GrabpflegeHamstern statt teilen: Wie der Eisenacher Hauptfriedhof mit dem Gießkannen-Schwund umgeht
Es könnte so einfach sein: Auf dem Friedhof hängen kostenlos Leih-Gießkannen aus - und jeder hängt sie für die nächsten Besucher wieder zurück. In Eisenach funktioniert das aber nicht. Von den mehr als 100 Kannen auf dem Hauptfriedhof verschwindet jedes Jahr die Hälfte. Wegen des dauerhaften Mangels wurde vor Jahren zugelassen, dass die Besucher ihre eigenen Kannen mitbringen und an den Ständern anschließen. Doch das sei zu viel geworden, findet die Friedhofsverwaltung.
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Es ist schon auffällig: Viele Friedhofsbesucher kommen mit Gießkannen auf den Eisenacher Hauptfriedhof. Warum? "Weil ich oftmals hier gestanden habe und keine gekriegt habe", erzählt ein Mann. Und eine Frau sagt, es sei sicherer, die eigene Kanne dabei zu haben, man erspare sich die Suche.
Aber gibt es denn keine Gießkannen zum Ausleihen? Doch, sagt Nicole Lehmann, die Leiterin der Eisenacher Friedhofsverwaltung. Aber die seien schwer zu finden. Und das hat mehrere Gründe.
Hälfte der Leihkannen verschwindet jedes Jahr
Etwas mehr als 100 Kannen zählten zum Bestand, erklärt Lehmann. Aber jedes Jahr muss sie die Hälfte ersetzen. Wohin diese Kannen verschwinden? Ein Teil werde wohl schlicht geklaut, sagt sie, da nütze auch die Aufschrift "Friedhof Eisenach" wenig.
Die Leute bringen sie einfach nicht zurück, sondern entwickeln so einen - ja - Eichhörnchen-Sicherungsgedanken.
Nicole Lehmann | Leiterin der Eisenacher Friedhofsverwaltung
Zwischenzeitlich gab es Kannen mit Pfandschloss. Aber statt einer Zwei-Euro-Münze wurde alles Mögliche ins Schloss gesteckt. Auch tauchten viele die Kannen zum Befüllen in die Brunnen, so dass die Mechanik litt. Die Reparaturen waren teurer als viele neue Kannen anzuschaffen - also wurde das System aufgegeben.
Andere Gießkannen verschwinden auf dem Friedhof, hinter Grabsteinen oder in Hecken. "Die Leute bringen sie einfach nicht zurück, sondern entwickeln so einen - ja - Eichhörnchen-Sicherungsgedanken: 'Ich steck' die mir mal dahin, dass ich nächstes Mal auf jeden Fall eine finde'", erzählt Nicole Lehmann.
Das ist der Grund, warum ihre Verwaltung mittlerweile keine traditionell grünen Kannen mehr anschafft, sondern nur noch knallbunte: Die lassen sich leichter wiederfinden. Gezielt danach gesucht werde nicht, sagt die Chefin, dazu fehle die Zeit.
Auch private Kannen dürfen nicht versteckt werden
Aber sie hat mittlerweile ein Auge dafür, entdeckt gleich am Anfang des Rundgangs in einer Hecke eine violette Kanne. Ein privates Exemplar diesmal, aber auch das darf dort nicht aufbewahrt werden. Beim "Gesellschaftsspiel Gießkannenverstecken" wolle man nicht mitspielen, sagt Lehmann und greift zu, kramt die Kanne aus dem Grün und hängt sie auf einen Ständer an einem der 15 Brunnen des Hauptfriedhofs.
Der aber ist schon übervoll. Eine bunte Traube wölbt sich in mehreren Lagen übereinander, an die unteren ist kaum ein Herankommen. Alles private Gießkannen, mit Fahrradschlössern gesichert. Niemand sonst kann sie nutzen.
Eisenacher Besonderheit von anderen Friedhöfen belächelt
Ihre Kollegen aus anderen Friedhofsverwaltungen belächelten diese Eisenacher Besonderheit, erzählt die Friedhofs-Chefin. Dieses System hat sie vor fünf Jahren mit dem Friedhof übernommen. Vor Jahren sei das zugelassen worden, sicher gut gemeint im Sinne der Bürger, sagt sie. Eine Reaktion auf die Kritik, dass stets Kannen fehlten. Doch Lehmann findet: Das hat überhandgenommen.
Private Kannen versperren Platz für Leihkannen
Sie deutet auf eine Kanne mit kaputtem Boden. "Hier hängen mit Sicherheit auch Kannen, wo es die Gießer dazu gar nicht mehr gibt." Die etwas chaotischen Ständer sähen nicht gut aus, sagt sie. Noch dazu bleibe bei der großen Fülle an privaten Kannen und Fahrradschlössern kein Platz mehr für die Leihkannen. Tatsächlich tauchen beim Rundgang an fünf Brunnen-Standorten gerade mal drei Friedhofskannen auf, eine davon schon etwas lädiert.
Friedhofsbesucher haben sich an Eisenacher System gewohnt
Für die Friedhofsbesucher ist das System mittlerweile Gewohnheit. Die einen, die aus der Nachbarschaft kommen oder mit dem Auto anfahren, bringen sich ihre Kanne von zu Hause mit. Die anderen haben sie auf dem Friedhof hängen. Einige haben ihre markiert oder bemalt. Ilona Schmidt teilt sich eine Kanne mit ihrer Schwester. Wie sie das mit den privat angeschlossenen Gießkannen findet? "Tja - ich weiß, wo meine Kanne hängt. Da braucht man nicht zu suchen. Was meinen Sie, wie oft ich auf der Suche war nach einer Kanne?"
Die Menschen sind, wie sie sind. Da kann sich der Friedhof ein Bein rausreißen, das wird nüscht.
Ein Friedhofsbesucher
Seit etwa zehn Jahren laufe das schon so, erzählt ein Mann, der seine Kanne mitbringt. Wie er das findet? Er wiegt den Kopf. Seine Schwester mache das auch, sagt er. Ändern lassen werde sich das kaum, meint er: "Die Menschen sind, wie sie sind. Da kann sich der Friedhof ein Bein rausreißen, das wird nüscht. Da kann er 200 Kannen hinhängen und nach einem Jahr kann er sie wieder hinhängen, weil sie weg sind."
Gießkannen-Aktion soll auf Verschleiß aufmerksam machen
Verbote werden nichts bringen. Das weiß auch die Leiterin der Friedhofsverwaltung Nicole Lehmann. Sie will am Tag des Friedhofs am kommenden Sonntag auf das Problem aufmerksam machen. Eine Girlande aus den neuen 50 knallbunten Kannen soll dann den Weg vom Haupteingang zur Friedhofskapelle überspannen - mit der Bitte, die Leihkannen nicht mehr zu verstecken, sondern einfach wieder zurückzuhängen - für alle.
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MDR (ost)
Dieses Thema im Programm:MDR THÜRINGEN | THÜRINGEN JOURNAL | 13. September 2024 | 19:00 Uhr
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