Newsblog Gegenwind für Kemmerich - SPD liebäugelt mit Opposition
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05. September 2024, 19:54 Uhr
In der Thüringer FDP gibt es Kritik am Landesvorsitzenden Thomas Kemmerich. Die Jungen Liberalen bemängeln fehlende Selbstreflexion. Ein Kreisverband fordert Verzicht auf eine erneute Kandidatur als Landesvorsitzender. Die Entwicklungen nach der Landtagswahl im Überblick.
- CDU und BSW haben sich zu einem ersten Gespräch getroffen.
- Linke-Politiker Gysi fordert Tolerierungsmodell durch Linke.
- Die FDP erhält nach ihrer Niederlage wieder Hilfe von der Bundespartei.
SPD | Opposition? Maier will die Basis fragen
Für Thüringens SPD-Chef und Innenminister Georg Maier ist nach dem ersten Gespräch mit der CDU der Rückzug der Sozialdemokraten in die Opposition nicht vom Tisch. Grund seien vor allem Vorbehalte innerhalb der Thüringer SPD gegen eine Koalition mit dem BSW. Die SPD sei sich ihrer staatspolitischen Verantwortung für Thüringen bewusst, eine Entscheidung nicht gefallen, betonte Maier.
Ein erstes Treffen mit CDU-Chef Mario Voigt habe es am Mittwoch gegeben, sagte Maier. Ihm liege auch eine Einladung vom Bündnis Sahra Wagenknecht für kommende Woche vor. Auch das sei ein Optionsgespräch, keine Sondierung, betonte er. Viele Sozialdemokraten seien empört, dass BSW-Vertreter die SPD im Wahlkampf als Kriegstreiberin hingestellt hätten.
Maier will nach eigenen Angaben in der kommenden Woche alle Thüringer SPD-Kreisverbände bereisen, "um sich ein Stimmungsbild zu verschaffen". Das Optionsgespräch mit dem BSW und die Haltung der Parteibasis lasse dann Rückschlüsse zu, "ob es eine Chance gibt". Im SPD-Landesvorstand gab es bereits am Tag nach der Landtagswahl Stimmen, in die Opposition zu gehen.
FDP | Kritik an Kemmerich
Die Jungen Liberalen Thüringen haben einen Neuanfang bei der Landes-FDP gefordert. Der aktuelle Zustand der Partei sei nicht zukunftsfähig, heißt es auf ihrer Internetseite. Es fehle an Selbstreflexion und der Fähigkeit, eigene Fehler zu erkennen und Verantwortung zu übernehmen. Stattdessen würden Versäumnisse auf die Bundesregierung geschoben.
Besonders kritisch wird demnach der FDP-Landesvorsitzende Thomas Kemmerich gesehen. Die notwendige Selbstkritik bleibe aus. Die Jungen Liberalen fordern die Thüringer FDP in diesem Zuge auf, gemeinsam den Neuanfang zu gestalten.
Auch der FDP-Kreisverband Eichsfeld mahnt Konsequenzen aus dem Wahlergebnis an. In einer Pressemitteilung fordert der Verband Kemmerich dazu auf, auf eine erneute Kandidatur als Landesvorsitzender zu verzichten. Die Wahlergebnisse zeigten unmissverständlich, dass die Unzufriedenheit in der Bevölkerung ein Niveau erreicht habe, dass nicht länger ignoriert werden könne.
Kemmerich habe während des auf ihn ausgerichteten Wahlkampfs Unterstützung und Vertrauen vom Landesverband erfahren, jedoch seien die versprochenen Ergebnisse ausgeblieben, hieß es. Nun müssten die politischen Entscheidungen der vergangenen Jahre und die Anliegen von Bürgerinnen und Bürgern kritisch aufzuarbeiten.
Bei der Landtagswahl am vergangenen Sonntag hatte die FDP eine herbe Niederlage hinnehmen müssen. Sie schaffte es nicht mehr in den Thüringer Landtag und scheiterte an der Fünf-Prozent-Hürde mit lediglich 1,1 Prozent der Wählerstimmen. Thomas Kemmerich selbst kam in seinem Wahlkreis Erfurt II auf 3,1 Prozent. Aus der Basis wurden Rücktrittsforderungen gegen ihn laut.
Mahnung | DGB mit Forderung zur Landtagswahl
Der DGB Hessen-Thüringen fordert alle im Landtag vertretenen Parteien außer der AfD zu einem einheitlichen Vorgehen angesichts der Wahl des Landtagspräsidenten auf. Der Vorsitzende des Gewerkschaftsbundes, Michael Rudolph, sagte am Freitag, bis zur konstituierenden Sitzung des Parlaments sei das entscheidend, um sicherzustellen, dass diese wichtige Position nicht von Vertretern rechtsextremer Parteien übernommen werde, "die Faschisten in ihren Reihen dulden".
Zudem müsse bis zur ersten Landtagssitzung ein Wahlvorschlag für den Ministerpräsidenten sowie das Bilden der Landesregierung in Übereinstimmung mit einer klaren parlamentarischen Mehrheit abgestimmt werden. Rudolph sagte, jetzt sei die Zeit, dass die demokratischen Parteien Geschlossenheit zeigen und sicherstellen, dass hohe Staatsämter in verantwortungsbewusste Hände gelegt würden. Es dürfe nicht passieren, dass die AfD Schlüsselpositionen im parlamentarischen System besetze.
Der Landtag muss sich spätestens 30 Tage nach der Wahl, also am 1. Oktober 2024, konstituieren. Die erste Sitzung beruft noch die bisherige Landtagspräsidentin Birgit Pommer (Linke) ein. Sie leitet diese aber nicht mehr.
Regierungsbildung | Erstes Gespräch von CDU und BSW
Thüringer Spitzenpolitiker von CDU und BSW haben sich nach der Landtagswahl zu einem ersten Gespräch in Erfurt getroffen. CDU-Chef Mario Voigt kam mit dem Generalsekretär der Partei, Christian Herrgott. Vom Bündnis Sahra Wagenknecht waren die beiden Landesvorsitzenden Katja Wolf und Steffen Schütz mit dabei.
Treffpunkt war ein eher ruhig gelegenes Café. Über was genau sich die Parteispitzen ausgetauscht haben, war zunächst unklar. Über die Inhalte des Gesprächs sei Stillschweigen vereinbart worden, sagte ein Sprecher der CDU. Zuvor hatte Herrgott angekündigt, dass es sich bei den ersten Gesprächen noch nicht um Sondierungs- oder gar Koalitionsgespräche handele. Ein Sprecher des BSW hatte im Vorfeld gesagt, es gehe darum, eine Vertrauensbasis zu schaffen.
Fraktion | Hoff macht Platz für Maurer
Der Linke-Politiker Benjamin Immanuel Hoff macht seinen Platz in der neuen Fraktion frei für die bisherige Abgeordnete Katja Maurer. Hoff, der bislang unter anderem Staatskanzleichef war, dankte auf seiner Website seinen Wählerinnen und Wählern für das Vertrauen. Und teilte mit, er habe sich in Absprache mit der "erfahrenen Abgeordneten Katja Maurer" entschieden, sein Landtagsmandat nicht anzunehmen. Hoff sagte, sein Platz bei der Linke "ist weiterhin dort, wo meine Erfahrungen und Kompetenzen als nützlich erachtet werden".
Hoff war im Wahlkreis Weimarer Land I/Saalfeld-Rudolstadt III angetreten, hatte dort nicht gewonnen und wäre nun aber über den Listenplatz acht seiner Partei in den Landtag eingezogen. Maurer hatte den Einzug ins Parlament knapp verpasst und war als Nachrückerin gesetzt. Die Linke holte bei der Landtagswahl am vergangenen Sonntag nur noch zwölf Sitze. Bisher waren es 29 gewesen.
Linke | Gysi plädiert für Oppositionsrolle
Der Linken-Politiker Gregor Gysi plädiert dafür, dass die Linke in Thüringen in die Opposition geht. Gysi sagte MDR AKTUELL, die Linke müsse einen Weg finden, eine neue Landesregierung zu tolerieren oder zu dulden. Das Problem einer Tolerierung sei aber, dass viel Absprache nötig sei. Der amtierende Ministerpräsident Bodo Ramelow von der Linken habe diese Arte des Regierens fünf Jahre hinter sich.
Gysi sprach sich entschieden gegen Parteiwechsel von Linke-Politikern hin zu BSW aus. Auch einen parteilosen Bodo Ramelow als Minister einer CDU-geführten Regierung hält der prominente Linke-Politiker Gysi für nicht denkbar. Auch Ramelow selbst hatte derartige Gerüchte wiederholt als abwegig bezeichnet.
Welche Optionen sich jetzt für eine neue Regierung in Thüringen bietet, lesen Sie hier in der Analyse:
Jena | Deutliche höhere Wahlbeteiligung in Jena
In Jena ist die Wahlbeteiligung zur Landtagswahl deutlich höher als im Landesdurchschnitt gewesen. Laut amtlich bestätigtem Ergebnis machten im Wahlkreis 37 westlich der Saale 80 Prozent der Wähler von ihrem Recht Gebrauch, im Wahlkreis 38 östlich der Saale lag die Wahlbeteiligung demnach bei 76,6 Prozent. In ganz Thüringen lag die Wahlbeteiligung mit 73,6 Prozent ohnehin höher als bei der vergangenen Landtagswahl 2019.
Das Direktmandat im Wahlkreis 37 (Jena I) gewann Jens Thomas (Linke) mit 33,5 Prozent und im Wahlkreis 38 (Jena II) Lena Saniye Güngör (Linke) mit 25,1 Prozent.
Wie Jena genau wählte, sehen Sie in der Datenauswertung:
Die Stadt Jena dankte am Donnerstag zudem den rund 1.200 freiwilligen Wahlhelfern. Sie hätten bei der Landtagswahl am Sonntag für einen reibungslosen Ablauf gesorgt, hieß es aus dem Rathaus. Viele der Helferinnen und Helfer waren den Angaben nach schon bei den Wahlen im Mai und Juni im Einsatz, es gab aber auch einige Neulinge.
Mittwoch, 4. September 2024
Landtag | Konstituierung muss binnen eines Monats erfolgen
Remptendorf | Wie die CDU-Parteibasis über die Koalitionsfrage denkt
Reaktion auf Wahlergebnis | Verbände befürchten Zunahme rechter Gewalt
Demo | Studierende und Mitarbeiter der Uni Jena demonstrieren
Auf einer Kundgebung haben am Mittwochmittag in Jena über 300 Studierende, Angestellte sowie Professorinnen und Professoren der Universität nach eigenen Angaben gegen den Rechtsruck im Land protestiert. Sie waren einem Aufruf der gewerkschaftlich-studentischen Initiative "Uni gegen Rechts!" und des Bündnisses "Rechtsruck stoppen" gefolgt. Angesichts des Wahlsieges der AfD in Thüringen fürchten sie deren verstärkte Einflussnahme auf die Politik und auch auf die Hochschulpolitik.
Kundgebungsteilnehmer sagten, sie sähen die Freiheit von Forschung und Lehre sowie die Souveränität der Universitäten und Hochschulen in Gefahr. Für internationale Studierende könnte es ebenso wie für queere Menschen gefährlicher werden in Thüringen, wenn es der AfD gelinge, weiter an Einfluss zu gewinnen.
Option | Linke nennt Rot-Rot-Rot als Regierungsoption
Nach der Landtagswahl hat die Thüringer Linke-Chefin Ulrike Grosse-Röthig eine rot-rot-rote Minderheitsregierung als eine Möglichkeit ins Spiel gebracht - also ein Bündnis aus BSW, Linke und SPD. "Die CDU kann jetzt hier nicht aussitzen und mal schauen, was in drei Monaten passiert", sagte die Linke-Chefin bei einer Landespressekonferenz in Erfurt. Es müsse schnell und verantwortlich gehandelt werden.
"Rot-Rot-Rot hat in Thüringen auch 36 Prozent", sagte sie. Wenn die CDU nicht koalieren, sondern toleriert werden wolle, dann könne sie am Ende auch Rot-Rot-Rot tolerieren.
Konferenz | Spitzenkandidaten äußern sich in Erfurt
Am Mittwochvormittag haben sich die Spitzenkandidaten der bisher im Landtag vertretenen Parteien und das BSW in der Landespressekonferenz geäußert. Björn Höcke sagte seine Teilnahme an der Landespressekonferenz ab. Die AfD wurde auch nicht durch einen anderen Politiker vertreten.
Die Fraktionen von CDU, BSW, Linke und SPD kündigten an, einen Parlamentspräsidenten der AfD abzulehnen. Die Linke erklärte, entgegen aller Gerüchte würde weder Bodo Ramelow noch ein anderer Abgeordneter aus ihren Reihen die Partei wechseln.
CDU und BSW wollen bis zum Ende der Woche ein Vorgespräch für mögliche Sondierungsgespräche führen. Dabei soll auch BSW-Chefin Sahra Wagenknecht dabei sein.
Orientierung | Wahl-O-Mat häufig genutzt
Mehr als eine Million Mal wurde im Vorfeld der Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen der Wahl-O-Mat genutzt. Dies seien deutlich höhere Nutzungszahlen als bei der vergangenen Landtagswahl, teilte die Bundeszentrale für politische Bildung mit. In Sachsen stieg die Zahl auf 674.000 (2019: 590.000), in Thüringen sogar von 237.000 auf 426.000 an.
Den Wahl-O-Mat gibt es seit 2002 und wurde seitdem zu Wahlen zum Europäischen Parlament, bei Landtags- und Bundestagswahlen eingesetzt. Er gibt Wählerinnen und Wählern im Internet anhand von Thesen über politische Themen eine Orientierung.
Treffen | Neue Fraktionen von AfD, CDU und BSW kommen zusammen
Am Dienstag haben sich bereits die zukünftigen Abgeordneten von AfD, CDU und des BSW zu ihren ersten Fraktionssitzungen getroffen.
Bei der AfD wurde dabei der bisherige Fraktionschef Björn Höcke einstimmig im Amt bestätigt. Nach der Fraktionssitzung des BSW erklärte ein Sprecher, die meisten neuen Abgeordneten seien Seiteneinsteiger. Ihre Praxiserfahrung sei dem Parlament in den vergangenen Jahren verloren gegangen. Der AfD-Parteivorstand hatte am Dienstagabend beschlossen, CDU und BSW zu Gesprächen über eine mögliche Regierungsbildung einzuladen.
Geld | Thüringer FDP erhält wieder Unterstützung von Bundespartei
Nach ihrer herben Niederlage bei der Landtagswahl erhält die Thüringer FDP wieder die volle Unterstützung von der Bundespartei. Das sagte der Geschäftsführer der Thüringer FDP, Tim Wagner: "Die FDP Thüringen erhält in Wahlkämpfen ab sofort wieder die gleiche finanzielle und personelle Unterstützung von der Bundes-FDP wie alle anderen Landesverbände." Das sei bereits vor der Landtagswahl so abgemacht worden - sofern die Thüringer keinen Wahlkampf gegen die Bundespartei mache und die Bundes-FDP ihnen keine Steine in den Weg lege. Nach der Wahl von Thomas Kemmerich zum Kurzzeit-Ministerpräsidenten vor vier Jahren hatte die Bundes-FDP dem Thüringer Landesverband die finanzielle Unterstützung gestrichen.
Mehr zur Landtagswahl in Thüringen und den Folgen
MDR (ost/dst/whe)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 04. September 2024 | 15:00 Uhr