Fluss Apfelstädt und Marienthalbrücke in Molsdorf
Die Apfelstädt unter der Marienthalbrücke in Molsdorf: Ganz so idyllisch fließt der Fluss längst nicht immer so dahin. Bildrechte: imago stock&people

Fluss im Trockenstress Apfelstädt leidet stärker unter neuem Wassermanagement als unter Klimawandel

20. Januar 2022, 14:43 Uhr

Fotos vom staubtrockenen Flussbett und toten Fischen: Das Trockenfallen des Flusses Apfelstädt (Landkreis Gotha) hat in den vergangenen Jahren Schlagzeilen gemacht. Das kommt vom Klimawandel und davon, dass das Wasser nahe Ohrdruf im porösen Untergrund versinkt - sagt das Umweltministerium. Die Datenanalyse eines Experten belegt jetzt: Aus der Talsperre Tambach-Dietharz kommt viel weniger Wasser als früher.

Einen Auftrag hatte er nicht. Michael Stützer, Professor für Volkswirtschaftslehre und quantitative Methoden an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, wohnt mit seiner Familie in Wandersleben. Dort hat auch er in den vergangenen Jahren das Niedrigwasser der Apfelstädt beobachtet, die trocken gefallenen Stellen im Flussbett gesehen und über die Zusammenhänge mitdiskutiert.

Zusammenhänge nachzuweisen, auch wenn sie sehr komplex sind: Für Stützer als Experten für Datenanalysen ist das Alltagsgeschäft. Und nach der zugespitzten öffentlichen Debatte über die Gründe entschied er sich 2021, dem Warum für das Austrocknen der Apfelstädt auf seine Art auf den Grund zu gehen.

Daten vom Fluss als Grundlage für Berechnungen

An die nötigen Daten zu kommen war für Stützer keine große Sache. Die Thüringer Fernwasserversorgung habe ihm auf Anfrage Zahlen zu Zuflüssen in die und Abflüssen aus den beiden Talsperren Tambach-Dietharz und Schmalwasser unkompliziert zur Verfügung gestellt.

Daten zu Pegelständen und Durchflussmengen der Apfelstädt sind im Niedrigwasserportal des Landes einsehbar oder können beim Thüringer Landesamt für Umwelt, Bergbau und Naturschutz abgefragt werden. Anhand dieser Daten könne man sehr gut nachvollziehen, wann wieviel Wasser in der Apfelstädt war, sagt Stützer im Interview mit MDR THÜRINGEN. Zumal einzelne Datenreihen zurückreichen bis 1945.

Talsperrenwasser speist Wasserkraftwerke weit ab vom Fluss

Stützer ist kein Klimaforscher, kein Hydrologe, kein Wasserwirtschaftler. Er erstellte Grafiken aus den Daten. Die Durchschnitte der Jahre 2008-2019 für die Zuflüsse in die Talsperren, die Abflüsse ins Flussbett der Apfelstädt und die Entnahmen für den Betrieb der Westringkaskade.

Diese Kaskade ist ein altes Trinkwasser-Leitungssystem, das zuletzt viele Jahre lang außer Betrieb war. Es verbindet die Talsperre Tambach-Dietharz mit der Region nördlich von Erfurt. Die Thüringer Fernwasserversorgung - Betreiberin aller Trinkwasser-Talsperren in Thüringen - reaktivierte die Rohre 2020. Sie leiten jetzt Wasser aus der Talsperre zu zwei Wasserkraftwerken am Südhang des Seeberges bei Gotha und im Norden von Erfurt.

Weit abseits der Apfelstädt wird hier Strom produziert, indem man das Gefälle des Rohrleitungssystems ausnutzt. Im Norden von Erfurt fließt das Wasser dann in die Gera. Die Apfelstädt sieht keinen Tropfen davon.

Weniger Wasser für die Apfelstädt ab Sommer 2020

Ein Blick auf die Grafiken von Stützer genügt, um zu sehen: Im Durchschnitt der Jahre 2008 bis 2019 wurde aus der Talsperre Tambach-Dietharz immer in etwa so viel Wasser in die Apfelstädt abgegeben, wie aus den Quellen im Thüringer Wald zugeflossen war.

Die Säulendiagramme für die Jahre 2020 und 2021 zeigen anschaulich: Das ändert sich ab Mitte 2020. Als die Thüringer Fernwasserversorgung im Trockensommer 2020 die Westringkaskade in Betrieb nimmt, kippt die annähernde Balance zwischen Zuflüssen zum Stausee und Abflüssen in die Apfelstädt.

Die Grafiken zeigen, dass die Wassermenge, die der Fluss bekommt, seitdem immer deutlich unter den Zuflüssen liegt. Nach diesen Daten gab die Thüringer Fernwasserversorgung seit Juli 2020 nur in zwei von 18 Monaten überhaupt noch mehr Wasser in den Fluss als in die Rohrleitung.

Abgabe von Wasser wird von mehreren Faktoren beeinflusst

Natürlich ist das System der Talsperren rund um Tambach-Dietharz deutlich komplizierter aufgebaut, als es die leicht verständliche Darstellung in den Grafiken nahelegt. Die Staubecken der Talsperren Tambach-Dietharz und Schmalwasser sind untereinander, mit der Talsperre Ohra und mit Wasserläufen oberhalb der Stauseen durch Überleitungs-Stollen verbunden.

Die Schmalwasser-Talsperre gibt Wasser an das Schmalwasser ab, das schon kurz hinter Tambach-Dietharz in die Apfelstädt mündet. Stau und Abgabe an den Talsperren richten sich nicht allein nach den natürlichen Zuflüssen. Stützer hat versucht, mit der Methode der multivarianten Regressionsanalyse, wie sie in der Wissenschaft heißt, zu gewichten: Wie wahrscheinlich und wie stark wirken sich die Effekte einzelner Faktoren auf die Apfelstädt aus?

Westringkaskade reißt größere Lücke als der Klimawandel

Der Einfluss der Westringkaskade ist dennoch groß, so Stützers Berechnung. Ohne die Wasserentnahme würden im Durchschnitt jede Sekunde 810 Liter Wasser aus der Talsperre Tambach-Dietharz in das Flussbett fließen. Seit das Rohrsystem in Betrieb ist und gefüttert wird, kämen nur noch 390 Liter pro Sekunde an. Ein Rückgang um 420 Liter pro Sekunde oder 52 Prozent.

Dem hält Stützer eine Aufstellung entgegen, die den Einfluss des Klimawandels abbilden soll. Denn wieviel Wasser zufließt, beeinflusst in sehr starkem Maße, welche Mengen auch wieder abgegeben werden.

Stützer betrachtet die fünf Jahre mit den geringsten Zuflussmengen vor 2020: 2008, 2014, 2015, 2018 und 2019. Schlechte Jahre, in denen durchschnittlich 180 Liter Wasser pro Sekunde weniger in die Apfelstädt abgegeben werden konnten als in regenreichen Jahren.

Verglichen mit dem Durchschnitt der Jahre 2008 bis 2019 sind das 22 Prozent weniger. Minus 52 Prozent durch Wasserentnahmen für die Kraftwerke stehen 22 Prozent durch ausbleibenden Regen gegenüber. Für Stützer ist es keine Frage, welcher Faktor die Apfelstädt stärker belastet.

Stützer wirft Umweltministerium Irreführung vor

Mit seinen Berechnungen stärkt der Wissenschaftler die Auffassung der Bürgerinitiative "Lebensraum Apfelstädt", die für ein anderes Wassermanagement und den Schutz des Flusses kämpft. Stützer ist dort nicht Mitglied und arbeitet nicht in deren Auftrag. Er habe nur die Fakten für alle sichtbar auf den Tisch bringen wollen, so Stützer. Dem Thüringer Umweltministerium wirft er Irreführung vor. Dort argumentiere man, an Niedrigwasser und Trockenfallen der Apfelstädt sei der Klimawandel schuld und nicht die Westringkaskade. Er meint, das jetzt widerlegt zu haben.

Mit Daten zu Pegelständen und Durchflussmengen kontert er auch den Hinweis, Niedrigwasser und Austrocknung größerer Abschnitte habe es an der Apfelstädt immer wieder gegeben. In den Jahren von 1998 bis 2019 habe der Fluss am Pegel Ingersleben an fünf Prozent aller Tage Niedrigwasser geführt. In den Jahren 2020 und 2021 sei der Wert auf 25 Prozent angestiegen.

Außerdem hatte man im Ministerium auf Versinkungszonen in der Nähe von Ohrdruf verwiesen. Geologisch bedingt verschwindet dort das Wasser manchmal auf längeren Abschnitten im Untergrund des Flussbettes. Stützer meint, auch dieses Argument lenke ab. Die Apfelstädt führe schon im Oberlauf weniger Wasser, seit die Westringkaskade in Betrieb ist. Das würden Daten vom Pegel Georgenthal belegen, der weit vor der Versinkungszone liegt.

Gutachten soll im Petitionsausschuss vorgestellt werden

Am Donnerstag wird die Bürgerinitiative (BI) "Lebensraum Apfelstädt" vom Petitionsausschuss des Thüringer Landtages angehört. Professor Stützer ist nicht eingeladen, aber die BI will sein Gutachten präsentieren. Matthias Platz, der den Ort Georgenthal in der Initiative vertritt, sagte MDR THÜRINGEN, mit Stützers Berechnungen werde der negative Effekt der Westringkaskade auf die Wasserführung der Apfelstädt eindeutig belegt. Bisher hätten die Bürgerinnen und Bürger das nur vermutet.

Auch im Thüringer Umweltministerium und bei der Thüringer Fernwasserversorgung liegt das Gutachten vor. Erwartet wird, dass ein Vertreter des Umweltministeriums bei der Anhörung im Landtag dazu Stellung nimmt.

Quelle: MDR

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 20. Januar 2022 | 07:00 Uhr

4 Kommentare

Jessy-2 am 20.01.2022

Wurde denn nicht Fahner Obst und Bad Langensalza 2021 mit an der Ohra Talsperre angeschlossen? Wer wird als nächstes mit angeschlossen? Den Rest kann man sich sparen!

Copper am 20.01.2022

Und die Grünen waren mehr damit beschäftigt Rico Heinemann zu verunglimpfen, welcher dieses Problem schon früher erkannt hat. Gerade Anja Siegesmund und ihr politischer Klimawandel hat sich da mal richtig in die Nesseln gesetzt mit Zitaten wie: "mit der Westringkaskade oder Erfurt hat das nichts zu tun". Die Klimawandel ist unbestreitbar aber er sollte auf Fakten begründet werden und nicht auf politische Ideologie.

Freies Moria am 20.01.2022

Tja, das ist eben die Realität des "menschgemachten" Klimawandels - es ist mehr "menschgemacht" als "Klimawandel".
Wir sollten die CO2-Neutralität leise sterben lassen und stattdessen das Geld in Anpassung stecken. Denn irgendwann schlägt das Pendel auch wieder zurück, und dann ist wieder Anpassung gefragt!

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