100-Tage-Bilanz Mit 24 Chefin im Dorf: Jüngste Bürgermeisterin Deutschlands amtiert in Oechsen

08. Oktober 2022, 22:52 Uhr

Das Rhöndorf Oechsen im Wartburgkreis hat sie im Sommer bekannt gemacht: Sina Römhild wurde dort zur ehrenamtlichen Bürgermeisterin gewählt – und ist nun die jüngste in Deutschland. Mit 24 Jahren war sie mutig angetreten, um für ihren Heimatort möglichst viel rauszuholen. Nach den ersten 100 Tagen ist sie froh, den Schritt gewagt zu haben. Über ihre Aufgaben, den veränderten Alltag und die Herausforderungen.

MDR THÜRINGEN-Reporterin Ruth Breer
Bildrechte: MDR/Daniela Dufft

An diesem Wochenende ist Kirmes in Oechsen – und selbstverständlich wird die Bürgermeisterin am Abend an der Kasse sitzen. Im Kirmesverein hat sich Sina Römhild als erstes für ihren Heimatort engagiert, daran hält sie fest. "Sind ja nur wenige Wochenenden im Jahr", meint die 24-jährige.

In den Vereinen lebt das, was ihr so wichtig ist in ihrem Heimatdorf: der Zusammenhalt und die Freundlichkeit der Menschen. "Die Leute hier in Oechsen sind alle sehr offen, lieb im Umgang miteinander. Das hat mich auch animiert, Bürgermeisterin zu werden. Einfach weil es Spaß macht, mit den Leuten zusammenzuarbeiten."

Kindergarten und Gemeindetreff

Ihr oberstes Anliegen: Oechsen mit seinen rund 600 Einwohnern soll eigenständig bleiben und nicht eingemeindet werden. Gleich danach steht bei Römhild als Mutter einer dreijährigen Tochter das Engagement für Kinder. Sie will den Kindergarten und auch den Grundschulstandort im Ort erhalten – wobei letzteres nicht in ihrer Macht liegt. Ein weiterer Wunsch der Bürgermeisterin ist ein Gemeindetreff, wo sich Jung und Alt im Dorf begegnen und austauschen können, "um mal alle Meinungen mitzubekommen".

Anliegen auf der Straße

Nach den ersten 100 Tagen ist der Spaß geblieben, sagt Sina Römhild. Aber eines hat sich schon deutlich geändert: sie wird auf der Straße viel häufiger angesprochen. Die Anliegen sind vielfältig: mal geht es um den Friedhof, mal um den Spielplatz. Die direkte Ansprache stört sie nicht, im Gegenteil.

Falls es mal länger dauert, verweist sie auf ihre Sprechstunde am Freitagnachmittag in ihrem kleinen Büro neben der Feuerwehr. Ansonsten notiert sie die Ideen und Probleme der Einwohner, damit sie nichts vergisst.

Mit Gemeinderat und Verwaltung

Dabei steht die junge Bürgermeisterin mit ihrer Arbeit nicht alleine da. Sie hat den Gemeinderat an ihrer Seite, der vollständig mit Mitgliedern der Bürgerinitiative Oechsen besetzt ist, für die auch Römhild angetreten ist. Die Verwaltung für den Ort übernimmt seit Jahren die Gemeinde Dermbach. Aber Sina Römhild muss Dinge anstoßen, in die Hand nehmen, mit der Verwaltung in Dermbach besprechen, damit sie dem Gemeinderat vorlegt werden können.

Nicht blauäugig ins Amt

Da hilft es, dass sie hauptberuflich im Landratsamt des Wartburgkreises arbeitet. Der Dermbacher Bürgermeister Thomas Hugk (CDU) sagt, es mache sich bemerkbar, dass sie ein ganz anderes Verständnis von Verwaltungsabläufen habe.

Sie sei "nicht so blauäugig" herangegangen wie andere Neulinge im Bürgermeisteramt. "Alles passt, sie macht ihre Sache sehr gut." Auch hat sich die 24-Jährige von ihrem Vorgänger in Oechsen erklären lassen, was alles zu ihren Aufgaben gehört und stellt fest: "Bis jetzt hat mich eigentlich noch nichts überrascht."

Feuerwehrauto und kniffliger Haushalt

Als Höhepunkte ihrer ersten 100 Tage nennt Sina Römhild das neue Feuerwehrfahrzeug für Oechsen. Natürlich nicht ganz neu, das hätte sich das 600-Einwohner-Dorf nicht leisten können, aber rundum überholt. Nun steht es glänzend im gut gepflegten Feuerwehrgerätehaus.

Auch durfte sie schon einen Feuerwehrkameraden befördern. Die größte Herausforderung? Das wird wohl der Haushalt für das kommende Jahr angesichts der steigenden Kosten überall. "Knifflig" werde das, sagt sie.

Gemeinderat: "Wir sind stolz, dass wir sie haben"

Anfeindungen hat sie noch nicht erlebt. Im Dorf fällt das Urteil über die ersten 100 Tage der jungen Bürgermeisterin positiv aus. "Sehr gut", sagt eine Frau und erwähnt die Feier bei der Feuerwehr. "Sie ist ja sowieso immer engagiert hier. Ich kenne sie von klein auf und bin zufrieden mit ihr."

Und das Alter? "Sie ist genauso alt wie mein Sohn, was soll mich daran stören?", lacht sie. Feuerwehrchef René Kümpel sieht darin einen Vorteil und hofft auf "anderes Denken", dass auch die Interessen von Jüngeren umgesetzt werden. Eine junge Frau lobt "die neuen Ideen" der Bürgermeisterin. Er sei "bis jetzt zufrieden mit der jungen Frau", sagt ein Mann, bevor er auf seinen Traktor steigt, "und wir hoffen, dass es weiterhin so bleibt". Zufrieden ist auch Carola Most, die im Gemeinderat sitzt – als einzige Frau neben der Bürgermeisterin.

Es klappt alles super. Wir sind stolz, dass wir sie haben.

Carola Most Mitglied im Gemeinderat von Oechsen

Ehrenamt, Job und Familie unter einen Hut bringen

Etwa 10 bis 15 Stunden wendet Sina Römhild pro Woche für ihr Ehrenamt auf, schätzt sie, mal mehr, mal weniger. Wie funktioniert das mit einer 35-Stunden-Arbeitswoche im Hauptberuf, einem berufstätigen Partner und einer dreijährigen Tochter?

Organisation ist alles.

Sina Römhild Bürgermeisterin von Oechsen

Da wird die Woche frühzeitig geplant. Stehen Termine an, wo der Partner nicht da ist, sucht sie einen Babysitter. "Da frage ich meine Eltern oder den Rest der Familie, die unterstützen mich sehr."

Nur wenig junge Bürgermeister in Thüringen

Und ihr Alter – ist das eher Vorteil oder Nachteil? Kommt darauf an, meint Sina Römhild. Als jüngste Bürgermeisterin Deutschland konnte sie schnell Kontakte knüpfen und hat hohe Aufmerksamkeit für ihr Dorf erreicht, schon mehrfach waren Fernsehteams im beschaulichen Rhöndorf.

Aber natürlich sei ihre Lebenserfahrung gering, räumt sie ein. Das Durchschnittsalter der rund 640 Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in Thüringen liegt bei 52 Jahren. 26 von ihnen sind 70 Jahre und älter, nur sechs bis zu 30 Jahre jung.

Einen Mentor an der Seite

Da passte es für Sina Römhild gut, dass der Wartburgkreis Ende vergangenen Jahres eine Aktion gestartet hat, die Frauen in der Kommunalpolitik unterstützen soll. Teil davon ist ein Mentoring-Programm, an dem sich auch Sina Römhild beteiligt.

Als Mentor steht ihr ein erfahrener Bürgermeister zur Seite, Michael Brodführer (CDU) aus Bad Liebenstein. "Ihn kann ich vieles fragen, das ist schon eine Hilfe", sagt Römhild. Brodführer wiederum beschreibt sie als "junge engagierte Frau, die für ihren Ort brennt und dort verwurzelt ist". Sie sei bereit, Verantwortung zu übernehmen.

Durchsetzungsvermögen und Einfühlsamkeit

Aber was macht eine gute Bürgermeisterin aus? "Dazu entwickelt man sich, dazu braucht es eine gewisse Zeit und Erfahrung", sagt Brodführer.

Man wird schnell merken, dass man es nicht allen Menschen Recht machen kann. Ich habe ihr auch mitgegeben, dass man hier und da auch Position beziehen muss.

Michael Brodführer (CDU) Bürgermeister von Bad Liebenstein und Mentor von Sina Römhild

Sina Römhild nennt als wichtigste Bürgermeister-Eigenschaften Durchsetzungsvermögen und Einfühlsamkeit. "Man muss offen und objektiv bleiben und sich auch mal belehren lassen. Trotzdem ist es wichtig, bei seinem Standpunkt zu bleiben und das Dorf gut zu vertreten."

MDR (rub/jw)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 08. Oktober 2022 | 19:00 Uhr

3 Kommentare

Tschingis1 am 09.10.2022

@Freies Moria
Ich empfehle Ihnen einmal die Verfügbarkeit für Oechsen, was Internet angeht, im Netz zu prüfen.
Nur weil der Ort in der Rhön liegt, muss er nicht unbedingt abgeschnitten bzw. nicht erreichbar sein.

Aber schön zu lesen, dass sie auch bei diesem positiven Bericht das Haar in der Suppe finden wollen.

Freies Moria am 09.10.2022

Interessant, eine junge Bürgermeisterin und nirgends fiel das Wort Digitalisierung. Obwohl schon die Versorgung mit Internet-Anschlüssen in den Randlagen Thüringens ein grosses Problem ist, und die versprochenen Gigabit-Anschlüsse auf jeder Alm und jeder Hallig hier bisher nicht angekommen sind...

Burgfalke am 09.10.2022

Sie hat sehr viel Mut u. muß zusätzlich sehr viel Idealismus aufbringen. Aber dennoch meinen Respekt an dieser Stelle!

Sehr bald wird sie merken müssen, daß sie sehr wenig o. nichts bewegen kann. An anderer Stelle wird über ihren u. die Köpfe der Bürger vor Ort entschieden.

Als "ehrenamtlichen Bürgermeisterin" wird sie sehr bald das merken müssen, es ist eher eine Alibi- Funktion. Vielleicht helfen ihr Hauptamt u. die daraus vorhandenen Kontakte? Zu wünschen wäre dies.

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