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NS-ZeitEisenach: Kunstinstallation zum kirchlichen "Entjudungs-Institut"

26. Juni 2022, 17:49 Uhr

Es ist ein brauner Fleck in der Kirchengeschichte, das sogenannte "Entjudungsinstitut", das elf evangelische Landeskirchen in der NS-Zeit in Eisenach betrieben. Sein Auftrag: die jüdischen Wurzeln des Christentums zu tilgen. Aber es ging auch darum, die nationalsozialistische Ideologie in die Kirche einzuschleusen. Das zeigt eine künstlerische Arbeit von Sven Bergelt aus Leipzig, die seit Sonntag in der Eisenacher Nikolaikirche gezeigt wird.

von Ruth Breer, MDR THÜRINGEN

Eine Kunstinstallation in einer Kirche: Im linken Seitenschiff der Eisenacher Nikolaikirche steht ein sechs Meter langes Archivregal. Es wirkt auf den ersten Blick fast leer und etwas spröde. Doch der Inhalt hat es in sich. Es gibt einen Leseplatz und zwei Videoarbeiten, in die sich die Besucher länger vertiefen können.

Blättern und nachlesen können sie in einer kritischen Textausgabe eines Gesangbuchs aus dem Jahr 1941. "Großer Gott wir loben Dich", so der damalige Titel, herausgegeben von der "Nationalkirchlichen Einung Deutsche Christen" gemeinsam mit dem "Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben" mit Sitz in Eisenach. Sven Bergelt hat sämtliche Liedtexte mit vorherigen Ausgaben verglichen und kenntlich gemacht, was gestrichen oder hinzugefügt wurde. Außerdem wurden 90 Lieder nach seinen Angaben vollständig neu aufgenommen, zum Teil eigens für das Gesangbuch in Auftrag gegeben.

"Barmherzigkeit" raus, "Kampf" rein

Dabei stellte Bergelt fest, dass nicht nur die jüdischen oder hebräischen Worte und Begriffe entfernt wurden, sondern "dass sich die nationalsozialistische Ideologie in sehr viele Worte eingeschrieben hat". So wurde beispielsweise aus dem "Himmelsheer" das "Kriegesheer". Das System dahinter veranschaulicht eine Videoarbeit, eine Wortstatistik, die Bergelt auf zwei großen Bildschirmen nebeneinander zeigt: Auf dem blauen Monitor die Menge der jeweiligen Wörter, die gestrichen, auf einem pinkfarbenen diejenigen, die hinzugefügt wurden. Dann wird augenfällig, dass sehr viel mehr "ich" oder "dein" wegfielen als hinzukamen, umgekehrt viel häufiger "wir" oder "Volk" Eingang fanden als gestrichen wurden. Begriffe wie "Barmherzigkeit" wurden nur gestrichen - das passte ganz offensichtlich nicht in die Ideologie des Instituts. Dafür fanden Begriffe wie Kampf, Tapferkeit, Kameradschaft vermehrt hinein.

Aus den Archivakten

"Das ist schon sehr eindrücklich, auch erdrückend", sagt Oberin Annegret Bachmann vom Diakonissen-Mutterhaus zum Wortvergleich. Sie hat bereits in dem bearbeiteten Gesangbuch geblättert und sich auch die zweite Videoarbeit von Sven Bergelt auf der Rückseite des Archivregals angesehen. Darin hat er sehr ausführlich Zitate aus den Akten des Landeskirchenarchivs zum "Entjudungsinstitut" zusammengetragen. Zum Gesangbuch findet sich beispielsweise ein Ausschnitt aus dem Brief eines Kriegspfarrers aus dem Jahr 1942: "1.000.000 dieses Buches im Volk - und wir brauchen für unsere Sache nicht mehr reden. Das Gesangbuch ist eine gewonnene Schlacht."

Das Gesangbuch ist wie eine gewonnene Schlacht

Kriegspfarrer (1942)

Kirche am NS-System beteiligt

Diese Zitat-Dokumentation reicht von der Gründung des Instituts im Jahr 1939 bis in die 1990er-Jahre, in die beginnende Aufarbeitung. "Die Kirche hat sich am NS-System beteiligt", sagt Bergelt. Später aber habe sie sich "sehr lange sehr schwer getan", eine klare Entschuldigung dafür zu formulieren. Öffentlich hat sich erst im Jahr 2019 einiges bewegt, als in Eisenach ein Mahnmal eingeweiht wurde und das Eisenacher Lutherhaus eine Ausstellung zum Institut eröffnete.

Geschichte offen aufarbeiten

Nun hat die Nikolaikirche mit der Kunstinstallation das Thema aufgegriffen. Man wolle offen mit diesem Teil der kirchlichen Geschichte umgehen, sagt Pfarrer Armin Pöhlmann. Er verweist darauf, dass die Nikolaikirche im Mai das Nagelkreuz von Coventry bekommen hat, das für Versöhnung steht. "Aufarbeitung der Geschichte ist Teil unserer Nagelkreuz-Arbeit." Deshalb habe die Ausstellung hier ihren Platz gefunden. Bis Ende Juli ist sie noch in der Kirche zu sehen - montags bis samstags von 15 bis 17 Uhr und bei Veranstaltungen.

Dieses Thema im Programm:MDR THÜRINGEN - Das Radio | Regionalnachrichten | 26. Juni 2022 | 17:30 Uhr