Kinder spielen mit ihrem Großvater
Spielen, zuhören, für die Kinder da sein: Die Aufgaben von Pflegefamilie sind vielfältig. (Symbolbild) Bildrechte: imago images/Westend61

Tag und Nacht zur Stelle Wie eine Familie aus Sonneberg seit zehn Jahren Kindern in Not Schutz gibt

10. Februar 2023, 18:49 Uhr

Kaum bemerkt in der Öffentlichkeit leisten Pflegefamilien Großes für die Gesellschaft. Neben Langzeitpflege gibt es auch sogenannte Bereitschaftspflegestellen. Das sind Familien, die für Notfälle Tag und Nacht erreichbar sind. Für ein Ehepaar aus Sonneberg ist das seit zehn Jahren Alltag.

Es sind viele unsichtbare Kräfte, die die Gesellschaft zusammenhalten, Heldengeschichten, die sich im Verborgenen abspielen. Eine davon wird im Haushalt der Familie Schuster aus Sonneberg geschrieben. Die Schusters heißen eigentlich anders, möchten aber anonym bleiben. Seit zehn Jahren nimmt das Paar als sogenannte Bereitschaftspflegestelle Kinder auf, die das Jugendamt aus ihren Familien genommen hat. Bereitschaft heißt in diesem Fall 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche.

Zwanzig Kinder in den vergangenen zehn Jahren

Zu unserem Treffen ist Karin Schuster alleine gekommen. Ihr Mann kümmert sich zu Hause um ein elf Wochen altes Baby, das seit knapp einem Monat bei den Schusters lebt. Es ist das zwanzigste Kleinkind, das das Paar aufgenommen hat. Ein Kind, das die Schusters vor etwa sieben Jahren in Pflege genommen haben, haben sie behalten.

Aus Kurzzeitpflege wurde Langzeitpflege. Karin Schuster, kurze graue Haare, ruhige Art, ist 61 Jahre alt und arbeitet in Teilzeit. Ihr Mann ist etwas älter und schon in Rente. Das Paar hat eine erwachsene Tochter und ein Enkelkind.

Keine Konkurrenz zu den echten Eltern entstehen lassen  

Als Bereitschaftspflege-Familie kommen die Anrufe vom Jugendamt bei den Schusters meist spontan, manchmal auch mitten in der Nacht. Karin Schuster erinnert sich an Momente, in denen sie vom Telefon aus dem Schlaf gerissen wurde. Aber Wachwerden dauert dann nicht lange, erzählt die 61-Jährige. Für ein Kind in Not da sein, nur darum geht es dann.

Die Schusters nehmen Kinder zwischen null und drei Jahren auf. Das jüngste war gerade mal zwei Tage alt. "Wir haben es direkt aus dem Krankenhaus abgeholt", erinnert sich Karin Schuster. "Würmchen", so nennt sie die kleinen Babys. Für die Pflegekinder sind die Eheleute dann "Oma und Opa". Karin Schusters Devise ist: "Ein Kind kann nur eine Mama und einen Papa haben. Omas und Opas dagegen kann es ganz viele geben." Das Ehepaar Schuster will so verhindern, dass eine Konkurrenz zu den echten Eltern entsteht.

Kontakt zur Herkunftsfamilie halten

Das findet auch Annette Hoffmann vom Kreisjugendamt, die die Pflegefamilien in Sonneberg betreut, sehr wichtig: "Es kann auch sein, dass Kinder nach wie vor Kontakt zur Herkunftsfamilie haben - und dann ist es ja auch Aufgabe der Pflegefamilie, diesen Kontakt zu halten". Den echten Eltern ihre Position erst gar nicht streitig zu machen, kann sehr deeskalierend wirken in dem heiklen Unterfangen, das eine Inobhutnahme durch das Jugendamt darstellt. 

Auch Pflegefamilien dürfen Grenzen abstecken

Grundsätzlich steht für Annette Hoffmann die Kommunikation mit allen Beteiligten an erster Stelle. Zum einen mit den biologischen Eltern, auch um zu prüfen, ob und unter welchen Bedingungen Kontakt oder eine Rückführung des Kindes möglich ist. Zum anderen, so Hoffmann, bestehe zu jeder Zeit ein enger Austausch mit den Pflegeeltern.

Es müsse immer im Blick behalten werden, wo die Grenzen sind. Denn auch Pflegefamilien könnten in Situationen kommen, die sie überfordern. Gerade auch, weil viele Kinder, die das Jugendamt in Obhut nimmt, vorbelastet sind. Annette Hoffmann spricht von einem "kleinen Rucksack", den sie mitbringen.

Alle Bereitschaftspflegestellen im Landkreis Sonneberg derzeit belegt

Das Jugendamt nimmt Kinder dann in Obhut, wenn es das Kindeswohl als gefährdet sieht. Pflegefamilien braucht es außerdem dann, wenn Eltern erkranken, stationär im Krankenhaus aufgenommen werden müssen und es niemandem gibt, der sich ansonsten um das Kind kümmern kann. Im Landkreis Sonneberg gibt es derzeit laut dem Sonneberger Jugendamtsleiter Stefan Müller 35 Pflegefamilien, drei davon sind Bereitschaftspflege-Stellen. Letztere seien derzeit alle belegt.

Alle Pflegefamilien werden mit einer monatlichen Geldpausche unterstützt, die Kosten für Kleidung und Lebensmittel abdecken soll. Zeit und Zuwendung bleibt ein Geschenk.

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Dringend neue Pflegefamilien gesucht 

Wie auch in vielen anderen Landkreisen werden in Sonneberg dringend weitere Familien gesucht. Neben formalen Voraussetzungen, wie die Prüfung des erweiterten polizeilichen Führungszeugnisses, genügend Wohnraum und eine gewisse finanzielle Stabilität wird die Tauglichkeit von Bewerbern in intensiven Gesprächen gemeinsam sondiert.

Erwartungen beider Seiten müssen ausgetauscht werden, sagt Hoffmann. Missverständlich ist, dass nicht nur Paare, sondern auch Einzelpersonen Kinder in Pflege nehmen können.

Herz und Verstand als Voraussetzung

Fragt man Karin Schuster, was es abseits der formalen Kriterien braucht, um Pflegefamilie zu werden, antwortet sie: "Ein großes Herz". Später ergänzt sie den Satz noch um ein Wort: "Herz und Verstand." Damit meint sie, die Fähigkeit zu haben, sich emotional auch wieder abgrenzen zu können. In einer Bereitschaftspflegefamilie bleibt ein Kind in der Regel nicht länger als zwei Monate. Kann das Kind nicht in die eigene Familie zurück, wird dann eine Langzeitpflegestelle gesucht.

Auch für die Schusters ist der Tag der Abgabe oft "mit Tränchen verbunden", wie Karin Schuster sagt. "Wie wird es dem Kind weiter ergehen? Diese Frage stellt man sich natürlich immer." Ein klarer und wenn es drauf ankommt, rationaler Verstand hilft dann, die Emotionen so zu kontrollieren, dass die Sorge nicht zur Belastung wird.

Nicht alle können ihr Engagement nachvollziehen, sagt Karin Schuster. Vor allem, weil das Paar auch Opfer bringt. Sie fliegen nicht, sondern fahren nur noch mit dem Auto in den Urlaub: "Weil es dann keinen Unterschied macht, ob spontan noch ein Kind mitkommt". Oft sind sie eingebunden, können an Festen nicht teilnehmen. Dazu sagt Karin Schuster: "Wir haben uns eben für die Kinder entschieden". Ein Satz bei dem der 61-Jährigen Tränen in die Augen steigen.

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MDR (jn)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 10. Februar 2023 | 18:00 Uhr

1 Kommentar

Atheist am 11.02.2023

Eine schöne Einnahmequelle, mehr nicht!

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