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Windräder im Unstrut-Hainich-Kreis. Der Ausbau der Erneuerbaren Energien läuft - auch wegen protestierender Anwohner - oft schleppend. (Archivbild) Bildrechte: MDR/Isabelle Fleck

Der Redakteur | 20.10.2022Probleme und Proteste bei Windkraft-Ausbau: Haben die Gegner recht?

21. Oktober 2022, 11:53 Uhr

Vogelschredder, Infraschall-Schleudern und Schande für das Landschaftsbild - Windräder haben mitunter einen sehr schlechten Ruf. Haben die Kritiker Recht? Nein! - befindet "Redakteur" Thomas Becker. Er hat den Faktencheck gemacht. Dabei ist er auch auf das Rekord-Windrad in Dänemark gestoßen. Das hat Siemens entwickelt.

  • Sind Windräder Vogelschredderanlagen? - Wissenschaftler haben das genau untersucht.
  • Bayreuther Physiker: Vergleiche des Infraschalls mit Asbest, Röntgen- oder radioaktiver Strahlung sind völlig unseriös.
  • Das größte Windrad der Welt steht in Dänemark. Bis zur obersten Rotorblattspitze sind es 270 Meter.

Es gibt zwar keine belastbaren Umfragen, aber man könnte den Eindruck gewinnen, viele Menschen möchten lieber ein Atom- oder ein Kohlekraftwerk vor der Haustür haben, als ein Windrad. Um diese Diskussion zu versachlichen, ist es hilfreich, einmal ins benachbarte Grafenrheinfeld (Landkreis Schweinfurt) zu fahren. Die Kühltürme des stillgelegten Atomkraftwerks erschlagen optisch Kirche, Ort und Landschaft, während die Windräder daneben geradezu zierlich erscheinen.

Kirche von Röthlein vor dem Kernkraftwerk in Grafenrheinfeld. Bildrechte: imago/imagebroker

Ein zweites Reiseziel sollte die Lausitz sein. Abgesehen von den Tagebausünden dort: Viele Menschen rund um Boxberg, Nochten oder Jänschwalde blicken auf gigantische Wolkenfabriken, gegen die ein Windpark aussieht wie ein Kunstwerk aus Mikadostäbchen.

Der Bärwalder See, dahinter das Braunkohlekraftwerk Boxberg. Bildrechte: imago images/imagebroker

Das ist der optische Teil. Nun sind wesentliche Teile unserer derzeitigen Form, Energie zu erzeugen, klima- und umweltschädlich. Und damit auch für die Lebensräume von Mensch und Tier. Windrädern hingegen wird zwar nachgesagt, Regenwolken zu vertreiben, allerdings halten das Fachleute für ausgeschlossen.

Natürlich gibt es eine Parallelität von zunehmender Trockenheit und dem Ausbau der Windenergie. Aber genauso gleichzeitig ist auch der Wolf zu uns gekommen und Florian Silbereisen ins Fernsehen. Da käme doch niemand ernsthaft auf die Idee, hier eine Ursache zu sehen. Windräder sind so klein, dass sie im Verhältnis zu Tiefdruckgebieten verschwindend klein sind:

Ein Tiefdruckgebiet in unseren Breiten hat zum Beispiel einen typischen Durchmesser bis zu 2.000 Kilometern und eine Lebensdauer von bis zu einer Woche. Die damit verbundenen Niederschlagsprozesse laufen ebenso auf größeren Skalen ab.

Astrid Ziemann | Professur für Meteorologie TU Dresden

Aber die Vögel? - Da wird niemand geschreddert!

Natürlich sollten wir für Windparks keine Wälder roden oder die schönsten Blickachsen des Landes zupflastern. Aber alles, was Arbeitsplätze schafft, etwas produziert oder uns versorgt, lässt sich nicht so leicht verstecken. Kein Logistikzentrum und kein Industriepark, kein Kraftwerk und auch kein Windrad. Windräder haben zudem den Ruf, Vogelschredderanlagen und Infraschallmonster zu sein, obwohl auch für diese Behauptungen die wissenschaftlichen Belege fehlen - im Gegenteil.

Das Vogelthema ist Teil des unfassbar bürokratischen Zulassungsverfahrens. In der Folge wird hier sehr viel Schutzaufwand betrieben, obwohl die von Windkraftgegnern immer wieder vorgelegten Horrorzahlen schlicht falsch sind. Ja, der Bau einer Anlage zu dicht an den Revieren von Milan und Fledermaus kann eine Gefahr sein für die Tiere, unsere klimaschädliche Energieproduktion bisher ist es aber erst recht.

51 Forscher aus 15 Ländern, darunter Forscher des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie in Konstanz, haben die Gebiete ermittelt, in denen es wirklich gefährlich werden kann für Vögel. Hier geht es um Windkraftanlagen und Stromleitungen gleichermaßen. Basis sind die GPS-Daten von 1.454 Vögeln aus 27 Arten, wobei der Löffler, der Uhu, der Singschwan, der iberische Kaiseradler und der Weißstorch zu den Arten gehören, die durchweg in den Höhen fliegen, in denen ein Kollisionsrisiko besteht.

Die GPS-Ortung liefert sehr genaue Daten über den Standort und die Flughöhe, die durch direkte Beobachtung nicht ermittelt werden können, vor allem nicht über große Entfernungen.

Martin Wikelski | Direktor am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie

Die Gefährdungskarten zeigen, dass das Problem vor allem auf wichtigen Zugrouten entlang der Küsten und in der Nähe von Brutplätzen besteht. Die da wären in Europa: Die westliche Mittelmeerküste Frankreichs, Südspanien, Ostrumänien und die deutsche Ostseeküste. In diesen hochsensiblen Gebieten sollte der Bau neuer Windkraftanlagen und Hochspannungsleitungen auf ein Minimum beschränkt werden, so die Wissenschaftler.

Milane - hier ein Rotmilan - weichen Windrädern frühzeitig aus. Bildrechte: IMAGO / McPHOTO

In einer weiteren Studie zeigte sich, dass die meisten Milane doch nicht so gefährdet sind. Die Forscher haben die GPS-Daten von 126 Schwarzmilanen beim Anflug auf Windkraftanlagen untersucht. Schon einen Kilometer vor den Anlagen beginnen sie, Ausweichmanöver zu fliegen.

Die Vögel erkennen also die Gefahr, die von den Windkraftanlagen ausgeht, und halten einen entsprechenden Sicherheitsabstand zu ihnen ein.

Carlos Santos | Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie

Dass es vereinzelt Kollisionen gibt, bestreitet niemand, aber die gibt es auch ebenso vereinzelt mit Autos, Zügen, Flugzeugen und Fensterscheiben und unsere Katzen sind auch nicht frei von Schuld.

Infraschall und Rauch

Beim Thema Infraschall versuchen Physiker schon seit Jahren vergeblich, den Unsinn einzufangen, der massenhaft kursiert. Dabei müsste man in Physik nur ein bisschen besser aufgepasst haben. Alternativ helfen die Messanalysen von Dr. Stefan Holzheu vom Zentrum für Ökologie und Umweltforschung der Uni Bayreuth.

Er kommt zu dem Schluss, dass die gern herangezogenen Vergleiche des Infraschalls mit Asbest, Röntgen- oder radioaktiver Strahlung völlig unseriös sind. Es gibt keinerlei Hinweise, dass dieser Schall in irgendeiner Form gesundheitsgefährdend wäre. Physikalisch sei Infraschall nichts anderes als eine Luftdruckschwankung und Menschen leben seit Jahrtausenden mit Druckschwankungen. Und zwar im Pascal-Bereich.

Selbst im Abstand von 300 Metern (so dicht steht kein Windrad an einem Haus) werden bei 800 kW Windradleistung nur magere 0.15 Pascal erreicht, so Holzheu. Dies entspricht dem Luftdruckunterschied von etwas mehr als einem Zentimeter (!) Höhendifferenz. Eine Kniebeuge (50 cm Höhendifferenz) führt hingegen zu dem vergleichsweise "gigantischen" Druckimpuls von ca. +/-3 Pascal. Wahrscheinlich gehen Kniebeuge deshalb so auf die Gelenke - Ironie aus.

Eine Branche im Gegenwind

Trotz aller Widrigkeiten gibt es auch in Thüringen Firmen, die es schaffen, Gemeinden und Einwohner von Windenergie zu überzeugen, auch wenn es meistens Jahre dauert. Was in kürzester Zeit installiert werden könnte, liegt jahrelang als Aktenordner in den Amtsstuben. Zehn Gigawatt Windenergie, die gerade in den Genehmigungsverfahren sind, könne man sofort durchwinken, sagte die Klima-Ökonomin Claudia Kemfert im Klima-Podcast von MDR AKTUELL.

Zum Vergleich: 2021 wurden in Deutschland nicht einmal zwei Gigawatt installiert. Die meridian Neue Energien GmbH aus Suhl ist für 55 der derzeit rund 800 Thüringer Windräder verantwortlich und kann auch nicht alle Einwände ausräumen. Logischerweise sind Windräder zu sehen und manchmal auch zu hören, wenn sie in der Nähe stehen.

Natürlich wird man die Anlagen auch mal hören, gerade in Sommermonaten, wenn der Wind ungünstig steht und alle draußen sitzen.

Arnd Köhler | meridian Neue Energien GmbH

Trotzdem: In Bezug auf die Geräusch-Emission sind Windräder mit dem Dauergeräusch von Autobahnen und Bundestraßen oder gar den Lärmspitzen an Bahnstrecken überhaupt nicht vergleichbar. Und mit Kreissäge, Rasenmäher und Laubbläser auch nicht. Dagegen haben sich auf Dörfern auch noch keine Bürgerbewegungen gegründet.

Das Windrad als Geldanlage

Der von Wirschaftsminister Habeck gern erwähnte Ansatz, die Anwohner nicht nur am Anblick, sondern auch am Gewinn eines Windparks zu beteiligen, ist keine schlechte Idee. Nur in der Praxis leben die Anteilseigner einer solchen Genossenschaft oft nicht in der Nähe ihres Windrades. Das ist die Erfahrung von Windrad-Erbauer Arnd Köhler.

An die fünf Prozent sichere Rendite schafft aktuell keine seriöse Geldanlage. Leider dauert es auch locker fünf Jahre, bis überhaupt die Genehmigung durch ist. Ein Vogelgutachten kostet Köhler allein 50.000 Euro und da sind die Fledermäuse noch nicht dabei. Und das Geld fällt auch an, wenn das Projekt am Ende stirbt. Und von fünf Projekten werden mitunter nur zwei umgesetzt.

Wir können mit Fug und Recht behaupten, dass wir viele überzeugen konnten und mit denen über Jahre ein gutes Verhältnis pflegen um perspektivisch noch eine Anlage hinzubauen können.

Arnd Köhler | meridian Neue Energien GmbH

Beim Projekt mit der bisher längsten Anlaufzeit hat es übrigens elf Jahre gedauert, bis sich das erste Rad gedreht hat. So wird das natürlich nichts mit der Energiewende. Hier muss sich noch einiges tun in Sachen Bürokratie. Das zeigt auch die Geschichte des größten Windrades der Welt, dass sich unsichtbar und unhörbar weit draußen auf den Meeren drehen wird.

Das größte Windrad der Welt

Seit wenigen Tagen ist der Prototyp des SG14-222 DD im Betrieb. Und zwar in Dänemark, errichtet von der Firma Siemens Gamesa. Letztlich ist das eine spanisch-deutsch-dänisch-britische Koproduktion. Der erste große Anwendungsfall des Rekordrades wird bis 2025 ein Windpark namens Sophia sein, der im Meer steht und 1,2 Millionen Haushalte in Großbritannien mit Strom versorgen kann. Was direkt zu der Frage führt, warum macht man das nicht für Deutschland?

Leider hatten wir da einen sogenannten Fadenriss, weil die Vorgängerregierung versäumt hat, den Ausbau voranzutreiben. Hier dauert es ein bisschen länger, bis wir das nächste Projekt installieren.

Martin Gerhardt | Offshore Management Siemens Gamesa

Und wieder sind es bürokratische Hürden bei Anlagen, die nicht einmal jemanden stören würden. Wenn man mal von den benötigten Hochspannungsleitungen absieht, die auch nur jeder zum anderen schiebt. Dabei sind die Leistungsdaten des Rekordwindrades ebenso beeindruckend, wie seine Ausmaße. Innerhalb von 24 Stunden hat das Windrad kürzlich 359 MWh erzeugt. Das ist Weltrekord. Damit könnte ein Elektroauto 1,9 Millionen Kilometer fahren, also 47,5 Mal um die Erde. Mit einer einzigen Umdrehung könnte ein Haushalt drei Tage lang versorgt werden.

 SG14-222 DD – das größte Windrad der Welt- 15 Megawatt Leistung

- 222 m Rotor-Durchmesser

- ein Rotorblatt ist 108 m lang und recyclebar

- die "überstrichene" Fläche des Rotors ist so groß wie 5,5 Fußballfelder

- 270 m sind es bis zur obersten Rotorblattspitze

- das Maschinenhaus wiegt 500 Tonnen

- der Prototyp ist das höchste Gebäude Dänemarks

Anlagen in dieser Größe sind allerdings nichts für den Betrieb an Land, auch wenn der Prototyp dort steht. Das hat den einfachen Grund, dass die Techniker natürlich einen kurzen Weg haben sollen, es ist schließlich ein Testlauf, aus dem man auch Erkenntnisse für die Serienproduktion gewinnen will. Normalerweise steht ein Windpark mit solchen Riesen 100 km vor der Küste.  Es wäre auch schlicht unmöglich, die Einzelteile auf Straße oder Schiene zu transportieren, ohne vorher Stadtumbau zu betreiben.

Das Maschinenhaus ist vergleichbar mit einem Mietshaus (drei Etagen) und passt durch keine Brücke. Und einen geraden "Stab" von mehr als hundert Metern Länge kriegt man um keine Kurve. Einfacher als gedacht ist hingegen die Montage auf dem Meer. Wenn die Fundamente und der dreiteilige 160-Meter-Turm stehen, wird das Maschinenhaus samt Turbine mit einem Kran innerhalb eines Tages montiert. Wobei "Kran" auch eine Verniedlichung ist, es sind Spezialschiffe, die Füße ausfahren, um im Wasser stabil stehen zu können. Dann sind die Wellen bis zu einem gewissen Grad egal.

Ein sicherer Job auf hoher See

Dass die Anlagen immer mal besucht und gewartet werden müssen, ist verständlich und dafür werden Techniker benötigt, die nicht nur Wind und Wetter trotzen können. Sie werden auch speziell geschult und trainieren zum Beispiel, wie man sich aus einem Helikopter befreit, der im Wasser "gelandet" ist. Auch liegen in den Maschinenhäusern Notfallausrüstungen und auch etwas Proviant, falls doch mal das Wetter umschlägt oder das Abholen nicht sofort klappt.

Aber in der Regel ist es schlicht ein spannender und auch sicherer Arbeitsplatz, im doppelten Sinne. Denn ein solcher Windpark mit - wie im Fall Sophie - 100 Windrädern ist für eine Betriebsdauer von 25 Jahren ausgelegt. Und für technikaffine Interessenten in den oft industriearmen Küstenregionen sind solche stabilen Arbeitsplätze ein Segen. Denn die generieren aus Wind nicht nur Strom, sondern auch ein verlässliches Einkommen.

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Dieses Thema im Programm:MDR THÜRINGEN - Das Radio | Ramm am Nachmittag | 20. Oktober 2022 | 16:40 Uhr

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