Plattenbausiedlung Wie junge Menschen Suhl-Nord wieder ins Gespräch bringen wollen

02. Dezember 2022, 20:12 Uhr

Früher lebten rund 15.000 Menschen in der großen Plattenbausiedlung Suhl-Nord. Inzwischen ist der Stadtteil von Abwanderung und Abriss geprägt. Junge Menschen beschäftigen sich nun mit der Vergangenheit, um Perspektiven für die Zukunft zu schaffen.

In den vergangenen 30 Jahren hat das Wohngebiet Suhl-Nord einen massiven Wandel erlebt. Abwanderung, Leerstand und Abriss haben den Stadtteil geprägt. Was einst ein großes Neubaugebiet mit rund 15.000 Menschen war, ist heute ein nahezu unbelebter grauer Fleck und nur noch für wenige Menschen ein Zuhause.

Dennoch hängen zahlreiche Erinnerungen an diesem Ort. Nicht nur für ältere Menschen, sondern auch für jüngere Generationen, die dort aufgewachsen sind. In einem Stadtteilzeitungsprojekt haben junge Menschen sich mit der Vergangenheit beschäftigt, um gleichzeitig Perspektiven für die Zukunft zu schaffen.

Ehemalige Bewohner zu Workshops eingeladen

Der Verein "unofficial.pictures" hat sich im Projekt "Suhl-Nord – Wieder im Gespräch" mit dem Suhler Stadtteil künstlerisch auseinandergesetzt. In mehreren Veranstaltungen hat der Verein in den vergangenen Monaten Menschen dazu eingeladen, ihre Gedanken und Gefühle über Suhl-Nord zu teilen. Dadurch ist auch eine Sammlung von alten Bildern und Geschichten gewachsen.

In mehreren Workshops sind Menschen aus Suhl-Nord, ehemalige Bewohnerinnen und Bewohner, Geflüchtete und Interessierte zusammengekommen. Die dabei entstandenen, sehr unterschiedlichen Projekte sind jetzt in einer Stadtteilzeitung veröffentlicht worden. Auf 48 Seiten zeigen nicht nur Bilder eindrücklich die Veränderungen in Suhl-Nord. Auch die Sicht einer jungen Generation auf den Wandel wird deutlich.

Bis zum 16. Lebensjahr in Suhl-Nord gelebt

Desireé Röhlig hat bis zu ihrem 16. Lebensjahr in Suhl-Nord gelebt. Ihre ganze Kindheit hat sie dort verbracht. Die Plattenbausiedlung beschäftigt die studierte Architektin schon lange. Das war auch der Grund dafür, warum sie sich für den Workshop anmeldete.

Früher habe es hier reichlich Kinder und gefühlt an jeder Ecke einen Spielplatz gegeben, erzählt sie. Jetzt sei es für die 30-Jährige eher erschreckend, durch den Stadtteil zu laufen. "Weil man viele Orte noch so in kindlicher Erinnerung hat, wo man sich früher immer rumgetrieben hat, und jetzt sind diese Orte teilweise nicht mehr da oder total verunstaltet und kaum mehr erkenntlich", sagt Röhlig. Das trübe auch ihre Kindheitserinnerungen. Gleichzeitig wisse sie, dass der weitere geplante Rückbau für die Stadtentwicklung notwendig sei.

In der Zeitung hat sie sich nicht nur mit der Geschichte des Stadtteils beschäftigt, sondern auch mit der Kunst im öffentlichen Raum und am Bau. So lässt sich - auch wenn es die monoton und öde wirkenden Plattenbauten nicht vermuten lassen – beispielsweise ein Skulpturengarten in Suhl-Nord entdecken. Auch das war den Teilnehmenden ein Anliegen: Die schönen Seiten des oft als hässlich wahrgenommen Stadtteils aufzuzeigen.

Weil man viele Orte noch so in kindlicher Erinnerung hat, wo man sich früher immer rumgetrieben hat, und jetzt sind diese Orte teilweise nicht mehr da oder total verunstaltet und kaum mehr erkenntlich.

Desireé Röhlig

Die Natur holt sich alles zurück

Für Mario Herzberg hat die Entwicklung in Suhl-Nord etwas Positives, denn die Natur würde sich alles zurückholen - und das mit anzusehen, sei schön. Der 27-Jährige ist in Suhl-Nord aufgewachsen und wohnt noch immer dort. Wo früher Wohnblöcke standen, ist längst das Grün schon durchgekommen. Am liebsten spaziert er durch die angrenzenden Waldgebiete, sagt Herzberg. In seinem Zeitungsartikel hat er einen Rundweg mit all seinen Lieblingsorten erstellt.

Insgesamt sind mehr als neun Beiträge entstanden von zehn Autorinnen und Autoren. Die frisch gedruckten Zeitungen werden jetzt über die Briefkästen in Suhl-Nord verteilt. Für eine zweite Ausgabe hat der Verein bereits einen Förderantrag gestellt. Mit der Stadtteilzeitung wollten sie nicht nur die unterschiedlichen Perspektiven der derzeitigen oder ehemaligen Bewohnerinnen und Bewohner Suhl-Nords aufzeigen, sondern auch eine Plattform des Erinnerns bieten.

Kooperationsprojekt plant Stadtteil für Gewerbe und Forschung

Der Verein wünscht sich, dass der Stadtteil im Gespräch bleibt, "ohne Verbitterung, ohne einen Blick von oben, ohne Zukunftsangst und auch ohne nostalgische Verklärung", heißt es. Um die Veränderungen der Zukunft zu meistern, bräuchte es vor allem aber auch einen Austausch mit den dort lebenden Menschen.

Die Fachhochschule Erfurt, die Landesentwicklungsgesellschaft Thüringen (LEG) und die Stadt Suhl haben gemeinsame Pläne für Suhl-Nord. Im September haben sie eine Kooperation unterzeichnet, um Suhl-Nord gemeinsam umzugestalten. So soll nach Angaben der LEG ein CO2-neutraler Stadtteil für Gewerbe und Forschung entstehen. Dabei soll der Schwerpunkt auf Holzwirtschaft und Fotovoltaik gelegt werden.

Umbau soll 2040 abgeschlossen sein

Die Revitalisierung der fast 150 Hektar großen Fläche soll 2040 abgeschlossen sein. Auch das Thüringer Wirtschaftsministerium will beim Aufbau eines Thüringer Holzclusters den Schwerpunkt auf Suhl-Nord legen. Die Abrissflächen, die der Stadt Suhl, der Städtischen Wohnungsgesellschaft (GeWo) und der Wohnungsbaugenossenschaft "Rennsteig" (AWG) gehören, sollen gemeinsam gewerblichen Investoren angeboten werden.

Fast 40 Hektar der Gesamtfläche sind jedoch im Privateigentum. Das würde gegen eine schnelle gewerbliche Nachnutzung sprechen, heißt es in dem Umsetzungskonzept. Denn die Privatflächen würden verstreut liegen und die Rechte sind teilweise noch ungeklärt.

Im Bereich der Forschung wird sich jedoch in absehbarer Zeit in Suhl-Nord schon etwas tun. Denn die FH Erfurt startet im nächsten Jahr mit ihren Projekten und will vor Ort auch ein Büro beziehen. Für Studierende des Bachelorstudiengangs Forstwirtschaft und Ökosystemmanagement seien für April die ersten Lehrveranstaltungen im Suhler Stadtwald geplant, sagt Erik Findeisen von der FH Erfurt.

MDR (co)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Ramm am Nachmittag | 25. November 2022 | 15:00 Uhr

3 Kommentare

kleiner.klaus77 am 03.12.2022

Seit den 1990er Jahren herrscht in vielen ostdeutschen Städten eine fatale Entwicklung, Innenstädte und Neubaugebiete verfallen, aber gleichzeitig entstehen am Rand neue Neugebaugebiete diesmal als Einfamilienhaus- und Reihenhaussiedlungen anstatt die ursprünglichen Städte zu entwickeln. Städte hatten sich ursprünglich vom Zentrum nach außen entwickelt und vergrößert, wenn diese jetzt wieder verkleinert werden dann von außen nach innen und nicht die Innenstädte und Neubaugebiete veröden lassen!

DermbacherIn am 03.12.2022

Collagen zeigen aber nicht das Gestern und das heute und den Blick in die Zukunft zeigen sie auch nicht! Aber die Frage ist: wen bekommt man unter den örtlichen Gegebenheiten nach Schule Nord bzw wer möchte denn dort leben? Es ist nicht so richtig zu glauben, dass sich viele Menschen mit ihrem Neubaugebiet identifiziert haben!

kleiner.klaus77 am 03.12.2022

Ein Stadtentwicklungsprojekt, das meint ohne Grundsätze für Stadtentwicklung auszukommen ist von vornherein zum Scheitern teilt! Im übrigen, wer will in Suhl Nord nicht nur arbeiten, sondern auch leben?

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