Hilfsprojekt Mit 40 Euro Zukunft schaffen: 15 Jahre Bildungspatenschaften für Ruanda

Innerhalb von 15 Jahren ist eine Art kleines privates Hilfswerk entstanden: 76 Patenkinder im afrikanischen Ruanda besuchen derzeit die Schule, absolvieren eine Ausbildung oder ein Studium - dank des Engagements von Paten, die der Ökumenische 1Welt-Kreis im Erbstromtal vermittelt hat. Die Bilanz zum Jubiläum kann sich sehen lassen.

Gerhard Reuther mit gehörlosen Patenkindern
Das Projekt will nicht nur Geld geben, sondern auch vor Ort aktiv sein. Bildrechte: MDR/Gerhard Reuther

Was nach 15 Jahren aus der Hilfe für Ruanda geworden ist? "Ich bin froh und dankbar darüber, dass es so gut gelaufen ist", sagt Gerhard Reuther, Pfarrer in Ruhla. "Wir haben gespürt, dass auf diesem Projekt ein großer Segen liegt." Anfang 2007 waren Mitglieder des 1Welt-Kreises in Kigali bei einer Tagung mit Pädagogen eingeladen. Dort wurde darüber nachgedacht, wie den Folgen des verheerenden Völkermords von 1994 bei Kindern und Jugendlichen begegnet werden könne. Bildungspatenschaften waren ein Wunsch der Veranstalter, den die Thüringer aus Afrika mit nach Hause nahmen.

Vom Patenkind zur Lehrerin

Ein Ehepaar aus Ruhla übernahm die ersten beiden Patenschaften für ein gehörloses Schwesternpaar, Joyce und Brown. Innerhalb von zwei Jahren waren es schon 23 Patenkinder, für die der Kreis Unterstützer gefunden hatte. Aktuell sind es 76. Joyce und Brown unterrichten inzwischen selbst als Lehrerinnen gehörlose Kinder, zwei von 41 erfolgreich abgeschlossenen Patenschaften. Andere wurden Ingenieure, Apothekerin, machten sich als Schneiderin selbstständig, arbeiten in einer Bank oder als Dozent an einem College. "Das ist das Ziel unseres Projektes: dass wir unsere Patenkinder befähigen, dass sie selbständig werden, dass sie für sich selbst sorgen können, für ihre Familien, und natürlich auch für andere, die ihre Hilfe brauchen", sagt Gerhard Reuther.

Wir wollen nicht als reiche Onkel aus dem Westen nur Geld hinschieben.

Gerhard Reuther Pfarrer in Ruhla

Der 1Welt-Kreis arbeitet bei der Auswahl und Betreuung der Kinder mit einer einheimischen Nicht-Regierungsorganisation zusammen, derzeit mit Amizero y’Ubuzima, einer Organisation, die ein Heim für Kinder mit einer geistigen Behinderung betreibt. Auch sind die deutschen Helfer in Netzwerke vor Ort eingebunden. Es sei wichtig, "nicht wie Aliens zu agieren“, sagt Reuther. Gefördert werden Kinder, deren Familien kein Geld für den Schulbesuch haben. Zwei ehrenamtliche Mitarbeiterinnen besuchen die Familien in Ruanda, prüfen, wie groß der Bedarf ist. Die Warteliste ist lang.

Gerhard Reuther tanz mit Patenkind
Auch Kinder mit einer geistigen Behinderung werden gefördert. Bildrechte: MDR/Gerhard Reuther

Eine Matratze für das Internat

Die Paten zahlten anfangs 30 Euro pro Monat. Inzwischen sind es 40 Euro. Davon wird zum einen alles rund um den Schulbesuch finanziert: Schulgebühren, Schuluniform, Lehrmittel, Schulessen und Schuhe. Wer in die Oberstufe wechselt, braucht für das Internat eine Matratze. Bezahlt wird davon aber auch eine Basis-Krankenversicherung für die Familie.

Hilfe für Notfälle

Für besondere Notfälle gibt es den sogenannten "Kompensationsfonds". Da hinein fließen Spenden und decken unerwartete Kosten ab - zum Beispiel eine teure Operation, um verwachsene Füße zu richten. In der Coronakrise flossen 8.000 Euro in Nahrungshilfe für die Familien. Denn Tagelöhner konnten in Ruanda wegen des strikten Lockdowns länger nicht arbeiten und standen ohne Einkommen da. Der Fonds springt aber auch dann ein, wenn Paten ausfallen oder aufhören - bis ein neuer Pate gefunden ist.

Patenkind Paola bekommt Ausstattung für die Schule
Patenkind Paola bekommt Ausstattung für die Schule. Bildrechte: MDR/Gerhard Reuther

Auch Geld für Berufsausbildung

Nachdem die ersten Kinder die Schule absolviert hatten, stellten die Paten fest, dass das noch nicht zur Selbständigkeit reichte: den Familien fehlte es an Geld für eine Berufsausbildung. Also wurde das Patenschaftsprojekt entsprechend erweitert, für manche bis hin zum Studium. Außerdem wurden einige Familien der Patenkinder unterstützt, ebenfalls als Hilfe zur Selbsthilfe: mit Geld für einen Marktstand, für ein kleines Geschäft, für eine Nähmaschine. Wenn Mitglieder des 1Welt-Kreises in Ruanda zu Besuch sind, bringen sie den Familien gerne Bäume mit, etwa Avocado, Apfelsine, Papaya oder Macadamia. Denn Obst ist teuer.

In den 15 Jahren hat nicht immer alles geklappt, sagt Gerhard Reuther. So mussten beispielsweise die Patenschaften für 21 Kinder abgebrochen werden, weil sie schlicht verschwunden waren. Meist sind die Familien weggezogen, ohne sich bei den Helfern abzumelden. Es gebe aber auch Kinder, die aus sehr schwierigen häuslichen Situationen ausbrechen und untertauchen.

Patenkind des Ruhlaer Gymnasium in Ruanda
Das Patenkind (Mitte) des Ruhlaer Gymasiums. Bildrechte: MDR/Gerhard Reuther

Paten auch in Norwegen, Mexiko und den USA

Die meisten Paten wohnen noch in der Ruhlaer Region. Aber auch fortgezogene Ruhlaer unterstützen ihr Patenkind weiter, selbst wenn sie jetzt in Norwegen oder Mexiko leben. Und über Kontakte ins Erbstromtal hat sogar eine Kirchengemeinde in den USA eine Patenschaft in Ruanda übernommen. Persönlicher Kontakt zu den Kindern und Jugendlichen ist allen wichtig. Für die jüngeren Kinder übernimmt das eine Mitarbeiterin vor Ort, die älteren kommunizieren selbst mit ihren Paten, per Mail oder in einer Telegram-Gruppe. "Wir wollen nicht als reiche Onkel aus dem Westen nur Geld hinschieben“, sagt Gerhard Reuther, "sondern verstehen uns als Eine-Welt-Familie."

Ich bin froh und dankbar darüber, dass es so gut gelaufen ist.

Gerhard Reuther Pfarrer in Ruhla

Deshalb freut es ihn besonders, dass unter den 70 Paten auch drei Schulen in Ruhla und Eisenach sind. "Es ist wichtig, dass unsere Kinder hier in Deutschland ein Gespür dafür bekommen, wie Menschen ihres Alters in anderen Regionen dieser Welt leben, dass man voneinander hört, miteinander spricht, voneinander lernt."

MDR (bre/cfr)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Das Fazit vom Tag | 27. Juli 2022 | 18:25 Uhr

2 Kommentare

kleinerfrontkaempfer vor 34 Wochen

Gute Sache und bringt Zustände auf dem schwarzen Kontingent mal ein klein wenig näher.
Traurig das so viel persönliche Engagement gebraucht wird. Wo doch hohes politisches Personal immer wieder warme Worte und Apelle in die Welt, die Medien in die Wählerschaft hinaus posaunen. Inzwischen dürfte jedem klar sein westliche staatliche Entwicklungshilfe ist mit knallharten politischen und wirtschaftlichen Forderungen verbunden.
Egal, habe mal eine Spende an den Verein locker gemacht. Energiekosten und Preistreiberei sind da mal Schnurz.

hilflos vor 34 Wochen

Grundsätzlich finde ich es schön für die Betroffenen, dass es etwas gibt. Allerdings gibt es sicher auch Möglichkeiten des eigenen Landes etwas zu tun, denn für Waffen usw gibt es auch immer Geld. Weiterhin gibt es auch hier eine Menge Missstände, z. B. Kinderhospize usw

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