Krieg in der Ukraine Verfassungsschutz-Chef bezeichnet AfD als "Multiplikator russischer Propaganda"

17. März 2022, 05:00 Uhr

Der Thüringer Verfassungsschutz beklagt die Verbreitung von Falschnachrichten zum Ukraine-Krieg. Dabei agiere auch die AfD als "Multiplikator" russischer Propaganda. Ein Beispiel.

"Wer sich in diesem Konflikt auf nur irgendeine Seite stellt hat nichts verstanden", schrieb Thomas Rudy drei Tage nach dem russischen Überfall auf die Ukraine bei Facebook. "Die Ukrainer sehen nur ihre Unabhängigkeit vor Augen. Dass diese Unabhängigkeit nur neue Abhängigkeiten von der NATO/EU brächte, ist ihnen egal."

Aus Sicht des Thüringer AfD-Landtagsabgeordneten seien die "Handlungen beider Seiten aus ihrer Perspektive nachvollziehbar". Er selbst wende sich "weder gegen die tapferen Ukrainer, welche ihren Heimatboden verteidigen, noch gegen Russland als Staat, welcher die Aggressionen der NATO nach seinen Möglichkeiten" kontere.

Höcke: Ukraine Opfer eines Ost-West-Konfliktes

Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine wird auch in Reihen der AfD diskutiert. Dabei äußerte sich die Parteispitze in Berlin deutlich. So betonte etwa der Bundespartei-Vorsitzende Tino Chrupalla noch am Tag des Überfalls, der Angriff Russlands auf die Ukraine sei "durch nichts gerechtfertigt".

Die Thüringer AfD hingegen hielt sich mit deutlichen Wortmeldungen zum Krieg in der Ukraine zunächst zurück. Zwar forderte auch der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke am Tag des Überfalls die "Kriegshandlungen sofort einzustellen". Gleichzeitig aber bezeichnete er die Ukraine als "Opfer einer geopolitischen Auseinandersetzung auf globaler Ebene zwischen der NATO (Westen) und Russland (Osten)".

Thüringer AfD-Fraktion: Keine eigene Position zum Ukraine-Krieg

Auf aktuelle Anfrage teilte der parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Landtagsfraktion Torben Braga mit: "Die Vorgänge in der Ukraine waren Gegenstand von Gesprächen und Diskussionen in der Fraktion. Eine eigene, über Björn Höckes Mitteilung hinaus gehende Positionierung wurde von der Fraktion bisher jedoch nicht beschlossen".

Allerdings teilte Braga mit, dass sich seine Fraktion nun "dem Positionspapier der AfD-Bundestagsfraktion" angeschlossen habe. Darin "verurteilen" die Bundestagsabgeordneten der AfD den "völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands". Zudem spricht sich die Berliner Fraktion in dem Papier gegen "Waffenlieferungen und pauschale Wirtschaftssanktionen" aus. Laut AfD-Mandatsträger Rudy in Thüringen aber könne man über "Sanktionen" ohnehin nur "lachen". Diese "Kriegserklärung an Russland" sei "schon lange ausgeschöpft".

Innenministerium und Verfassungsschutz alarmiert

Zwei Tage vor dem Überfall auf die Ukraine hatte Thomas Rudy bei Facebook geschrieben: "Nachdem Tymoschenko aus dem Weg geräumt war, begann in der Ukraine das blanke Chaos, einhergehend mit immer neuen Unruhen, die die Ukraine aber tatsächlich immer weiter weg von Russland, hin zur Nato und EU führten."

Laut Rudy hätten letztendlich "Nationalsozialisten und Faschisten das Regime" übernommen. Sie "kleideten sich in Uniformen mit Hakenkreuzen und SS-Zeichen, nannten ihre Einheiten nach Wehrmachtsverbänden und führten die Ukraine weg von Russland, hin zur Nato". "Die Bevölkerung" leide "extrem unter den Neonazis." Dem Kreml zufolge wird die Ukraine von "Neonazis" regiert, deren Regime unter der Bevölkerung in der Ostukraine einen "Genozid" verübe.

Es sind Wortmeldungen wie die von AfD-Mann Rudy, die die Sicherheitsbehörden bereits vor einigen Jahren auf den Plan gerufen haben. Der Chef des Thüringer Amtes für Verfassungsschutz Stephan Kramer sagte dazu auf MDR-Anfrage: "Putins Vordenker Alexander Dugin pflegt seit Jahren enge freundschaftliche Kontakte zur Neuen Rechten und auch zur AfD. Das zahlt sich heute aus. Die AfD ist ein treuer Freund Russlands und ein Multiplikator der russischen Propaganda." Putin investiere "finanziell und politisch in die Neue Rechte", so Kramer.

Stephan Kramer,  Präsident des Thüringer Amtes für Verfassungsschutz
Laut Thüringens Verfassungsschutz-Chef Stephan Kramer verbreitet die AfD russiche Propaganda. Bildrechte: imago images / Jacob Schröter

Abgeordneter spricht von "Anti-AfD-Polemik"

Diese Kritik weist der parlamentarische Geschäftsführer der Erfurter AfD-Fraktion Torben Braga zurück. Die AfD trete für Völkerverständigung ein und sei davon überzeugt, dass eine stabile Friedensordnung in Europa nur unter Einbeziehung Russlands möglich sein sei, sagte der AfD-Politiker auf MDR-Anfrage und ergänzte: "Dass Herr Kramer diese in Gesellschaft und Politik weit verbreiteten, weil richtigen und jedenfalls alles andere als verfassungsfeindlichen Überzeugungen für seine anti-AfD-Polemik missbraucht, wundert zwar nicht, beweist aber einmal mehr seine Ungeeignetheit für das Amt, das er innehat."

Torben Braga (AfD)
Der parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Frakion Torben Braga weist Kritik zurück. Bildrechte: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Martin Schutt

Innenminister Maier beklagt Verbreitung von Falschmeldungen

Thüringens Innenminister Georg Maier hatte bereits Ende Februar eine zunehmende Verbreitung von Falschnachrichten im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg in sozialen Netzwerken kritisiert. "Es geht darum, einen aggressiven, völkerrechtswidrigen Akt in irgendeiner Weise zu relativieren", sagte der SPD-Politiker. "Unterirdisch" sei dabei die Behauptung, die Nato trage eine Mitschuld an dem Krieg. Solche Erzählungen würden gezielt von bestimmten Gruppen verbreitet: "Rechtsextremistische Gruppen, Querdenker-Gruppen, aber auch die AfD - das sind die Multiplikatoren für diese Verschwörungstheorien und auch für die Desinformation", sagte der Innenminister.

Von Maiers Einschätzung scheint sich die Thüringer AfD unbeeindruckt zu geben. Erst vor wenigen Tagen veröffentlichte Parteichef Höcke bei Facebook einen Text, in dem er das EU-weite Verbot des russischen Propagandasenders "RT DE" (früher „Russia Today“) als "Zensurmaßnahme" kritisiert.

"Jüdische Komponente"

Thomas Rudy verbreitete wenige Tage nach dem Überfall auf die Ukraine bei Facebook einen weiteren Text, in dem es hieß: "Es war immer der Westen, der den Hasardeuren in Kiew den Rücken gestärkt hat und so eine Lösung des Konflikts verhindert hat". Wenn "Russland jetzt seine schützende Hand offiziell über die Bürger der Ostukraine" halte, werde "für Kiew der Preis hoch werden". Der Text, aus dem diese Zitate stammen, trägt die Überschrift: "Welche Rolle spielt die jüdische Komponente im Ukraine-Konflikt?"

Darin wird auch darüber nachgedacht, ob Menschen jüdischen Glaubens im Krieg gegen die Ukraine eine Rolle spielen könnten? Wörtlich heißt es: "Fakt ist, dass die Ukraine von khasarischen Juden beherrscht wird, Politiker und Oligarchen. […] Es ist mit Juden/Khasaren dasselbe wie mit jeder Ethnie: Wenige Prozent sind abgrundtief schlechte Charaktere, machtgierige Psychopathen. Das Problem ist nur, dass diese skrupellosen Schurken es geschafft haben, überall Positionen zu erobern, die es ihnen erlauben, den 95 Prozent anständigen Menschen ihre kriegerische Agenda aufzuzwingen."

Rudys Russland

Der gebürtige Baden-Württemberger Rudy, der für die AfD seit 2014 im Thüringer Landtag sitzt, zeigt offenbar seit mehreren Jahren große Sympathien für Putins Russland. Davon zeugen nicht nur seine zahlreichen Wortmeldungen bei Facebook. Häufig verlinkte er dabei in den vergangenen Jahren zu den russischen Medien-Plattformen "RT" und "sputnik news", die heute in der EU nicht mehr erreichbar sind.

Im November 2016 – rund zwei Jahre nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland – postete Rudy: "Die Krim hat sich verabschiedet von der Ukraine! Das ist Fakt! Diese korrupte Regierung in Kiew wird nicht mehr lange Bestand haben. Die Menschen sind dort sehr unzufrieden mit diesen EU-hörigen Putschisten. Die sind auch nicht rechtmäßig in Ihre Ämter gekommen, es war ein von der EU und den USA finanzierter Staatsstreich."

Besuche in Ost-Ukraine und Bergkarabach

Wenige Monate zuvor, im Juli 2016, war Rudy, der sich in der Erfurter AfD-Landtagsfraktion auch als Sprecher für Infrastruktur Verkehr und Wohnen engagiert, selbst in die Ost-Ukraine geflogen gemeinsam mit dem baden-württembergischen AfD-Landtagsabgeordneten Udo Stein. Zum Zeitpunkt der Reise fanden dort, in den von prorussischen Separatisten besetzten Gebieten, Vorwahlen statt.

Im Jahr darauf reiste Rudy als Wahlbeobachter nach Bergkarabach. 2017 wurde die Region, die auf dem Staatsgebiet Aserbaidschans liegt, von Armenien regiert - mit Unterstützung Russlands. Über diese Reise hatte damals der FDP-Europa-Politiker Alexander Graf Lambsdorff der Wochenzeitung "Die Zeit" gesagt: "Durch ihren Besuch werden die Mandatsträger der AfD zu Marionetten der russischen Regierung."

In der Rückschau sieht dies der Thüringer Verfassungsschutz offenbar ähnlich. Behördenleiter Kramer sagte MDR THÜINGEN: "Auch als Besucher und Wahlbeobachter in den Krisenregionen sind AfD'ler gerne gesehen, um dann zu Hause ihr russlandpositiven Eindrücke öffentlich zu machen.“

Thomas Rudy hat den Erhalt mehrerer Anfragen von MDR THÜRINGEN bestätigt, diese inhaltlich aber nicht beantwortet.

MDR (nis)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 25. Februar 2022 | 18:00 Uhr

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