsam mit den Ausnahmen gelesen werden müssten.

Großer Aufwand für Ausnahmen

Bürgermeister Thürmer sagte dazu, seiner Erfahrung nach sei es mit großem Aufwand verbunden, solche Ausnahmen geltend zu machen. Auch sei ein Bestandsschutz nicht immer sinnvoll und unflexibel. Als Beispiel nannte er Schneeloipen. So sei es denkbar, dass Loipen in Zukunft aufgrund anderer Schneelagen versetzt werden müssten.

Auch sehe er den Waldumbau in Gefahr. Der Bestandsschutz schreibe etwa vor, nur heimische Baumarten nachzupflanzen. Die veränderten klimatischen Bedingungen würden es jedoch erforderlich machen, nach neuen Arten zu suchen, die hitzeresistenter sind.

Auch Vorschriften zum Umgang mit Totholz sieht Thürmer nach eigenen Angaben kritisch. In streng geschützten Zonen darf Totholz nicht abtransportiert werden. Das wiederum steigere in trockenen Sommern die Waldbrandgefahr, so der Bürgermeister.

Verbot von Windkraftanlagen aufgehoben

Ein weiterer Knackpunkt ist für Thürmer das Thema Windräder. Das bisherige Verbot, Windkraftanlagen in der Rhön zu bauen, steht in der geänderten Verordnung nicht mehr drin. Windräder würden dem originären Ziel des Biosphärenreservats, Flora und Fauna zu schützen, widersprechen, so Thürmer.

So gilt die Rhön zum Beispiel als Schutzgebiet für Rotmilane, die dort ihren Hauptbrutort in Deutschland haben. Dank eines länderübergreifenden Hilfsprojekts hat sich die bedrohte Greifvogelart in den vergangenen Jahren in der Region gut entwickelt. Auch für den Sternenpark in der Rhön seien die blinkenden Lichter von Windkraftanlagen nicht produktiv.

Überarbeitung bis 4. November

Die Auslegungsfrist der überarbeiteten Verordnung endet am 4. November. Bis dahin können alle Betroffenen ihre Meinung zu dem neuen Entwurf äußern. Die Stellungnahmen müssen begründet und schriftlich eingereicht werden. Biosphärenreservatsleiterin Schade hat den Grundstückseigentümern Hilfe angeboten.

Jeder könne einen individuellen Beratungstermin ausmachen, um den eigenen Fall zu prüfen. Ihrer Erfahrung nach, haben sich viele Ängste schon zerstreut, nachdem man sich gemeinsam die tatsächlichen Folgen konkret und im Detail angeschaut hatte.

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MDR (jn)

Dieses Thema im Programm:MDR THÜRINGEN - Das Radio | Fazit vom Tag | 20. Oktober 2022 | 18:45 Uhr

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