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Transport in die UkraineZoll Erfurt prüft Donbass-Hilfe-Verein

08. September 2022, 10:13 Uhr

Der Zoll prüft die Aktivitäten eines Vereins, der Hilfsgüter in die umkämpften Separatistengebiete im Donbass in der Ukraine schickt. Nach MDR THÜRINGEN-Recherchen geht es um mutmaßliche Verstöße gegen EU-Sanktionen.

von Bastian Wierzioch, MDR THÜRINGEN

  • MDR-Recherchen: Ein Thüringer Verein kooperiert offenbar mit einer Organisation, die Kontakte zur selbsternannten pro-russischen "Lugansker Volksrepublik" hat.
  • Der Thüringer Verfassungsschutz hat den Donbass-Verein ebenfalls auf dem Radar.
  • Der Verein aus Thüringen und sein Kooperations-Partner in der Ost-Ukraine sollen Teil eines internationalen Separatisten-Unterstützer-Netzwerks sein.

Das Hauptzollamt Erfurt prüft die Aktivitäten eines Vereins, der humanitäre Hilfsgüter wie Krankenhausbetten oder Einwegkanülen in die von Russland kontrollierten Gebiete der Ostukraine schickt. Nach Recherchen von MDR THÜRINGEN geht es dabei um den Verdacht mutmaßlicher Verstöße gegen EU-Sanktionen.

Klar ist, der völkerrechtswidrige russische Angriffskrieg auf die Ukraine darf von Thüringern und Thüringerinnen in keiner Weise unterstützt werden. Es bedarf nun einer Überprüfung.

Thüringer Innenministerium

Verein unterstützt Separatistengebiete

Der Verein "AK Zukunft Donbass" mit Sitz in Ruhla im Wartburgkreis sammelt und transportiert seit mehreren Jahren Hilfsgüter in die umkämpften Separatistengebiete im Donbass. Dabei fallen humanitäre Hilfstransporte eigentlich nicht unter das EU-Sanktionsregime. Allerdings kooperieren die Thüringer bei den Lieferungen mit dem fast gleichnamigen Verein "Zukunft des Donbass" mit Sitz in Lugansk.

Nach Recherchen von MDR THÜRINGEN unterhält diese Organisation ausgezeichnete Kontakte zu den Anführern der selbsternannten "Lugansker Volksrepublik" (LNR) und liefert regelmäßig Güter wie Sprechfunkgeräte an die Frontkämpfer der Separatisten. Die Machthaber der Region werden von der russischen Regierung kontrolliert.

Darüber hinaus sind der Thüringer Verein sowie sein Kooperations-Partner in der Ostukraine Teil eines internationalen Unterstützernetzwerks, das für pro-russische Akteure in der Region Lugansk Sach- und Geldspenden einsammelt. Zu den deutschen Spendern von humanitären Gütern an den Verein in Ruhla zählten in der Vergangenheit unter anderem das Helios Klinikum Meiningen, das Pflegeheim "Ambiente" in Erfurt sowie das Uniklinikum Jena.

Lieferungen "propagandistisch ausgenutzt"

Das Thüringer Amt für Verfassungsschutz hat "AK Zukunft Donbass" ebenfalls auf dem Radar. "Selbstverständlich sehen wir eine Vielzahl von Aktivitäten, die im Zusammenhang mit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine stehen", teilte der Geheimdienst auf Anfrage mit. "In diesem Zusammenhang sind uns auch verschiedene Initiativen und Vereinigungen im Lande bekannt."

Darüber hinaus sagte ein Behördensprecher, dass eine "etwaige Lieferung von Gütern aus Deutschland in die Ostukraine zur Unterstützung pro-russischer Stellen durch russische staatliche oder staatsnahe Stellen propagandistisch ausgenutzt werden" könnte. Die jüngsten Entwicklungen hätten gezeigt, dass die genannten Stellen vergleichbare pro-russische Positionen in westlichen Staaten unmittelbar aufgreifen und für eigene Zwecke heranziehen.

Konkreter wollte sich das Amt nicht äußern und nannte als Ursache für die Zurückhaltung: "Derartige öffentliche Stellungnahmen sind insbesondere für ausländische Nachrichtendienste insofern interessant, als sie Schlüsse über unsere Abwehrmaßnahmen und operativen Maßnahmen zulassen würden."

35 Hilfstrucks in die Separatistengebiete

Erst am vergangenen Donnerstag wurde ein weiterer Truck von "AK Zukunft Donbass" in Erfurt beladen - nach Angaben des Vereins unter anderem mit 31 Rollatoren und 17 Rollstühlen. Zielort der Fracht war erneut die Region um die Stadt Lugansk in der Ostukraine. Nach eigenen Angaben hat der Verein seit dem Jahr 2016 insgesamt 35 Hilfstrucks dorthin geschickt. Beladen wurden die Fahrzeuge in Ruhla und Erfurt.

Nach Recherchen von MDR THÜRINGEN werden die Lkw, deren Auflieger-Planen nicht beschriftet sind, von belarussischen Fahrern über Polen, Weißrussland und Russland in die Separatistengebiete gebracht. Zahlreiche dieser Transporte wurden von den beiden kooperierenden Organisationen ausführlich auf Facebook, Telegram sowie auf der in Russland und der Ukraine beliebten Social-Media-Plattform VKontakte (VK) dokumentiert.

Spenden von Thüringer Krankenhäusern

Das Gebiet im Donezkbecken steht seit 2014 auf der Sanktionsliste der EU. Diese Liste ist extrem umfangreich. Beispielsweise dürfen Löt- und Schweißmaschinen, Stromerzeugungsaggregate, Kompasse oder Waschmaschinen und Trockner nicht eingeführt werden. Ausdrücklich keinen Exportbeschränkungen hingegen unterliegen laut EU-Verordnung "medizinische Ausstattungen und medizinische Untersuchungsgeräte". So dürften also auch Spenden, die Thüringer Gesundheitseinrichtungen an den Verein in Ruhla gegeben haben, nicht illegal in die Ostukraine gebracht worden sein.

Das Helios Klinikum Meiningen etwa hatte im Februar "115 noch voll funktionsfähige Krankenhausbetten" gespendet. Das Uniklinikum Jena bestätigte auf MDR-Anfrage, in den Jahren 2016, 2017 und 2019 "Mobiliar und andere Verbrauchsgüter" abgegeben zu haben. Beide Häuser teilen mit, dass aktuell keine weiteren Spenden an den Verein vorgesehen seien. Auch das Erfurter Pflegeheim "Ambiente" soll laut Verein in jüngerer Vergangenheit unter anderem 18 Pflegebetten gespendet haben. Auf Fragen dazu reagierten die Heimverantwortlichen nicht.

Bei der Wartburg-Sparkasse unterhält "AK Zukunft Donbass" ein Spendenkonto. Die Spendenplattform "Betterplace", die ihren Zahlungsverkehr über den US-Dienstleister Paypal abwickelt, hat dem Verein inzwischen mit Verweis auf das von den USA verhängte Russland-Embargo gekündigt.

"Westliche Politikerclique"

Diese Begründung war bei den Verantwortlichen von "AK Zukunft Donbass" auf Empörung gestoßen. "Da ist etwas mächtig in Schieflage", hieß es im Facebook-Kanal der Vereinigung. Dort muss man nicht lange suchen, um auf pro-russische Kommentare zu stoßen. So war vier Tage vor Beginn des russischen Angriffskrieges zu lesen: "Nicht alle können oder wollen evakuiert werden. Für diese Menschen sind unsere Spenden. Gerade jetzt, wo die westliche Politikerclique die Vorgänge im Donbass derart verdreht und ignoriert, müssen und werden wir handeln."

Im Juli kurz nach der Eroberung der ukrainischen Stadt Lyssytschansk durch russische Truppen hieß es: "Gestern war ein wichtiger Tag für die Menschen in der Lugansker Volksrepublik. Mit der Befreiung und Einnahme der Stadt Lisitschansk wurde das Territorium der LNR vollständig unter Kontrolle der Volksmilizen der LNR und der Streitkräfte der RF gestellt." Das Kürzel "RF" steht für "Russische Föderation".

Partnerorganisation liefert Walkie-Talkies ins Kampfgebiet

Beim Entladen der Thüringer Lkw in Lugansk - das zeigen zahlreiche Videos und Fotos - helfen Männer in Tarnanzügen mit. Aufnäher weisen einige darunter als Angehörige des "Staatlichen Zollkomitees" der Lugansker Volksrepublik aus. Teilweise laden Mitglieder des sogenannten "Lugansker Kosakenbezirks", einer Art Freiwilligenarmee, Kartons und Säcke in Kleinbusse und kleine Lastwagen um.

In einem Video ist darüber hinaus zu sehen, wie Teile der Lieferungen aus Deutschland mit einem Militärlaster weitertransportiert werden. Dieses Fahrzeug trägt mehrfach den Buchstaben "Z" auf Führerhaus und Auflieger-Plane. Dazu hieß es auf der Facebook-Seite der Thüringer: "Wenn es andere Lastwagen gäbe mit denen man ins Frontgebiet fahren könnte, würden wir die gern benutzen." Der lateinische Buchstabe "Z" gilt im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine als Symbol für die Unterstützung der russischen Regierung und Armee.

"Unterstützung an vorderster Front"

Die Lugansker Gruppierung ruft auch dazu auf, für "die Jungs an der Front" zu spenden: "Wir brauchen unsere Unterstützung an vorderster Front." Auf der Plattform VK wird schließlich gezeigt, was bereits geliefert wurde: Lebensmittel, Medikamente, Hygieneartikel, Kleidung sowie Sprechfunkgeräte. In einem Video ist zu sehen, wie ein Paket mit Walkie-Talkies auf dem Hof der Lugansker Organisation in den Kofferraum eines Kleinbusses verladen wird. Anschließend wird dasselbe Paket an anderer Stelle von Männern in Kampfanzügen auspackt.

Laut EU-Sanktions-Verordnung wäre es dem Thüringer Partner der Lugansker Organisation unter Umständen verboten, Sprechfunkgeräte in die Region Lugansk zu bringen. Solche Geräte gelten als "Güter mit doppeltem Verwendungszweck". Ihr Export muss genehmigt werden, wenn beispielsweise eine "militärische Endverwendung" vorgesehen ist.

Internationales Separatisten-Unterstützer-Netzwerk

Darüber hinaus zeigen MDR-Recherchen, dass die beiden fast gleichnamigen Vereine nicht alleine agieren, sondern Teil eines internationalen Separatisten-Unterstützer-Netzwerks sind. Eine zentrale Rolle dabei spielt der Telegram-Kanal "VC Landsleute in Deutschland und in der Schweiz", der teilweise aus der Schweiz betrieben wird. Mittels dieses Chats werden ebenfalls Geld- und Sachspenden wie Zigaretten, Feuerzeuge, Taschenlampen oder Batterien für die LNR-Frontkämpfer gesammelt.

In den dazugehörigen Aufrufen ist unter anderem die Rede von "Männerkleidung für Zivilpersonen und an die Front". Unter einem Foto, das Pakete mit Zucker, Keksen und Pralinen zeigt, ist zu lesen: "Die Sendungen gehen an das 204. Regiment. Charkower Richtung." Zumindest diskutiert wird in diesem Telegram-Kanal auch, ob man "weiterhin für humanitäre Hilfe für das Militär oder für spezifischere Geräte, die dazu beitragen, diesen Krieg schneller und mit weniger Verlusten für uns zu beenden", sammeln sollte. Als Beispiele werden Drohnen, Wärmebildkameras und Zielfernrohre genannt.

Dabei scheint der Ruhlaer Verein für das Spenden-Management der Schweizer eine bedeutende Rolle zu spielen: Als Sammelstelle für die gespendeten Güter wird eine Privatadresse in Kaufbeuren sowie die Postadresse von "AK Zukunft Donbass" in Ruhla angegeben. Wörtlich heißt es dazu in dem Chat: "Wir werden alles an einem Punkt - Bayern! – sammeln. Dort werden die aktiven Mädchen, mit denen uns das Schicksal zusammenführt hat, die ganze Fracht ordentlich zusammenstellen, verpacken und nach Erfurt schicken, die dann nach der Verladung in die LKW’s direkt in die LVR transportiert wird." Für die Kontaktaufnahme gaben die Schweizer die Internetadresse von "AK Zukunft Donbass" an.

Dass diese Lieferkette zu funktionieren scheint, zeigte sich zu Beginn der vergangenen Woche. Bei Facebook teilte der Verein in Ruhla mit: "Megagroßes Dankeschön! Wir haben unerwartet Unterstützung erhalten von der Initiative DCH Landsleute. Eine Gruppe von hoch engagierten Menschen hier in Deutschland und der Schweiz die sich an der Sammlung von Spenden für die Menschen im Donbass beteiligt haben." Dazu postete der Verein Fotos von Hilfspaketen. Dieselben Fotos luden die Schweizer fast zeitgleich in ihrem Telegram-Kanal hoch. Was sich konkret in diesen Spendenboxen befand, ist unklar. Der Ruhlaer Verein hat auf eine ausführliche MDR-Anfrage nicht reagiert.

MDR (cfr/fno)

Dieses Thema im Programm:MDR THÜRINGEN - Das Radio | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 08. September 2022 | 19:00 Uhr