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Landgericht MeiningenSchleuserprozess gegen Chinesin: Angeklagte gibt ausführliche Erklärung ab

24. März 2023, 19:36 Uhr

Seit fast einem halben Jahr wird am Landgericht Meiningen gegen eine Frau aus China verhandelt, der von der Staatsanwaltschaft Gera das gewerbsmäßige Einschleusen von Ausländern vorgeworfen wird. Sie soll für Klienten aus China Scheinfirmen in Bad Liebenstein gegründet haben, als Voraussetzung für sogenannte Geschäftsführervisa. Die Angeklagte hat diesen Vorwurf am Freitag in einer Erklärung zurückgewiesen. Ihre Klienten hätten ernsthaft eine unternehmerische Tätigkeit in Thüringen geplant.

von Dirk Reinhardt, MDR THÜRINGEN

Im Prozess gegen eine 58-jährige Frau aus China wegen des Vorwurfs der gewerbsmäßigen Einschleusung von Ausländern hat die Angeklagte die Vorwürfe zurückgewiesen. In einer von ihrer Anwältin verlesenen Erklärung betonte die Frau am Freitag, die von ihr betreuten Klienten hätten alle die ernsthafte Absicht gehabt, sich in Bad Liebenstein im Wartburgkreis niederzulassen und dort geschäftlich tätig zu werden.

Viel Geld in leerstehende Kurklinik investiert

Sie selbst habe im Jahr 2015 für 100.000 Euro eine seit Jahren leerstehende ehemalige Klinik in dem Ort erworben, saniert und dort Geschäfts- und Wohnräume geschaffen. "Hätte die Mandantin die Tatabsicht gehabt, Scheinfirmen zu gründen, hätte sie nicht so einen Aufwand betreiben müssen", so Anwältin Stefanie Ernst. Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft beruhe allein auf zwei Vor-Besichtigungen von Mitarbeitern der Ausländerbehörde, bei dem diese keine Anzeichen für geschäftliche Aktivitäten in der ehemaligen Klinik festgestellt haben wollen.

Staatsanwaltschaft spricht von Scheinfirmen

Die Staatsanwaltschaft Gera wirft der seit Jahren in Deutschland lebenden Frau vor, Landsleuten aus China beim Erschleichen von Aufenthaltserlaubnissen in Deutschland geholfen zu haben. Dazu soll sie für ihre Kunden Scheinfirmen mit Sitz in Bad Liebenstein gegründet haben, damit diese ein Visum zur Aufnahme einer geschäftlichen Tätigkeit beantragen könnten. Nach Paragraf 21 des deutschen Aufenthaltsgesetzes können Ausländer eine dreijährige Aufenthaltserlaubnis in Deutschland bekommen, wenn sie hier selbstständig tätig sind. Die von den Chinesen gegründeten Firmen in Bad Liebenstein sollen laut Anklage gar keine Geschäftstätigkeit aufgenommen haben.

Vorbild für Projekt in Bad Liebenstein war Gewerbepark im Hunsrück

In dem seit November 2022 laufenden Prozess am Landgericht Meiningen werden insgesamt 26 Fälle verhandelt. In der von der Verteidigung am Freitag verlesenen Erklärung der Angeklagten hieß es weiter, die Frau habe mit ihrer im Januar 2015 gegründeten Firma ansiedlungswillige Chinesen beraten und begleitet. In der von ihr erworbenen Immobilie habe sie ihren Kunden Geschäftsräume für ihre Firmen vermietet.

Von den Einnahmen daraus sollten die Kosten für Kauf und Sanierung der ehemaligen Klinik refinanziert werden. Vorbild für ihr Geschäftsmodell sei ein ähnliches Projekt in Rheinland-Pfalz gewesen, der Gewerbepark "Oak Garden" im Hunsrück. Sie habe ihr Vorhaben im Jahr 2015 unter anderem im Stadtrat sowie in einer Einwohnerversammlung in Bad Liebenstein vorgestellt. In den folgenden Jahren habe unter anderem der TÜV Thüringen Interesse für eine Zusammenarbeit mit ihr in Bad Liebenstein bekundet.

Ihre Kunden aus China seien alle finanziell gut ausgestattet gewesen. Sie habe keinen Zweifel gehabt, dass diese die ernsthafte Absicht gehabt hätten, sich in Bad Liebenstein anzusiedeln und dort Unternehmen zu betreiben, hieß es weiter in der Erklärung der Angeklagten.

Verteidigung will Politiker als Zeugen befragen

In der Verhandlung am Freitag beantragten ihre Anwältinnen auch die Vorladung des Bad Liebensteiner Bürgermeisters Michael Brodführer und des stellvertretenden Landrates im Wartburgkreis, Udo Schilling, als Zeugen. Gegen die beiden Kommunalpolitiker war Anklage wegen Beihilfe erhoben worden. Ihre Verfahren wurden jedoch im vergangenen Jahr nach Zahlung von Geldauflagen laut Paragraf 153a der Strafprozessordnung eingestellt. Solche Auflagen können mit Zustimmung aller Prozessbeteiligten festgelegt werden, wenn das vorgeworfene Vergehen als geringfügig eingestuft wird. Die Betroffenen gelten dann nicht als vorbestraft.

Aufwendige Beweisaufnahme

In dem seit November 2022 dauernden Verfahren mit inzwischen fast 20 Verhandlungstagen hatte die Kammer eine aufwendige Beweisaufnahme vorgenommen. Unter anderem wurden Beamte der Bundespolizei befragt, die in dem Fall ermittelt hatten. Auch eine Mitarbeiterin der Ausländerbehörde des Wartburgkreises wurde befragt.

Sie hatten unter anderem angegeben, dass in einigen Fällen gefälschte Unterlagen wie etwa Sprachzeugnisse oder unzutreffende Lebensläufe vorgelegt worden seien. Zudem hätten die Antragsteller in der Regel kein oder nur sehr wenig Deutsch gekonnt. Hierzu ließ die Angeklagte am Freitag über ihre Anwältinnen erklären, dass ihre Mandanten in der Regel über ausreichende finanzielle Mittel verfügt hätten, um Übersetzungsdienste in Anspruch zu nehmen.

Ungewöhnliche Mischung von Geschäftsfeldern

Die Ermittler bezweifelten auch, dass die Antragsteller über die notwendigen beruflichen Voraussetzungen für das Führen einer eigenen Firma verfügten. Zudem seien die angemeldeten Geschäftsfelder der Unternehmen in ihrer Zusammenstellung sehr ähnlich gewesen. Bei mehreren der Firmen war als Geschäftszweck der Handel mit Lebensmitteln, Kosmetik, pharmazeutischen Erzeugnissen und Baustoffen angegeben. Die Verteidigung entgegnete hierzu den Zeugen, dass diese Mischung aus verschiedenen Branchen in China durchaus üblich sei. Auffällig für die Ermittler der Bundespolizei war laut ihren Aussagen vor Gericht außerdem, dass viele der vorgelegten Geschäftspläne nahezu identisch gewesen seien. Ein Großteil der Geschäftspläne war von einer Unternehmensberatung aus Südthüringen erstellt worden.

Mehr zum Thema: Chinesische Firmen in Thüringen

Verteidigung: Einige Firmen haben Geschäfte getätigt

Die Verteidigung verwies während der verschiedenen Verhandlungstage zudem mehrfach darauf, dass die Angeklagte ihre Klienten regelmäßig darauf gedrängt habe, in Deutschland unternehmerisch tätig zu werden. Einige der Firmen hätten auch tatsächlich von Bad Liebenstein aus Geschäfte getätigt, etwas beim Handel mit Kosmetikerzeugnissen. In anderen Fällen sei die Aufnahme der Geschäftstätigkeit gar nicht möglich geworden, weil keine Aufenthaltserlaubnis oder keine Gewerbeerlaubnis erteilt worden sei.

Den von einigen Zeugen bei ihren Vernehmungen durch die Polizei erhobenen Vorwurf, die Angeklagte habe gegenüber ihren Klienten auch den Kauf von Wohnungen zur Bedingung für ihre Tätigkeit als Beraterin und Vermittlern gemacht, wies die Verteidigung zurück. Wohnungskäufe seien freiwillig gewesen, schließlich hätten sich die Klienten ja in Bad Liebenstein niederlassen wollen.

Auslöser der Ermittlungen gegen die Frau waren nach Aussagen von Ermittlungsbeamten und der Mitarbeiterin der Ausländerbehörde Hinweise der deutschen Botschaft in China gewesen, wonach sich Visaanträge für eine unternehmerische Tätigkeit in Bad Liebenstein auffällig gehäuft hätten.

Gericht will Hälfte der Fälle fallenlassen

Anfang März hatte der Vorsitzende Richter der Staatsanwaltschaft empfohlen, die Anklage in 14 der 26 Fälle fallenzulassen. Dabei handelte es sich unter anderem um Fälle, in denen gar keine Visaanträge gestellt worden waren. Eine Stellungnahme der Staatsanwaltschaft dazu steht noch aus. Das Verfahren wird am 21. April fortgesetzt.

MDR (dr)

Dieses Thema im Programm:MDR THÜRINGEN - Das Radio | Regionalnachrichten | 24. März 2023 | 16:30 Uhr