Bildungspolitik Brombeer-Pläne gegen Unterrichtsausfall: Lehrer und Eltern skeptisch

06. Februar 2025, 09:24 Uhr

Seit Jahren fällt immer mehr Unterricht an Thüringer Schulen aus. Die neue Landesregierung will diesen Trend stoppen und am besten umkehren. In ihrem 100-Tage-Programm plant sie, den Unterrichtsausfall bis Ostern zu reduzieren. Doch Lehrer- und Elternvertreter sind skeptisch: Sind die Pläne umsetzbar?

Unterrichtsausfall auf unter zehn Prozent senken

Die neue Thüringer Landesregierung aus CDU, BSW und SPD hat Mitte Januar ein 100-Tage-Programm veröffentlicht, in dem sie ihre ersten 50 Vorhaben vorstellt. Bis Ostern sollen Projekte unter anderem in den Bereichen Gesundheit, Wirtschaft und Bildung umgesetzt werden. Ein Ziel: den Unterrichtsausfall im Land auf unter zehn Prozent zu senken.

Das Zehn-Prozent-Ziel - kaum Verbesserung?

Ein Blick auf die vergangenen Jahre zeigt aber: Dieser Wert wurde nur selten überschritten. Im Jahresmittel fielen an allgemeinbildenden Schulen in Thüringen nur im Schuljahr 2022/2023 mehr als zehn Prozent der Stunden aus, ebenso in den ersten Monaten des Schuljahres 2024/2025. Seit gut zehn Jahren nimmt der Anteil der ausgefallenen Stunden allerdings tendenziell zu.

Über die Statistik

Das Thüringer Bildungsministerium erhebt dreimal im Schuljahr den Anteil des ausgefallenen Unterrichts: zu Schuljahresbeginn, im Herbst im ersten Schulhalbjahr und im Frühjahr im zweiten Schulhalbjahr. Dafür wird die Zahl der ausgefallenen Stunden aller Schulen innerhalb einer bestimmten Woche erfasst. Sport-, Musik- und Sprachengymnasien werden nicht berücksichtigt.

Die Umsetzung der Brombeerpläne - nur noch zehn Prozent Ausfall - wäre unter Umständen kaum spürbar, wie ein Rechenbeispiel zeigt: Einer Schülerin mit 30 Stunden Unterricht in der Woche fehlen bei elf Prozent Ausfall 3,3 Unterrichtsstunden. Senkt man die Ausfallquote auf zehn Prozent, fallen drei Unterrichtsstunden aus. Die Schülerin hätte also 0,3 Unterrichtsstunden mehr. Oder anders gesagt: Sie hätten rund 15 Minuten mehr Unterricht pro Woche.

In der Realität unterscheidet sich der Unterrichtsausfall allerdings stark von Schule zu Schule und auch von Jahr zu Jahr. An der Novalis-Grundschule in Schlöben im Saale-Holzland-Kreis zum Beispiel sind in den ersten Monaten des Schuljahres 2023/2024 nur 0,4 Prozent des Unterrichts ausgefallen. An der staatlichen Regelschule "Johann Wilhelm Heimbürge" in Kahla waren es zu Beginn des Schuljahres 2022/23 hingegen 21 Prozent. Aktuell, im Herbst 2024/2025, beträgt der Unterrichtsausfall dort 9,6 Prozent - "trotz vier paralleler Elternzeiten", wie die Schulleitung mitteilt.

"Drei Stunden Ausfall in der Woche sind schon verdammt viel"

"Wenn wir auf eine Stunde Ausfall in der Woche kommen, ist das wünschenswert. Drei Stunden sind schon verdammt viel," sagt Peter Oehmichen von der Landeselternvertretung Thüringen. Er glaubt nicht, dass die neue Regierung den Unterrichtsausfall innerhalb von drei Monaten spürbar reduzieren kann: "Das ist nicht realistisch. Das Ziel ist schön und gut, aber es wird sehr schwer umzusetzen sein."

Er wünscht sich mehr Sicherheit für Lehramtsanwärter. Den "Einstellungsturbo" aus dem 100-Tage-Programm begrüßt er. Die Landesregierung will jedem Absolventen eine Stelle anbieten. Wichtig ist Oehmichen aber vor allem, dass der geplante Unterricht auch stattfindet: "Eigentlich sollte der Unterricht gar nicht ausfallen."

Regierungspläne: Ressourcen umverteilen und Lehrer entlasten

Wie die Landesregierung den Unterrichtsausfall innerhalb von 100 Tagen verringern möchte, geht aus dem elfseitigen Programm nur teilweise hervor. Es sollen "Ressourcen umverteilt" werden. Lehrer von Schulen ohne große Probleme mit Unterrichtsausfall sollen dort eingesetzt werden, wo besonders viel Unterricht ausfällt.

Außerdem sollen Lehrer von "bürokratischen Aufgaben" entlastet werden. Konkrete Angaben zu geplanten Maßnahmen machte die Landesregierung nicht. Auf eine Anfrage dazu konnte das Bildungsministerium binnen einer Woche nicht antworten.

Bürokratieabbau? - "Weiß nicht, was damit gemeint ist"

Auch Kathrin Vitzthum, die Thüringer Landesvorsitzende der Bildungsgewerkschaft GEW, ist skeptisch. Einerseits freut sie sich, dass die Regierung die Probleme angehen will: Sie lobt, dass der neue CDU-Bildungsminister Christian Tischner sich dieser Aufgabe stellt. Andererseits bleibt für sie vieles unklar, was die Regierung ankündigt.

Zum Beispiel der Vorschlag, Lehrer aus gut versorgten Regionen in besonders belastete Schulen zu schicken: Das geschehe derzeit bereits im Rahmen der sogenannten Abordnung von Lehrkräften. Viele zusätzliche Möglichkeiten scheine es nicht zu geben, die Lage zu verbessern.

Den Regierungsplan, die Lehrer von "bürokratischen Aufgaben" zu entlasten, nimmt die Gewerkschaftsvorsitzende verblüfft zur Kenntnis: "Da ist mir überhaupt nicht klar, was er damit meint. Die Lehrkräfte machen sowieso viele ihrer Tätigkeiten außerhalb der Unterrichtszeit. Dadurch wird keine weitere Unterrichtsstunde generiert."

Wenn jemand als Springer mal in der einen, mal in der anderen Klasse einspringt, kann man vielleicht sagen: Da fällt der Unterricht nicht aus. Aber bei der Qualität darf man doch ein bisschen ein Fragezeichen machen.

Kathrin Vitzthum, Landesvorsitzende GEW Thüringen

Stattdessen könnten Lehrkräfte zum Beispiel von Lehramtsstudierenden unterstützt werden, die neben dem Studium in der Nähe ihrer Universität einige Stunden pro Woche unterrichten. Das Problem bei dieser Idee und bei der "Abordnung": Statistisch gesehen fällt weniger Unterricht aus, aber die Qualität leidet.

"Wenn jemand als Springer mal in der einen, mal in der anderen Klasse einspringt, kann man vielleicht sagen: Da fällt der Unterricht nicht aus. Aber bei der Qualität darf man doch ein bisschen ein Fragezeichen machen," sagt Kathrin Vitzthum.

Vitzthums Wunsch: Egal, wie die Probleme gelöst werden - es dürfe nicht zu mehr Belastung für die Lehrkräfte kommen. Denn das würde am Ende das Problem wieder nur verschärfen: Die Lehrkräfte würden öfter krank, müssten wieder von Kollegen vertreten werden - die dann wiederum stärker belastet würden.

Für die Gewerkschafterin ist entscheidend: "Wenn wir Lehrkräfte entlasten, können wir dafür sorgen, dass sie weniger krank werden - und damit auch weniger Vertretungen von den übrig gebliebenen Lehrkräften übernommen werden müssen."

MDR

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Nachrichten | 06. Februar 2025 | 06:13 Uhr

22 Kommentare

Nudel81 vor 7 Wochen

@Freies Moria: Leider gibt ihn Pisa nicht Recht und Deutschland schneidet international aber auch im europäischen Vergleich immer schlechter ab. Wieviel Potenzial ließe sich bündeln bei einer zentralen Bildungspolitik. Aber wer möchte schon sein gemütlichen Ministerposten räumen zum Wohle der Kinder. 17 Bildungsminister plus Beamte sind wirklich zu viel.

Zum praktischen Teil: Fragen Sie mal Eltern mit schulpflichtigen Kinder wie ein Umzug in anders Bundesland ist.

goffman vor 7 Wochen

Stimmt, Sportvereine und Musikschulen kosten Geld.
Gerade in einer Wirtschaftskrise wäre es sinnvoll, wenn der Staat schuldenfinanziert mehr Geld in die Hand nimmt (vgl. Keynes). Generell sollte das aber weniger ein Problem sein. Bildung und Gesundheit sollten uns das wert sein.

Was den Trainer/Sportlehrer angeht: sicherlich besteht ein Unterschied zwischen Schule und Verein. Für uns als Gesellschaft wäre es wünschenswert, wenn die sportliche oder auch musikalische Betätigung nicht mit der Schulzeit endet.
Schulsport endet mit der Schulzeit. Wenn man in den höheren Klassen den Schulsport teilweise durch Vereinssport ersetzen würde, wäre die Wahrscheinlichkeit hoch, dass viele diesen auch nach der Schulzeit weiterführen.

Tamico161 vor 7 Wochen

Da bin ich völlig bei Ihnen, zumal in den danach aufzulösenden Kultusministerin der Länder sich noch ne Menge Lehrer sitzen, die dann zurück an die Schulen könnten!?

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