Kinder fehlen "Das tut in der Seele weh": Wie Gerstungen um die Zukunft seiner Kindergärten ringt
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13. November 2024, 10:55 Uhr
Was abstrakt "demografischer Wandel" heißt, erleben Eltern in der Gemeinde Gerstungen im Wartburgkreis gerade ganz praktisch. Es gibt immer weniger Kinder, die Kindergärten sind nur zu 70 Prozent ausgelastet. Das kostet viel Geld, die Gebühren sind schon jetzt hoch. Damit sie nicht weiter steigen, sollen Kindergärten geschlossen werden. Die Gemeinde hat mit Hilfe des Landes die Lage analysiert und die Ergebnisse am Montag bei einer Elternkonferenz zur Diskussion vorgelegt.
Der Saal im Rautenkranz am Gerstunger Markt ist voll, es müssen noch Stühle dazugeholt werden für die rund 120 Gäste - Eltern, einige Erzieherinnen und Gemeinderäte. Gleich zu Beginn setzt Bürgermeister Daniel Steffan (CDU) den Tenor: Keiner schließe gern Kindergärten - aber man sei verpflichtet, die Struktur den Rahmenbedingungen anzupassen. Die Aufgabe hätte schon viel früher angepackt werden müssen, schiebt er hinterher, und wünscht sich als Grundregeln für den Abend, es möge sachlich, fair und empathisch diskutiert werden. Das gelingt, auch wenn die Stimmung gedrückt bleibt.
Die Gemeinde Gerstungen hat ein Problem: Nach Eingemeindungen ist sie von der Fläche her so groß wie Gera, hat aber nur ein Zehntel der Einwohner. Rund 9.000 Menschen leben in zwölf Ortsteilen. In neun davon gibt es Kindergärten, in denen aktuell 316 Kinder betreut werden. Tendenz sinkend - und keine Besserung in Sicht: Im Geburtenknick der Nachwendezeit seien diejenigen Frauen nicht geboren worden, die jetzt Kinder bekommen müssten, erklärt der Bürgermeister.
Hohe Kita-Gebühren, geringe Auslastung
Die Kindergärten sind im Durchschnitt zu 70 Prozent ausgelastet, einzelne Einrichtungen unter 50 Prozent. In einige Häuser müsste dringlich Geld gesteckt werden. Anfang des Jahres wurden die Gebühren auf 287 Euro monatlich für den Tagesplatz angehoben, für die Region ein Spitzenwert.
Daniel Steffan, der im Februar zum Bürgermeister gewählt wurde, hat nun mit Hilfe des Landes eine Analyse erstellen lassen. Darin wird der Ist-Zustand erfasst und untersucht, wie die Struktur des Kindergarten-Netzes zukünftig aussehen könnte, um finanzierbar zu bleiben.
Analyse mit Punktesystem
Alle Einrichtungen wurden nach einem Punktesystem auf den Prüfstand gestellt - unter anderem nach der künftigen Kinderzahl, dem Investitionsbedarf, den Betriebskosten je Kind, der durchschnittlichen Belegung, der Nähe zu den anderen Kindergärten. Die wenigsten Punkte erhielten Eckardtshausen und Unterellen. Sie sollten zum Schuljahresbeginn 2025/26 geschlossen werden, schlägt der Bürgermeister vor, drei Jahre später solle Förtha folgen. So könnten die Gebühren drei Jahre lang stabil gehalten werden.
Eltern kritisieren Pläne für Kita-Schließung
Keine Überraschung für die Eltern. Die Pläne hatten sich schon herumgesprochen, der Gemeinderat war bereits nicht-öffentlich informiert worden. Die Enttäuschung in den betroffenen Orten ist trotzdem groß. Die Zahlen verstehen sie. Das Schließen sei "die schnellste und leichteste Lösung, Geld zu sparen, das ist uns allen klar", sagt Elternvertreterin Sophia Bachmann aus Eckardtshausen. "Aber das ist mit Sicherheit nicht die schönste und sozialste. Wenn in diesen kleinen Dörfern sogar der Kindergarten fehlt - das ist die einzige soziale Anbindung, die wir noch haben."
Jacqueline Wawrzyniak aus dem gleichen Ort hätte sich "mehr Blick über den Tellerrand" gewünscht. Es gebe auch andere kleine und marode Kindergärten. "Aus buchhaltungstechnischen Gründen ist das okay", sagt ein Vater. "Allerdings gibt es auch eine soziale Komponente. Und es gibt den Kindern im Ort gegenüber eine Verantwortung."
Auch für den Kindergarten in Unterellen machen sich die Eltern stark. "Das ist ein kleiner Kindergarten mit nicht mal 20 Kindern", sagt Eva Siegmund. "Das ist eine gemischte Gruppe, da hilft sich Groß und Klein. Die lernen voneinander, leben miteinander, man kennt sich. Für das Dorf ist das schön - und jetzt diese Entscheidung, ist schon schwerwiegend." Man überlege, einen Verein zu gründen und die Kinder künftig selbst zu betreuen.
Knapp 2,3 Millionen für Kindergärten
Warum nicht alle Bürger die Kosten für die Kindergärten aufbrächten statt nur die Eltern, fragt ein anderer Vater. Das sei schon mehrheitlich der Fall, sagt Bürgermeister Daniel Steffan und weist darauf hin, dass die Elternbeiträge derzeit 25 Prozent der Kosten decken, künftig voraussichtlich 22 Prozent. 2,25 Millionen Euro aus Mitteln der Gemeinde sind im kommenden Jahr für die Kindergärten eingeplant.
Die Eltern aus den anderen Kindergärten sagen an diesem Abend wenig. "Zweigeteilt" sei sie, sagt eine Mutter auf Nachfrage. Sie versteht die Trauer, aber auch die Zahlen: "Es ist verständlich, warum dieser Weg vorgeschlagen wird." Eine andere stammt aus Erfurt, erzählt, dass dort Kinder viel weitere Wege zu Kindergärten gefahren werden müssen. "Das ist hier Luxus gewesen viele Jahre, dass in jedem Ort noch ein Kindergarten ist. Das ist sicherlich schön und trägt zum Gemeindeleben bei, aber ich denke, es ist einfach - wie die Zahlen sagen - nicht mehr zeitgemäß, es ist nicht drumherum zu kommen."
"Großer Wurf": Künftig vier statt neun Kindergärten?
Bürgermeister Daniel Steffan würde gern noch weiter gehen. Er hat den Eltern kurz vorgestellt, was er den "großen Wurf" nennt: in fünf Jahren nur noch vier Kindergärten, sich dann auf diese konzentrieren, baulich wie inhaltlich. Diese Struktur hält er für zukunftssicher, aber für politisch nicht umsetzbar. An den ersten Schließungen aber hält er fest: "Wir müssen den ersten Schritt gehen. Sonst laufen uns die Kosten weg und letztlich stimmen die Eltern mit den Füßen ab."
Soll heißen: Sie suchen sich andere Kindergärten, wenn die Gebühren zu hoch werden und die Qualität nicht mehr stimmt. Noch im Dezember soll der Gemeinderat über die Pläne entscheiden. Wie schwer sie sich damit tun, haben mehrere Mitglieder schon am Abend bekundet. Das tue in der Seele weh, hieß es.
MDR (rub/sar)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Das Fazit vom Tag | 12. November 2024 | 18:40 Uhr
wewo69 vor 2 Wochen
Also doch keine Ironie, nur grenzenlose Naivität, was demografische Wirkungen anbetrifft, gepaart mit Überheblichkeit des vielleicht Erreichten mit Hilfe einer gesellschaftlichen Infrastruktur, die von Arm und Reich getragen wird.
salzbrot vor 2 Wochen
und dann wundern sich die Minidörfer, wenn sie keinen ehrenamtliche:n Bürgermeister:in finden. 4-6 Dörfer zusammen bekämen eine:n hauptamtliche:n mit entsprechender Vergütung.
Deutscher_Patriot vor 2 Wochen
Wenn die Eltern ihre eigenen Kinder nicht selber betreuen wollen, dann sollen sie doch dafür zahlen!
Heutzutage haben Leute Kinder, die es sich gar nicht leisten können, und meinen dann, der Staat müsse sich um alles kümmern: Betreuung, Erziehung, Schule und die Unkosten.
Damit muss aber endlich Schluss sein.
Wer Mutter ist, soll seine Kinder doch selber betreuen und erziehen.
In dem Sinne ...