ZusammenlebenAusstellung "ToleranzRäume" in Eisenach: Mit Wimmelbild und bunten Bändern
"Für Toleranz kannst Du Dich entscheiden" - mit diesem Slogan wirbt die Wanderausstellung "ToleranzRäume" gerade in Eisenach um Aufmerksamkeit. In einem auffälligen Container auf dem Marktplatz können Besucher erkunden, wie wichtig Toleranz, Respekt und Haltung für ein gutes Zusammenleben sind und wo sie ihre Grenzen haben. Nicht nur Schulklassen werden Führungen durch die öffentlich geförderte Ausstellung angeboten. Die Stadt hat ein umfangreiches Begleitprogramm organisiert.
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Der fällt schon ins Auge: Auf dem Eisenacher Marktplatz steht ein schwarzer Container, davor bunte Tische und Hocker, obendrüber eine Art großer Reifen, an dem Bänder in allen Regenbogenfarben flattern. Außen am Container sind Bildschirme angebracht, alle Seiten beklebt. "We’re open?!" ist an einer Stirnseite zu lesen, neben dem Eingang steht: "ToleranzRäume". Eine ungewöhnliche Wanderausstellung ohne Eintritt und Barrieren mitten in der Stadt.
Am Donnerstagvormittag ist eine 9. Klasse der Geschwister-Scholl-Regelschule mit ihren Schulsozialarbeitern zu Gast. Die Jugendlichen lassen sich auf den bunten Hockern nieder. Die städtische Gleichstellungsbeauftragte Ulrike Quentel erklärt ihnen, womit sie sich im Container, aber auch an den Stationen davor beschäftigen können.
Spiegelwand und Zitate
Gleich im Eingang befindet sich eine Spiegelwand - in Schubladen liegen Hörer mit Audio-Botschaften. Es geht darum, wie wir uns selbst sehen - und wie wir auf andere schauen. Wieso wir Schubladen im Kopf haben, um Menschen schnell einzuschätzen und warum wir diese Schubladen überdenken sollten. Daneben finden sich Zitate bekannter Persönlichkeiten über Offenheit, Mut, Identität, Haltung. An einem Bildschirm können die Besucher eigene Zitate hinterlassen.
Wimmelbild mit Alltagskonflikten
Den meisten Platz nimmt ein großes Wimmelbild einer Stadt ein. Viele verschiedene gesellschaftlichen Konflikte sind darauf abgebildet. Das reicht von einer Rollstuhlfahrerin, die nicht in ein Gebäude gelangt, über Klimaaktivisten, Windkraft- und Corona-Proteste bis zu einer völkischen Siedlergemeinschaft und Meinungsverschiedenheiten im Freibad.
Hinter zehn Klappen, zeigt Quentel den Jugendlichen, verbergen sich Suchaufgaben. Da müssen beispielsweise Stolpersteine gefunden werden und ein barrierefreier Weg für die Rollstuhlfahrerin. Hinter weiteren Klappen gibt es Lösungen und zusätzliche Informationen zu den Themen.
Kein erhobener Zeigefinger
Die "ToleranzRäume" sind ein Projekt des Vereins Toleranz-Tunnel. Ziel sei es, Toleranz ohne erhobenen Zeigefinger zu vermitteln, sagt Vorstandsmitglied Rainer Heller, der zur Eröffnung am Kindertag angereist war. Es gelte, Werte wie Toleranz, Offenheit und Respekt im Alltag sichtbar zu machen. "Alle Besucher finden sich in der Ausstellung wieder." Als typisches Alltagsbeispiel nennt Heller den Verkehr: Je nachdem, ob man als Fußgänger, Radfahrer oder Autofahrer unterwegs ist, stets werde auf die anderen geschimpft.
Ernste Folgen der Intoleranz
Wichtig ist ihm aber auch, auf die ernsten Folgen von Intoleranz hinzuweisen: Dann würden Sündenböcke gesucht, ob nach Religion, Nationalität oder Geschlecht - und das könne bis zum Genozid führen, sagt Heller. Auch dafür werden Beispiele im Container dokumentiert: Tödliche Anschläge und Übergriffe - wie beispielsweise auf dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke oder jüngst auf einen Transmann in Münster. Texte, Fotos, Videos zeigen diese Beispiele von ideologisch motivierter Gewalt - vom Nationalsozialismus bis heute.
Erste-Hilfe-Tipps
Die Grenze der Toleranz wird auch im Alltag oft erreicht, erklärt Ulrike Quentel und stellt den Jugendlichen die letzte Wand am Ausgang vor: "Erste Hilfe" steht darüber. Was kann ich tun - wenn ein Kind in der Schule ausgegrenzt wird, eine Frau sexistisch belästigt wird, ich ein Hass-Posting entdecke? Eine interaktive Station gibt Tipps, nimmt aber auch welche auf und reicht sie an die Besucher weiter.
Eine Stunde Zeit haben die 14- bis 15-Jährigen, um alles zu erkunden. Das ist nicht viel. Eine Hörstation, zwei Aufgaben auf dem Wimmelbild, ein-zwei Fälle bei den Übergriffen. Mehr Zeit nehmen sie sich draußen, beispielsweise am gelben Tisch mit der Aufschrift "Lass uns reden!" Da dürfen sie mit Stiften direkt auf die Platte schreiben, was sie bewegt zum Thema Toleranz. Kurz gibt es eine Ost-West-Diskussion - was ist besser?
Diskussion über Vorurteile
Dann geht es um Vorurteile, die sie kennen: dass Frauen schwächer seien als Männer, sagt ein Mädchen. Ein Junge hakt ein: Männer seien dumm, das werde auch oft gesagt, die könnten nicht denken und seien nur Arbeitstiere. Vorurteile gegen LGBTQ, also gegenüber Menschen mit einer anderen geschlechtlichen oder sexuellen Orientierung?
Darüber müsse man nicht reden, sagt ein Mädchen: "Das wird auch in 500 Jahren nicht akzeptiert werden." Andere widersprechen: "Wenn wir jetzt nicht darüber reden, wird es erst recht nicht besser", sagen sie und verweisen auf die Frauenrechte, die auch erst erkämpft werden mussten.
Besuchermeinung gefragt
Auf der Rückseite des Containers können sie ihre Meinung abgeben: Ist unsere Gesellschaft tolerant? Führen wir politische Debatten fair? Bin ich anderen Meinungen gegenüber offen - und wird meine Meinung genug gehört?
Chiara und Noemi markieren ihre Ansichten auf der Skala zwischen ja und nein mit farbigen Aufklebern. Die Gesellschaft sei nicht sehr tolerant, findet Noemi. Aber die Ausstellung hat ihr gefallen, gerade für Jugendliche, die sich erst orientieren und viele Fragen hätten. "Ich denke schon, dass unsere Klasse was mitnimmt und drüber nachdenkt, was man hier so gesehen hat."
Gemischte Resonanz
Chiara gefielen die Audiostationen in den Schubladen besonders gut. "Da kommen Fragen vor, die sich Jugendliche stellen." "Ganz cool" fand sie auch die Suchaufgaben, hinter denen ein gesellschaftlicher Sinn steckte. Paul fand die Ausstellung "besser als Schule, aber das Fieber - das ist sehr interessant - hatte ich jetzt nicht."
Wie er nimmt auch Enrique mit, "dass es mittlerweile sehr viele Gruppen gibt, die man akzeptieren sollte - oder muss - oder kann." Ist da seine Toleranzgrenze schon erreicht? Nein, sagt Enrique, "solange die Respekt vor mir haben, habe ich auch Respekt vor denen." Nur die "Klimakleber", die könne er nicht akzeptieren, sagt der 15-Jährige. Finn zieht eine gemischte Bilanz: "Erst hat es mich nicht so angehoben - aber dann hat es mich doch mehr interessiert als ich dachte."
Einzige Stadt in Thüringen
Derzeit touren fünf dieser Ausstellungscontainer durch Deutschland. Die Ausstellung, die von Bundestag und der Bundeszentrale für politische Bildung gefördert wird, soll bis Ende kommenden Jahres in 70 Städten gezeigt werden.
Eisenach ist bisher die einzige Stadt in Thüringen, die "ToleranzRäume" zeigt. Hat die Stadt einen besonderen Bedarf, weil es hier eine starke rechtsextreme Szene gibt?
Oberbürgermeister hofft auf Denkanstoß
"Ja, wir haben Toleranz in Eisenach ausgesprochen nötig", sagt Oberbürgermeisterin Katja Wolf (Linke), "aber ich glaube, jede andere Thüringer Stadt auch." Sie sei glücklich, die Ausstellung über einen persönlichen Kontakt bekommen zu haben. Was sie sich davon erhofft? "Einen Anstoß", sagt Wolf, "einen Denkanstoß, sich selber zu reflektieren, sich zu hinterfragen, zu schauen, was bedeutet es für mich und damit in eine Wertedebatte reinzukommen. Das finde ich ganz wichtig."
Ähnlich sieht es auch der Landrat des Wartburgkreises, Reinhard Krebs (CDU). Toleranz sei überall nötig, sagt er, aber räumt ein: "Es gibt bestimmt Orte, wo man sich mit dem Thema mehr beschäftigen sollte."
Die Gesellschaft habe sich verändert, stellt Krebs fest. Vieles werde sehr schnell in eine Ecke gestellt. "Und diese Ausstellung zeigt den Lebensalltag, der aus einer Vielfalt besteht, wo Toleranz am Ende einen Überbegriff darstellt, um überhaupt miteinander das Leben zu gestalten."
Begleitprogramm soll in die Stadt wirken
Um die Ausstellung und ihr Anliegen möglichst breit in die Stadt zu tragen, hat sich die Stadtverwaltung mit einigen Partnern zusammengetan. Sogenannte Guides stehen bereit, um Schulklassen, aber auch alle anderen Besucher einzuführen in die Ausstellung.
Im Begleitprogramm sind Workshops an Schulen geplant, offene Führungen und Gesprächsrunden. Kinder können sich am Projekt "Demokratie-Bücherregal" beteiligen und Bücher auswählen, die sie gern lesen möchten. Die meistgewählten Bücher sollen dann für die Stadtbibliothek angekauft werden.
Intolerante Stimmung
In der Stadtverwaltung sind Ulrike Quentel und Nicole Päsler verantwortlich für die "ToleranzRäume". Das Thema sei wichtig, sagt Päsler, "weil wir in den letzten Jahren verlernt haben, uns miteinander auf Augenhöhe auszutauschen. Die Fronten sind ziemlich verhärtet." Die Stimmung in der Bevölkerung sei teilweise "sehr intolerant", meint auch Ulrike Quentel und verweist auf die "sehr rechtsorientierten und rechtspopulistischen Parteien" im Stadtrat. Da sind NPD, heute "Die Heimat", und AfD mit jeweils vier Mitgliedern vertreten.
Zivilgesellschaft stärken
Der Aufbau des Containers sei genau beobachtet worden, sagt Nicole Päsler. Es gebe Vorbehalte. Die ersten Passanten hätten schon gefragt, wozu man das brauche. Andere aber hätten sich gefreut und gesagt, das tue Eisenach gut. Für Päsler ist deshalb auch ein Ziel der "ToleranzRäume", Menschen Mut zu machen und zu stärken, die sich in der Stadt für Toleranz, Vielfalt und für eine lebendige Stadtgesellschaft einsetzen.
Nicht die Montagsdemonstranten seien viele, sagt sie: "Wir sind die vielen, nur wir zeigen uns nicht und sind in der Öffentlichkeit nicht so präsent." Der Container und die bunten Bänder sind zumindest nicht zu übersehen.
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MDR (jn)
Dieses Thema im Programm:MDR THÜRINGEN - Das Radio | Das Fazit vom Tag | 21. September 2023 | 18:42 Uhr
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